Die Gesellschaft wird älter, die Chöre werden kleiner, immer weniger junge Leute wollen sich in der Vereinsarbeit ein bringen. Probleme, die leider zu oft aus dem Vereinsalltag bekannt sind. Doch sprechen die Zahlen die gleiche Sprache, oder sieht die Zukunft ganz anders aus?
Nichts ist beständiger als der Wandel.
Überalterung, Nachwuchsängste und ein allgemeiner Rückgang der Bevölkerung sind in den letzten Jahren immer weiter und mit Recht in den Fokus der öffentlichen Diskussion gerückt. Diese Entwicklung unter dem Schlagwort „demographischer Wandel“ hat neben wirtschaftlichen vor allem soziale und kulturelle Folgen, die auch direkt auf die Entwicklung von Vereinen und Verbänden einwirken.
Doch was ist der Demographische Wandel eigentlich?
„Demographischer Wandel bezeichnet Veränderungen in der Zusammensetzung von Gesellschaften, insbesondere der sog. Altersstruktur. So zeichnen sich bspw. moderne Gesellschaften dadurch aus, dass einerseits die Geburtenrate (Fertilität) niedrig ist und die Sterberate (Mortalität) seit einigen Jahrzehnten höher ist, gleichzeitig steigt aber die Lebenserwartung der Bevölkerung, wodurch der Anteil der älteren gegenüber den jüngeren Menschen zunimmt. In vielen (z. B. Entwicklungs-)Ländern verhält es sich gerade umgekehrt: Der Anteil der jüngeren Bevölkerung übersteigt den der älteren Bevölkerung.“ (Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 5., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2011.) Dass dieser Trend auch vor Baden-Württemberg nicht Halt macht, bestätigen die Zahlen des Statistischen Landesamtes.
Die Bevölkerung wird immer älter
In Baden-Württemberg leben derzeit rund 2,1 Millionen Personen, die 65 Jahre oder älter sind. Die Zahl der älteren Menschen im Land hat damit seit 1980 um 58 Prozent oder 760.000 zugenommen, während die gesamte Einwohnerzahl „nur“ um 15 Prozent angestiegen ist. Bereits bis zum Jahr 2030 könnte sich die Zahl der Seniorinnen und Senioren im Alter von 65 und mehr Jahren nochmals um annähernd ein Drittel auf 2,7 Millionen erhöhen. Der Anteil dieser Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung wird sich so von derzeit knapp 20 Prozent auf voraussichtlich 25 Prozent erhöhen.
Diese Entwicklung hin zu immer mehr älteren Menschen ist vor allem auf die Altersstruktur der Bevölkerung, aber auch auf die stetig steigende Lebenserwartung zurückzuführen: Ein neugeborener Junge kann heute in Baden-Württemberg auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von etwa 79 Jahren hoffen, ein neugeborenes Mädchen sogar auf knapp 84 Jahre.
Damit liegt die Lebenserwartung Neugeborener nach Angaben des Statistischen Landesamtes um gut neun Jahre bei den Frauen bzw. um knapp elf Jahre bei den Männern höher als Anfang der 1970er Jahre. Bis zum Jahr 2030 wird nochmals von einem Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung um etwa 2 Jahre ausgegangen. Positiv zu sehen ist aber, dass bei den 65-Jährigen und älteren Baden-Württemberg mit 19,6 Prozent nach den beiden Stadtstaaten Hamburg und Berlin (18,8 Prozent bzw. 19,1 Prozent) den drittniedrigsten Anteil hat. Der Deutschlanddurchschnitt liegt bei 20,8 Prozent.
Diese Zahlen sind weniger erschreckend als vermutet, denn im demographischen Wandel steckt auch eine nicht unerhebliche Chance. Die Gesellschaft und auch die Chöre werden zum Teil immer älter. Wichtig ist es aber, dass jetzt auf die veränderten Gegebenheiten reagiert wird. So beschäftigt sich zum Beispiel der Oberschwäbische Chorverband schon seit Jahren mit den Möglichkeiten, aber auch mit den Voraussetzungen, die ein Verband bieten muss, damit es ihn in einigen Jahrzehnten noch weiterhin geben kann. Grundstein für das strukturierte Vorgehen war eine intensive Arbeitssitzung zum Thema „Projekt OCV 2020“. In dieser Tagung wurde zunächst die Ist-Situation des Regionalchorverbands unter die Lupe genommen, mögliche Zielgruppen analysiert und Maßnahmen erörtert, wie man auf die veränderten Strukturen reagieren und sie auch nutzen kann.
Vereine werden kaum weniger, die Vereine werden kleiner
Wie man klar in der Statistik des Schwäbischen Chorverbandes sieht, ist die Anzahl der reinen Frauen- und Männerchöre abnehmend, die Anzahl der Chöre und Vereine ist seit den 80er Jahren recht stabil. Dass sich die Vereine wandeln, erkennt man bei der Betrachtung der Mitgliederzahlen, die tatsächlich seit Mitte der 90er Jahre stark zurückgehen. Neue Vereine, die in den Verband eintreten, sind zumeist Ensembles oder kleinere Chöre mit Mitgliedszahlen zwischen 20 und 40 Personen. Diese Zahlen sind nicht vergleichbar mit den großen Chören der Gründerzeit, beweisen aber auch, dass nicht nur die Gesellschaft, sondern eben auch das kulturelle Leben in dieser Gesellschaft dem demographischen Wandel unterliegt. Dazu kamen viele alternative Freizeitangebote, lange Arbeitszeiten und flexiblere Wohnortgestaltung. Dies alles sind Faktoren, die neben dem demographischen Wandel das zukunftsorientierte Handeln eines Vereins oder Verbandes beeinflussen und leiten müssen.
Positiver Trend in der Chorjugend
Dass Singen aber immer noch attraktiv ist, zeigt die statistische Kurve der Chorjugend im Schwäbischen Chorverband. Sie geht im Trend nach oben. Die Chorjugend ist die größte Jugendorganisation im Deutschen Chorverband. In diesen Kinder- und Jugendchören, die in der Chorjugend organisiert sind, verbirgt sich ein außerordentlich großes Potenzial, das endlich in Vereinen und Verbänden weiter nachhaltig gefördert werden muss.
Bundesweit den höchsten Anteil Minderjähriger
Es gibt in Baden-Württemberg aber weitere Entwicklungen, die die Zukunft der Vereine langfristig positiv beeinflussen könnten: Baden-Württemberg hat bundesweit den höchsten Anteil Minderjähriger an der Bevölkerung. In Zahlen heißt das: 17,1 Prozent der Bevölkerung Baden-Württembergs sind unter 18 Jahre alt. Zudem sorgt auch der Zuzug von jungen Erwachsenen in die Städte mit Hochschulen für eine positive Beeinflussung der Alterskurve. Gerade in den Städten entwickelt sich hieraus oft eine lebendige und frische Kulturlandschaft, die unter anderem auch vom Wandel lebt. Auf Grund dieser Tatsache wird der Anstieg des Durchschnittsalters in den großen Universitätsstäten Baden-Württembergs langsamer gehen als auf dem Land. Langfristig wird sich die vorherrschende Entwicklung aber auch in den Städten durch-
setzen.
Zuwanderung senkt den Altersdurchschnitt
Einen ganz neuen und positiven Einfluss auf die Bevölkerungsvorausrechnung sieht das Statistische Landesamt in der hohen Zuwanderung, denn diese schwächt den Alterungsprozess der Gesellschaft und bringt neue Betätigungsfelder für Vereine und Verbände hervor.
Die Einwohnerzahl Baden-Württembergs stieg im Jahr 2015 nach ersten Schätzungen um mindestens 125.000 Personen auf etwas mehr als 10,8 Millionen an. Damit hat sich – vor allem aufgrund des Zustroms an Flüchtlingen – der Trend der letzten Jahre mit steigenden Zuwanderungszahlen nochmals erheblich verstärkt. Im Jahr 2014 zogen per Saldo knapp 90.000 Personen in den Südwesten, im Jahr 2013 waren es rund 70.000. Dagegen war noch in den Jahren 2008 und 2009 die Einwohnerzahl des Landes aufgrund geringer Wanderungsgewinne und eines negativen Geburtensaldos (weniger Geburten als Sterbefälle) rückläufig. Vor dem Hintergrund der derzeit bestehenden besonders großen Unsicherheiten im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Zuwanderung hat das Statistische Landesamt drei Vorausrechnungsvarianten erstellt. Nach der so genannten Hauptvariante, die auch in den kommenden Jahren von einer relativ hohen Zuwanderung ausgeht, könnte die Einwohnerzahl des Landes noch bis zum Jahr 2024 um rund 420.000 Personen auf dann 11,14 Millionen Einwohner ansteigen. Anschließend ist mit einem Bevölkerungsrückgang zu rechnen, weil sich das bestehende Geburtendefizit (weniger Geburten als Sterbefälle) aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung stetig vergrößern wird.
Das Geburtendefizit kann langfristig nicht mehr ausgeglichen werden
Dieses Defizit kann aller Voraussicht nach nicht mehr durch die Zuwanderung ausgeglichen werden. Dennoch könnte die Einwohnerzahl im Südwesten auch 2060 noch geringfügig über der Ende 2014, dem Basisjahr der Vorausrechnungen, liegen. Nach der so genannten „Unteren Variante“, die von deutlich geringeren Wanderungsgewinnen ausgeht, würde der Bevölkerungsrückgang bereits im Jahr 2023 einsetzen. Im Jahr 2060 könnte die Einwohnerzahl um rund 340.000 Personen unter dem heutigen Niveau liegen. Dagegen würde die Einwohnerzahl nach der „Oberen Variant“e noch bis zum Jahr 2041 auf etwa 11,77 Millionen ansteigen. Auch im Jahr 2060 hätte Baden-Württemberg noch rund 11,54 Millionen Einwohner – immerhin gut 800.000 Personen mehr als im Basisjahr der Vorausrechnung.
Was bringt das Wissen um den demographischen Wandel
Der demographischer Wandel ist ein gesellschaftlicher Fakt, mit dem Vereine und Verbände lernen müssen umzugehen, die Herausforderungen zu erkennen, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und die Möglichkeiten aus dem Wandel zu ziehen.
Genauso, wie sich Unternehmen und Kommunen auf diesen Wandel einstellen und mit neuen Konzepten die Chancen nutzen, können es auch die Vereine und Verbände des Schwäbischen Chorverbandes tun. Wie der Volksmund so richtig sagt: „Alles hat zwei Seiten“.