Singen und Schnupfen
Nein, dieser Text beschäftigt sich nicht mit einem für die momentane Jahreszeit typischen Krankheitsbild namens Rhinitis, sondern mit einem kleinen Nebenvergnügen früherer Sänger.
Wer die Requisitenkästen alter Gesangvereine durchforstet, stößt dabei manchmal auf Dinge, die er da nicht unbedingt erwartet. Zu den eher typischen Gegenständen der Vereine gehören silberglänzende Pokale, hübsch bemalte und beschriftete Trinkgläser, Taktstöcke mit Widmungstäfelchen und alte Fotografien mit Szenen diverser Sängeraktivitäten. Vielerlei „alter Kram“, der sich da im Lauf von ein- bis zwei Jahrhunderten angehäuft hat. Wir können daraus etwas über die Geschichte der Chöre erfahren, über ihren organisatorischen und musikalischen Werdegang, aber auch etwas über das gesellige Vereinsleben.
Was suchen nun in diesen Objektensembles, die die Schwaben gerne „Kruscht“ nennen, jene seltsamen Holzdosen, um die es hier geht? Sie sind meist mit kleinen Ornamentschnitzereien, Reliefprägungen, Messingbändern und Schmucknägeln dekoriert, genossen also eine gewisse Wertschätzung. Eine solche hier abgebildete Dose stammt aus der Sammlung des „Silchervereins Schnait“, zwei weitere Stücke im Besitz des Schwäbischen Chorverbands sind ebenfalls aus dörflichen Männergesangvereinen dorthin gelangt. Die Antwort auf die Frage, was die Behälter einst enthielten, ergibt sich schnell, wenn man sie öffnet und einem dabei kleine schwarzbraune Krümel entgegenrieseln: Schnupftabak!
„Vereins-Schnupftabakdose zur allgemeinen Benutzung“
Die erwähnte Schnaiter Büchse ist auf ihrem Korpus mit dem abgekürzten Vereinsnamen „S.Verein“ und der Jahreszahl 1882 beschriftet, zeigt eine kleine Lyra als Bild und ist mit einem schmalen Lederriemen versehen. Mit diesem Riemchen wurde sie einst von einem Sänger über seine Schulter gehängt und so zu Veranstaltungen des Vereins mitgenommen. Ein Foto aus der Zeit um 1883 zeigt den dörflichen Schnaiter Männerchor fein in Sonntagskleidung herausgeputzt, aber mit derbem Schuhwerk, wie man es damals zu längeren Ausflügen an den Füßen trug. In der ersten Reihe sitzt mittig der Träger der Dose, die er geöffnet einem Nebenmann präsentiert; der wiederum greift demonstrativ hinein.
Dass eine Schnupftabakdose früher ganz selbstverständlich zu einem Verein gehörte, zeigt uns auch eine Information des Liederkranzes Oberensingen, der 1891 eine „Vereins-Schnupftabakdose zur allgemeinen Benutzung“ angeschafft hat. Und der Gesangverein Siglingen führte einst in seinem Vermögen kurz und bündig auf: „1. Vereinsfahne, 2. Gesangbücher, 3. Vereinsschnupftabakdose“. Diese Vereinsdosen dürften alle in etwa dieselbe Größe gehabt haben wie die Schnaiter, da sie die Tabaksmenge für den ganzen Verein enthielten. Private Dosen waren dagegen eher zierlich, sodass sie in die Hosentasche passten, und oft aus besonderem Material, z. B. als „Büchsl“ aus Hirschhorn mit Silbermontierung oder als „Flascherl“ bzw. „Glasl“ aus farbigem Glas. „
Zur Stärkung seiner Stimme eine Prise Schnupftabak“
Doch warum zogen sich die Sänger früher eine „Prise“ in die Nase? Der berühmte italienische Tenor Enrico Caruso, Namensgeber eines kräftigen Hustenbonbons, soll nach Angaben seiner Frau vor seinen Auftritten zur Stärkung seiner Stimme eine Prise Schnupftabak zu sich genommen haben. Auch der deutsche Basssänger Ivan Rebroff wurde in den 1970er Jahren häufiger mit Schnupftabak abgebildet. Und der deutsche Elektropunker Rummelsnuff (der „Schnupftabak für die Ohren“ produziert) soll gern die eine oder andere Prise genießen.
Ob das Schnupfen den Singenden nützt oder schadet, darüber streitet man heute. Ein Blick in die Diskussionsforen online zeigt: Das Spektrum zwischen Asketen, die auf alles, was eventuell schaden könnte, verzichten, und Genussmenschen, die von ihren Mittelchen nicht lassen wollen, ist breit. Hier muss jede:r für sich entscheiden. Dass viel Schnupftabak Entzündungen der Nasenschleimhaut verursachen kann, ist bekannt. Aber viele Sänger:innen lieben das Schnupfen – und sie machen es sogar zum Thema ihrer Lieder:
„Schnupftabak, du guada Schmei
Di hob i oiwei gern dabei
Meara brauch i ned zum glücklich sei
Du gheast in mei Nosn nei“
„Dös Doserl is mei größte Freid“
Und auch das „Schnupftabak Doserl“ finden wir im Lied. Es ist hier der Titel eines Innviertler Jodlers, den die Wirtsleute Kathi Jola und Franz Biereder zuerst in ihrem Wirtshaus vortrugen und dann 1931 auf Schellackplatte zum Kassenhit machten. Darin heißt es: „Dös Doserl is mei größte Freid“.
Ein jüngerer Vertreter des Tabaksdosen-Lieds ist der Komponist Benedikt Burghardt (geb. 1960). Er hat das Gedicht „Die Schnupftabaksdose“ von Joachim Ringelnatz (1883-1934) für gemischten Chor gesetzt. Hier die erste Strophe:
„Es war eine Schnupftabaksdose
Die hatte Friedrich der Große
sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz.
Und darauf war sie natürlich stolz.“
Aber dass sie einen berühmten Schöpfer hatte, hat der Holzdose nichts geholfen. Ein Holzwurm hat sie laut Songtext dennoch aufgefressen. Da hatten die Stücke in der Sammlung des Schwäbischen Chorverbands mehr Glück!
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