Wie CDs und Chor-Apps Chorsängerinnen und Chorsänger beim Üben unterstützen können.
Repetitio est mater studiorum – Die Wiederholung ist die Mutter des Lernens, diese Weisheit hat nicht nur Bedeutung für Mediziner, Juristen oder Abiturienten sondern auch für uns Chorsänger und Musiker.
Die meisten Amateurchöre proben nur einmal pro Woche, in Phasen vor Konzerten eventuell auch mehrmals, allerdings sollten dabei die Töne im Idealfall schon sitzen. Besonders bei „großen“ und umfangreichen Werken ist die Probenzeit in fast allen Fällen viel zu kurz und an vielen Stellen sind bis oft zum Konzert Töne noch nicht ganz sicher und es fehlt die Routine mit Instrumenten, Solisten und dem Orchester.
Um in dieser Situation Abhilfe zu schaffen, haben einige Verlage und auch findige Privatleute Möglichkeiten geschaffen, uns Chorsängern zuhause eine Hilfestellung zu geben. Seit mehr als 15 Jahren gibt es eine immer größer werdende Anzahl an Übe-CDs und Übe-Apps, die hier vorgestellt werden sollen. Gedacht sind diese Angebote für alle Chorsänger, die diese Wiederholung öfters als einmal pro Woche wollen und brauchen oder auch diejenigen, die beruflich oder familiär bedingt nicht alle Chorproben besuchen können.
Was die folgende Übersicht anbelangt, muss festgestellt werden, dass ein direkter Vergleich nicht immer ganz sinnvoll erscheint. Die Herangehensweisen der Produzenten und die Neuerungen in den technischen Möglichkeiten machen es schwer, vergleichbare Parameter aufzustellen. Trotzdem sollen diese beiden Seiten einmal einen Überblick über das Angebot geben.
Da im September sicher viele Chöre wieder das Bach‘sche Weihnachtsoratorium aus dem Notenschrank ziehen werden, habe ich mich entschlossen, dieses Opus als Referenz zu nehmen. Zum einen ist es eines der wenigen Werke, das bei allen Anbietern erhältlich ist, zum anderen macht es in diesem Fall Sinn, ein Orchesterwerk auszuwählen, um die unterschiedlichen Herangehensweisen deutlich zu machen.
Chorsingen leicht gemacht –
Edition Peters (Preis: ca. 19,00-22,00 €)
Diese Reihe gehört zu den ältesten ihrer Art. Um die letzte Jahrtausendwende hat der Verlag angefangen, große Chorwerke für Chorsänger einzuspielen. Die Besetzung ist die des Klavierauszuges: Ein Klavier und vier Solisten (je nach Besetzung) singen die Chorsätze der jeweiligen Werke ein. Die CDs enthalten zwei Versionen der einzelnen Sätze: jeweils eine mit der dynamisch hervorgehobenen, eigenen Stimme und eine Version, in der nur das Klavier und alle Stimmen außer der eigenen enthalten sind. Dazu sind auch noch alle Seitenzahlen des Peters-Klavierauszuges angegeben.
Die Aufnahmen sind relativ plan und ohne große interpretatorische Intention, eine äußerst positive Eigenschaft, um den einzelnen Dirigenten die Möglichkeit zu geben, interpretatorisch tätig zu bleiben und nicht der Suggestivität einer Übe-Cd zum Opfer zu fallen. Ebenfalls erwähnens-
wert ist, dass, wo es sinnvoll erschien, die letzten Ritornelle bzw. die letzten Takte der vorangehenden Sätze mit eingespielt wurden.
Das ist besonders für die Choräle im WO wichtig. Die Aufnahmen sind intonatorisch nicht immer ganz sauber, das ist aber verständlich und verschmerzbar angesichts der Tatsache, dass diese Ausgabe die einzige im Vergleich ist, die den Text der Werke miteinbezieht und die einzige ist, die wirklich vokaliter und nur zu diesem Zweck eingespielt worden ist, was an einigen Stellen zum Üben der Textverteilung sehr hilfreich ist. Ein weiteres Manko ist die Geschwindigkeit, denn hier gibt es nur eine und das macht das Erlernen von Koloraturen nicht so einfach wie man es gerne hätte. Aber auch hier hat eben jede CD ihre physikalische Grenze und kann einfach nicht mehr aufnehmen als die legendären 74 Minuten von Beethovens Neunter…
Pro:
- Text mit dabei
- viel Spielraum für InterpretationEinleitungen zu Attacca-Stellen
Contra:
- nur eine Abspielgeschwindigkeit
Probe@home
(www.probe-at-home.de, Preis ca. 18,00 €
Volker Lahmann bietet hier Übe-CDs mit aus Midi-Daten generierten Audiofiles. Den Orchesterpart übernimmt eine Spur mit Klavierklang, die einzelnen Chorstimmen sind auch mit Klavierklängen enthalten, die eigene ist hervorgehoben. Zudem bietet Lahmann auch Versionen mit der eigenen Stimme in einer anderen Klangfarbe (Viola/Violoncello) an, das differenziert den Klang erheblich. Wie Midiaufnahmen es eben an sich haben, ist alles mathematisch korrekt und völlig frei von interpretatorischen Allüren. Alleinstellungsmerkmal ist hier ein „metodo
di 3 tempi“. Die großen und unübersichtlicheren Sätze sind hier, wo es Sinn macht, in drei Geschwindigkeiten enthalten, einmal ganz langsam, einmal auf etwas schnellere Art und einmal in annähernden Originaltempo, so dass schwierige Passagen sehr ausführlich geübt werden können. Genauso wie bei Peters sind Attacca-Übergänge enthalten, in vielen Fällen auch das gesamte vorangehende Rezitativ. Bei diesem Angebot empfiehlt es sich, die Version mit einer anderen Klangfarbe zu wählen. Die Versionen, in der alles mit dem Klavier enthalten ist, wirkt an komplexen Stellen trotz der etwas angehobenen Lautstärke intransparent und nicht gut nachvollziehbar. Weiterhin fehlt bei diesem Angebot die Möglichkeit, seine Stimme ohne eine speziell hervorgehobene Stimme abzusichern, wie es bei den anderen Anbietern üblich ist.
Erwähnenswert ist auch, dass Volker Lahmann auf seiner Homepage anbietet, individuell Übungs-CDs zusammenzustellen, ein sinnvolles und auch erschwingliches Angebot, das bei großen Verlagen nicht möglich ist. Man kann sogar eigene Noten einschicken und sich eine Übungs-CD anfertigen lassen.
Pro:
- drei Geschwindigkeiten zum Üben
- intonatorisch immer sauber
- Einleitungen zu Attacca-Stellen
- Individuelle Angebote
Contra:
- Midi-Sound wird mit der Zeit lästig
- fehlende Möglichkeit zum alleinigen Singen
carus music und Carus Choir Coach (WO: 14,99 €)
Diese beiden Angebote sind die neusten auf dem Markt. Seit etwa eineinhalb Jahren ist die Chor-App carus music auf dem Markt. Hier verbindet der Carus-Verlag Einspielungen, Klavierauszüge und Übehilfen auf einer digitalen Plattform für Smartphones und Tablet-PCs. Zu einer Einspielung des jeweiligen Werkes erklingt wahlweise eine Klavierversion der eigenen Chorstimme. Dabei ist es möglich, die Wiedergabegeschwindigkeit zu drosseln, um schwierige Stellen langsamer üben zu können. Außerdem kann die Klavierstimme („Coach“) abgeschaltet werden und man singt zur Orignalaufnahme. Bei carus music wird auf dem Tablet zusätzlich der Klavierauszug von Carus angezeigt, auf dem ein Cursor synchron zur Aufnahme mitfährt. Mit Hilfe eines Tablets können dann auch bestimmte Takte direkt angetippt werden und beliebig oft wiederholt werden, ohne dass die Rücklauf-Taste am CD-Player betätigt werden muss. Der Carus Choir Coach ist ein Derivat von carus music. Es sind klassische Übe-CDs, die mit dem Audiomaterial der Chor-App bestückt sind. Sie enthalten von jedem Chorsatz drei Versionen: eine Originalaufnahme, einmal mit Klavier und einmal mit Klavier und im langsamen Tempo.
Die Originalaufnahmen sind meistens von renommierten Ensembles und Dirigenten eingespielt (Bernius, Rademann, Herreweghe etc…), allerdings weist die Klavierstimme, die sich flexibel über die Aufnahme legen müsste, nicht immer die höchste Synchronizität auf. Natürlich ist in diesem Fall die Interpretation der Ausführenden nicht wegzudenken, sondern quasi auch Teil des Übens. Einer der größten Nachteile der Ausgabe liegt in der Charakteristik des Konzeptes: die Verbindung „lebendiger“ Musik mit der Unerbittlichkeit mathematischer Algorithmen: nicht nur die Synchronizität leidet manchmal (das fällt eher selten ins Gewicht), sondern auch intonatorische Fragen sind nicht immer befriedigend geklärt. So ist es auch bei a-cappella-Stücken oder bei Werken mit historischen Stimmungen nicht möglich, einige Töne mit einem gleichschwebenden Klavier zu synchronisieren, entweder, weil der Chor sinkt oder weil z. B. mitteltönige oder temperierte Terzen einfach zu weit entfernt sind. Dennoch ist das Konzept des Verlags zukunftsträchtig und unter den drei besprochenen sicher das elaborierteste und einfach up-to-date.
carus music
Pro:
- zwei verschiedene Übegeschwindigkeiten
- vollständiger digitaler Klavierauszug, vollständige Einspielung und Übemöglichkeit in einem, also auch Attacca-Stellen-freundlich
- einfache Handhabung per Touchscreen
- Gefühl für eine „richtige“ Orchesterbegleitung
- klarer Preis/Leistungs-Sieger
Contra:
- Tablet-PC oder Smartphone erforderlich
- einige Diskrepanzen zwischen Aufnahme und Coach
- interpretatorische Vorgaben durch die Aufnahmen
Carus Choir Coach
Pro:
- zwei verschiedene Übegeschwindigkeiten
- Gefühl für eine „richtige“ Orchesterbegleitung
Contra:
- einige Diskrepanzen zwischen Aufnahme und Coach
- interpretatorische Vorgaben durch die Aufnahmen
Fazit:
Jeder übt anders, jeder braucht eventuell auch andere Dinge und hat auch andere Voraussetzungen. Die Übe-CDs werden bei vielen Sängern noch lange bleiben, mit „Chorsingen leicht gemacht“ und dem Carus Choir Coach kann selbst beim Autofahren geübt werden, mit Probe@home können auch individuellste Stücke gründlich und sauber gelernt werden und mit carus music hat man ein Allround-Kraftpaket für verregnete Sonntagnachmittage, bei dem eine vollständige Einspielung und ein Klavierauszug für einen Preis angeboten wird, der deutlich unter dem Preis der „normalen“ Einspielung liegt.
Natürlich liegt auch nicht alles bei jedem Anbieter vor. Peters und Carus kümmern sich vorrangig um den oratorischen Bereich, gleichwohl Carus sein Angebot stetig vergrößert und ausbaut. Viele Stücke, die unsere Chöre landauf, landab singen, sind und werden wahrscheinlich nie bei den großen Verlagen erscheinen, aber das ist dann die Stärke von Probe@home.
Egal wie Sie zum Ziel kommen wollen, denken Sie einfach immer daran:
repetitio est mater studiorum!