Wie man lange Spaß am Chorgesang haben kann – wir haben es in der Hand, wie gut unsere Stimme altert.
Erkenntnisse aus einem reichen Chorleiterleben, aus Selbstbeobachtung, aus dem Erfahrungsaustausch und aus der in den vergangenen Jahren reichlich vorgelegten Literatur zeigen die vielfältigen Fragen zur älter werdenden Stimme.
Wie in unserer Gesellschaft allgemein, so haben auch viele Mitglieder unserer Chöre bereits das 60. Lebensjahr überschritten. Sie wollen weitersingen – und die Chöre können auch nicht auf sie verzichten. Deshalb ist eine Beschäftigung mit den Fragen dieser Stimmen für den Einzelnen selbst wie für die Leiter von Chören unverzichtbar. Bündeln lassen sich Fragen und Antworten in einigen Themenkreisen:
Zum allgemeinen körperlichen Zustand
Dieser zeigt zunehmend Schwächen, so etwa in der mangelnden Ausdauer beim Stehen, im spannungslosen Sitzen, bei dem der Oberkörper zusammensackt. Ihnen begegnet man durch Verkürzung der entsprechenden Haltungsanforderung: Der schwächer werdenden Sehkraft begegnet man mit leicht vergrößerter Notenschrift. Eine konsonantenklare Sprache des Chor- bzw. Singeleiters und die Ausschaltung von Nebengeräuschen verbessert die akustische Wahrnehmung, wenn die Hörfähigkeit nachlässt – wobei viele Träger von Hörhilfen eher Probleme bei der Einordnung der Stimme empfindet. Allgemeines Nachlassen der Muskelkraft zeigt sich oft in unnötigen Verkrampfungen oder in der schwächer werdenden Atemmuskulatur, welche die Leistung der Stimme in Dynamik und Ausdauer erheblich beeinflusst. Gezielt beruhigende Atemübungen, die Führung der musikalischen Linien und das Zugeständnis zum öfteren Atemholen nach Bedarf (ohne dichten Schnappatem) sind förderlich und ausgleichend. So kann ein gewisses Durchhaltevermögen erhalten bleiben.
Zur geistigen und mentalen Disposition
Sehr unterschiedlich verhalten sich Gehirn- und Gedächtnisleistung im Alter. Gefördert wird sie durch das Singen, weil dabei sowohl der kognitive als auch der emotionale Bereich angeregt werden. Für den kognitiven Bereich stehen die komplexen Tätigkeiten beim Singen: Sprache gestalten, Töne produzieren, die eigenen Ohren als ständiges Korrektiv nutzen, also Feinmuskulatur und Sinne, Konzentration und Reaktion. Singen fördert zudem Aufgeschlossenheit für den einen oder anderen kleinen neuen Schritt gegenüber der eintretenden Gleichgültigkeit, dem antriebslosen Zurückfallen.Die Texte der Lieder bringen Erinnerungen, beleben seelische Zustände und machen manche Belastungen durch die vielfach erlebte Vereinsamung leichter. Diese wächst in späteren Jahren wegen des Ausscheidens aus dem Beruf. Auch Familie und Freunde reduzieren sich vielfach.
Zu den körperlichen kommen also auch seelische Gebrechen, die Gedanken an die letzte Lebenszeit verdichten sich. Gerade da bleibt der Chor eine tragende Verbindung, sofern nicht einseitiges Leistungsdenken auch hier aussondert.
Zur Physiologie der alternden Stimme
Weil eben die Stimme brüchiger wird, obertonärmer, intonationsunsicherer, Stimmvolumen und -umfang abnehmen, schrille Töne sich einstellen, das Vibrato sich erweitert und die Beweglichkeit für schnellere Abläufe schwindet, werden alternde Stimmen zur Seite befördert.
Das tut weh, ist für den Leistungschor jedoch nahezu unerlässlich. Ist die Stimme in jungen Jahren richtig gebraucht, etwas ausgebildet und pfleglich behandelt worden, sind alle die genannten Mängel kaum oder nur viel später offenkundig.
Folgerungen für den Chor- / Singleiter
Es ist unerlässlich, alle die im Vorigen aufgezeichneten Probleme und Schwächen zu kennen. Es ist ebenso unerlässlich, sich darauf einzustellen, das heißt, überzogenen Anforderungen aller Art zu mäßigen – der Menschen wegen, wenn man ihnen recht begegnen will. So wenig allerdings, wie man auf die Wünsche jedes einzelnen jungen Menschen Rücksicht nehmen kann, so wenig kann sich ein Chorgebilde nur durch die Unzufriedenheit eines einzelnen alten Menschen vom sinnvollen Weg abhalten lassen. Sind es nicht Einzelmeinungen, sondern Gruppenmeinungen, müssen passende Lösungen gefunden werden. Auch „Selbstverwirklichungsideen“ eines Leiters passen nicht auf jede Gemeinschaft. Nur Flexibilität kann gewinnen. Diese zeigt sich schon bei der bewussten stimmlichen Vorbereitung (gemeinhin „Einsingen“ benannt) für ältere aber auch wenig geübte jüngere Stimmen, wo sich alle Disziplinen eines guten Leiters bereits versammeln sollten.
Übrigens dient das, was in den neben-stehenden Hilfestellungen beschrieben ist, Sängerinnen und Sängern jeden Alters!
Konkrete Hilfestellungen für den Leiter von älteren Chören:
- Wissen um die Stimmen, mehr als sonst
- Geduld haben und helfen, mehr als sonst
- anfangs weniger fordern, meist noch weniger als sonst
- altersabhängige Bereiche der Stimme (s.o.) noch mehr lösen
- sauber vorsingen, noch besser als sonst (Klavier tötet!)
- dran denken, dass die Freude das Wichtigste ist
- dran denken, dass das soziale „Einfinden“ wichtig ist
- Gefühl vermitteln, dass etwas Gutes und Sinnvolles erreicht wird
- Liebe zu den Menschen, noch mehr als sonst
- anpassen der Körperhaltungsvoraussetzungen
- wählen passender Literatur in passender Schriftgröße
- deutliche Aussprache als Chorleiter
- einführen gezielter beruhigender Atemübungen