Mädchen-, Knaben- oder doch lieber ein gemischter Kinderchor? Unsere Experten im Bereich Kinderchor aus dem Musikbeirat nehmen Stellung und geben Tipps für die Praxis.
Marcel Dreiling ist nicht nur Musikdirektor des Schwäbischen und Deutschen Chorverbandes, sondern er ist auch ein sehr erfolgreicher Chorleiter im Bereich der Kinder- und Jugendchöre. Einen Namen hat er sich unter anderem in Rottweil gemacht.
Als langjähriger Leiter der Rottweiler Mädchenkantorei weiß ich um die Vorzüge der Geschlechtertrennung im Kinderchor. Vielen gemischten Kinderchören geht es gleich wie Ministranten-Gruppen. Nach der zögerlichen Aufnahme der ersten Mädchen in die ursprüngliche Jungs-Gruppe sind die Mädchen bald in der Überzahl und verdrängen die Jungs.
Gleichgeschlechtliche Gruppen sind ganz allgemein stabiler und leichter zu händeln. Das hört dann aber bei den Jugendlichen noch lange nicht auf und setzt sich bedingt in Männer- und Frauenchören fort. Ich bin Lehrer an einer Schule, die früher eine Mädchenschule war. Die Jungs wurden am altsprachlichen Nachbargymnasium unterrichtet. Aus dieser heute längst abgeschafften Tradition sind heute immer noch die Mädchen mit 87 Prozent an der Schule die führende Gruppe. Es gibt mir die Möglichkeit reine Mädchenklassen mit gemischten Parallelklassen direkt zu vergleichen. Die eingeschlechtliche Klasse ist leichter zu händeln, aber manchmal einfach zu ruhig – es fehlt das „Salz in der Suppe“. Gemischte Schulklassen sind grundsätzlich dynamischer, lebhafter und dadurch für mich als Lehrer anstrengender. Ich finde aber auch, dass diese Klassen lebensnaher und effektiver sind.
Besteht denn unser Leben aus Geschlechtertrennung? Worauf bereiten wir die Jugendlichen vor?
Drum: es spricht gar nichts gegen einen gut funktionierenden gemischten Kinderchor – nur habe ich als Chorleiter eine ungemein schwierigere Aufgabe jedem Interesse gerecht zu werden. Jungs und Männer fehlen in unseren Chören. Sie bedürfen der besonderen Förderung.
Andreas Schulz ist der Musikalische Leiter der Chorjugend im Schwäbischen Chorverband und selbst Chorleiter in vielen Kinder- und Jugendchören. Er engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich auf Regional- und Landesebene für die Interessen der Kinder- und Jugendlichen im Verband und ist federführend an der Neuentwicklung der Ausbildungsordnung im SCV beteiligt.
Geschlechtertrennung im Kinderchor, ja oder nein. In einem gemischten Kinderchor gibt es zusätzlich zu den Ablenkungen und Konzentrationslücken, die bei Kindern sowieso auftauchen, immer auch die Interaktion der Geschlechtergruppen, entweder um Aufmerksamkeit bei der anderen Gruppe zu erregen oder um sich von der anderen Gruppe abzugrenzen. Damit sind die Mädchen ein wenig, die Jungen deutlich umfangreicher einen guten Teil der Chorprobe beschäftigt, mal unterschwelliger, mal offensichtlicher. Teilt man die Chorgruppe, merkt man bei den Mädchen nur einen kleinen Unterschied. Das Verhalten der Jungen ändert sich sehr deutlich. Sie werden ruhiger und konzentrierter. Die Art Störungen der Chorprobe, die man vor allem von Jungen kennt, hören fast komplett auf. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich die Jungen wohler fühlen und auf eine gewisse Art „befreiter“ singen können, wenn sie unter sich sind. Das kommt dem qualitativen Fortschritt im Chor sehr zu gute. So gefestigt im Singen, ist es dann auch kein Problem, den Chor für Auftritte und Konzerte wieder zu mischen. Deshalb empfehle ich, wo immer es möglich ist, den Kinderchor zu den normalen Proben nach Jungen und Mädchen zu trennen; die Konzerte sowie die dafür nötigen Proben aber gemeinsam zu bestreiten.
So hat man beide Vorteile, die Würze des „gemischten Lebens“ und die Ruhe und den „Schutzraum“ für die Jungen bei der Probe.
Kurz zusammengefasst
- Gleichgeschlechtliche Gruppen sind im Allgemeinen stabiler und leichter zu händeln
- Gemischte Gruppen sind oftmals dynamischer, lebhafter und dadurch manchmal anstrengender, können aber auch lebensnaher und effektiver sein
- In gemischten Kinder- und Jugendchören muss den Interessen beider Gruppen Rechnung getragen werden
- Trennt man Jungen und Mädchen während einer Chorprobe, kann man eine Veränderung im Verhalten beider Gruppen erkennen
- Besonders Jungen werden in einer gleichgeschlechtlichen Gruppe meistens ruhiger, konzentrierter und fühlen sich befreiter
- Gleichgeschlechtliche Chorprobenrunden innerhalb einer Probenstunde können auch im Gemischten Chor die Qualität verbessern