Ein Beitrag zum Kantatenschaffen des Stuttgarter Kammermusicus Georg Eberhard Duntz
Dr. Gottfried Simpfendörfer berichtet 1994 über einen Fund von 41 Kantatenabschriften aus Leonberg, deren einziger Hinweis auf den Komponisten sich mit dem Vermerk „di Sign.: Dunz“ begnügte. Der Leonberger Fund verweilt seit 2012 im Archiv der Kirchenmusikalischen Zentralbibliothek in Tübingen, was mir zum Anlass wurde, die Kantatenabschriften im Zuge meiner Diplomarbeit näher zu untersuchen und ggf. etwas über diesen „Sign.: Dunz“ herauszufinden.
Wer war Eberhard Duntz?
Im Laufe der Zeit tauchten immer mehr Abschriften dieses Herrn Duntz auf – im Landesmusikarchiv Tübingen, im Hauptstaatsarchiv Stuttgart oder im Archiv der Landesbibliothek. Insgesamt sind über 400 Abschriften aufgetaucht, die allesamt aus der Feder Duntz‘ stammen sollten. Auf Grund dieser (für einen unbekannten Komponisten) sehr hohen Zahl von Abschriften war der nächste Schritt, neben dem allmählichen Verzeichnen der Kantaten, die Erforschung der biographischen Eckdaten des Komponisten.
Georg Eberhard Duntz wurde am 28. Januar 1707 in Stuttgart geboren. Sein Vater war der Kriegsrats-Registrator Johann Georg Duntz und seine Mutter Maria Judith, die bereits früh verstorben sein muss. Über seine Jugend ist wenig bekannt, nur dass er im Alter von 14 Jahren bereits als „Capell=knabe“ am Stuttgarter Hof diente. Diese Stellung bekleidete er bis mindestens 1726 und wahrscheinlich noch darüber hinaus. Im Juli 1730 wird Duntz Hofmu-siker, wahrscheinlich als Violinist in der Hofkapelle und taucht ab Georgii 1731 in einer Consignation über die Besoldung der Hofmusiker unter den Instrumentalisten und nicht mehr unter den Sängern auf und arbeitet dabei auch schon als Kopist. Im Oktober des Jahres 1730 heiratete Georg Eberhard Duntz Sophia Magdalena Seitzer in Renningen. Aus dieser Ehe gingen zwischen 1734 und 1753 fünf Töchter und vier Söhne hervor.
Das Jahrzehnt von 1730 bis 1740 war für Duntz und seine junge Familie nicht einfach gewesen. Besonders das Jahr 1737 war sicher voll des Bangens um den Arbeitsplatz am Hof. Hier prägte die Konsolidierung des Staatshaushaltes das Leben. In diesem Jahr wurden die drei führenden Hofmusiker, die Kapellmeister Brescianello und Hardt sowie der Hoforganisten Georg Philipp Bamberg, aufgefordert, Vorschläge für eine Minimalbesetzung der Hof- und Kirchenmusik einzureichen. Damit war Duntz‘ Arbeitsplatz mehr als gefährdet, sollte die Hofmusik doch nun tatsächlich von 63 auf nunmehr 24 Angestellte reduziert werden. Da aber Herzog Carl Rudolf einen eher betriebswirtschaftlichen denn künstlerischen Blick auf die Ausgaben der Hofkapelle zu haben schien, ist es nicht verwunderlich, dass im Laufe des Frühling 1737 die meisten der verhältnismäßig hoch bezahlten italienischen Musiker ihren Hut nehmen mussten und Stuttgart verließen.
Das war das Glück Duntz‘, er war ab dem 18. September 1738 wieder Mitglied in der Hofmusik. Mit 200 fl. zwar schlecht bezahlt aber zumindest mit einem festen Arbeitsplatz versorgt. Oberkapellmeister Johann Daniel Hardt versuchte 1738, eine Gehaltserhöhung für Duntz zu erwirken. Diese amtliche Hilfe verschaffte Duntz ab 1738 immerhin 25 fl. mehr im Jahr und sein Gehalt stieg damit auf 225 fl.
Duntz‘ Wunsch nach Anerkennung und besserer Bezahlung bleibt aber weiter bestehen. Er selbst schreibt 1742 über sich:
„[…] durch meine schon 24. Jahr Lang geleistete Dienste, und darinnen auf eigene Costen gethane Reysen vor andern dazu tüchtig gemachet, und im Componieren mich in in solchen Stand gesezt, daß ich mit Neuen musi[c]alischen Stücken gnädigste Herrschaften zu Jederzeit in Unterthänigkeit contentieren kann und offerire mich anbey, daß Ich deren fürstl. Caßsen mit einer Besoldungs zu Laag bevor nicht beschwerlich sein will, als biß sich etwas vacates ereignet […]“
Damit zeichnet sich ab, was Duntz in den Vor- und Folgejahren immer wieder attestiert wurde. Mit seinen erhaltenen Vermerken lässt sich zwar kein volles Lebensbild Georg Eberhard Duntz‘ erstellen, es lässt aber erkennen, dass er mit seiner Anstellung und seiner Position nie wirklich zufrieden war. Seine Gesuche auf die Zuerkennung des Konzertmeistertitels wurden trotz des amtlichen Zuspruchs der Kapellmeister nie befürwortet. Zwar unterschreibt Duntz ab 1749 dann als „Cammer Musicus“, jedoch scheint das nur ein Titel ohne finanzielle Auswirkungen zu sein. Er behielt sein eher durchschnittliches Gehalt von 350 fl. und scheint sich damit dann abgefunden zu haben, denn nach 1750 sind keine derartigen Anmerkungen mehr zu finden.
Nachdem im Dezember 1762 seine Frau gestorben war, kam Duntz nach seiner vorläufigen „resignation und differirung“ noch für etwa fünf Jahre zurück in die Hofkapelle, bis er 1768/1769 endgültig in den Ruhestand ging. Er starb am 27. April 1775 in Stuttgart, ein Dekret an das Oberhofmarschallamt vom 1. Mai lautet:
„Euer herzogliche Durchlaucht solle andurch submissist anzaigen, daß der herzogl. Cammer Musicus Duntz, welcher bis jezo bey der herzgl. General Caßse eine jährliche Pension con 350 fl. genossen allhier gestorben ist.“
Zur Entstehung der Kantatenjahrgänge
Während seiner Zeit am Stuttgarter Hof schuf Georg Eberhard Duntz zwei vollständige Jahrgänge mit Kantaten zu allen Sonn- und Gedenktagen des Kirchenjahres. Dass der Kompositionsauftrag direkt an Duntz gegangen ist, scheint etwas sonderbar: Während die Komponisten der vorherigen Jahrgänge stets Hoforganisten waren, wurde mit Duntz ein Violinist bedacht. Er schrieb für diesen Auftrag einen Kantatenzyklus zu allen Sonn- und Feiertagen des Kirchenjahres 1748/1749, und darüber hinaus auch Kantaten für alle Sonntage, die im Kirchenjahr 1748/1749 nicht vorkamen, aber möglich waren. Da in Stuttgart nicht jedes Jahr ein neuer Kantatenjahrgang komponiert wurde, war es üblich, ältere Jahrgänge wiederholt aufzuführen, es ist deshalb davon auszugehen dass Duntz seinen Jahrgang bewusst auf eine Wiederholung auslegte. Vielleicht rechnete er auch bei der Verfertigung mit dem Verkauf seines Jahrgangs an andere Kirchengemeinden.
Die erste Kantate aus der Feder des Kammermusicus Duntz mit dem Titel „Zion, du Predigerin, steige auf einen hohen Berg“ hat ihre Uraufführung am1. Advent 1748 erfahren. Nachdem er selbst den ganzen Dezember 1748 die Partituren für seine sonntäglichen Kantaten erstellt und zudem alle Stimmen kopiert hatte, reflektierte er seine Situation in einem Brief an Herzog Carl Eugen.
Anfang Januar 1749 schrieb er:
„[…] daß ich unterthänigst unterzogener zu einem Neuen Musicalischen Kirchen Jahrgang und zu der Mir zugekommenen, Neuen Poesie Eine Musicalische Composition nach hochfürstl. gnädigsten Befehl verförtiget, mit welchem vom Advent an bereits der anfang gemacht worden und dessen Continuierung an mir nicht ermangeln solle, wann nur zu Aufschreibung der partituren Mir Jemand zum copiren zugegeben wird, in dem es mir ohnmöglich, ja nicht zuzumuthen, auch die Stimmen alle Wochen Schluss zu schreiben […]“.
Da Duntz diese Aufgabe schon von Anfang an nicht alleine bewältigen konnte ohne seine Dienste am Hof zu vernachlässigen, hatte er privat einen Kopisten beschäftigt „damit es an Sonn= und Feyertägen [an der Musik] nicht fehlen möge“ wofür er keine „bonification“ erhalten habe.
Bis November des Jahres 1749 entstanden so insgesamt 76 Kantaten und vermutlich eine Trauermusik („Ich glaube, dass ich leben werde“, DuntzWV 153). Dieser erste Jahrgang wurde 1754/1755 nochmals aufgeführt. Vielleicht war die zweite Aufführung der Kantaten eindrücklicher als die erste, vielleicht war auch niemand zur Hand, der im folgenden Jahr einen neuen Kantatenjahrgang schreiben konnte. Gesichert ist, dass er im Kirchenjahr 1755/1756 einen zweiten, ganz neuen Jahrgang komponierte. Auch dieser beginnt mit dem ersten Advent und umfasst insgesamt 76 Kantaten auf alle Sonn- und Feier- und Gedenktage des Kirchenjahres, von denen alle erhalten sind.
Auffällig in beiden Jahrgängen ist das Fehlen der Kantaten für den Palmsonntag und den Karfreitag. Dass an Karfreitag keine Kantate aufgeführt wurde, ist leichter nachzuvollziehen als das Ausbleiben einer Kirchenmusik am Palmsonntag. Die Perikopenordnungen des 16., 18., und 19. Jahrhunderts geben Auskunft über die Predigttexte beider Perikopenjahrgänge.
Der Palmsonntag hatte nach altkirchlicher und Bidembach’scher Perikope den Einzug Jesu in Jerusalem (Matthäus 21, 1-9) und den Hymnus aus dem Philipperbrief vorgesehen. Erst mit der Änderung der Perikopen ab 1792 tritt an diese Stelle die Leidensgeschichte, und zwar in beiden Jahrgängen. Dass der Palmsonntag damit eine ganz deutliche Ausrichtung in die Karwoche erfahren hat, erklärt auch, warum am Palmsonntag keine Kantate aufgeführt wurde. Da die Hofkirchen in Stuttgart und Ludwigsburg schon immer eine in Württemberg herausragende und impulsgebende Funktion hatten, ist anzunehmen, dass eine Änderung der Predigttexte durch die Oberhofprediger und den Kirchenrat nicht undenkbar gewesen ist. Das Fehlen der Kantaten zu diesen Sonntagen stützt also die Theorie, dass es schon vor der Kirchenordnung von 1792 eine Änderung zumindest in der Schlosskirche in Stuttgart oder der Hofkirche in Ludwigsburg gegeben haben dürfte.
Zur Form der Kantaten
Die Kantaten von Georg Eberhard Duntz folgen mit einigen wenigen Ausnahmen dem klassischen Aufbau einer kurzen, barocken Kantate. Die Standardbesetzung besteht aus einem vierstimmigen Chor (SATB), einem Streichquartett und je nach Feiertag und inhaltlicher Relevanz auch Instrumente wie Hörner, Trompeten, Oboen und selten auch Flöten. Sie beginnen meist mit einem Eingangssatz, der nur mit „Tutti“ überschrieben ist.
Die Eingangssätze selbst beginnen immer mit einem Orchestervorspiel von einigen Takten, bevor der Chor einsetzt. An größeren Feiertagen (1. Advent, Laetare, Christusfeste etc.) oder wo es der Text erfordert, kann der Eingangssatz auch von Solisten durchdrungen sein. Der Eröffnungssatz ist fast immer eine Vertonung von Texten aus AT und NT, allerdings gibt es auch auch die ein- oder andere Choralstrophe, die ohne melodisches Material des Chorals im Eingangssatz vertont wurde. Dem Eingangschor folgen in der Regel ein Rezitativ, eine Arie und die Kantate schließt mit einem schlichten Choral.
Die Arien beweisen, dass Duntz eher für professionellere Ensembles und Sänger schrieb. Die Vokalstimmen der Rezitative und Arien sind zum Teil äußerst virtuos und schwer zu beherrschen. Auch die Stimmen der beiden Violinen zeigen, dass Duntz sehr gut mit diesem Instrument umgehen konnte. In ihrer Komplexität stehen sie mit großem Abstand vor den restlichen Stimmen. Geradezu auffällig ist, dass Viola- und Violone-Stimmen sehr einfach gestrickt sind und im Vergleich zu den Violinstimmen manchmal eher banal wirken. Stilistisch sind diese Kantaten spätbarock bis sehr frühklassisch mit einem leichten, italienischen Einschlag geartet. Viele Arien erinnern schon stark an C.P.E. Bach, die Rezitative sind in ihrer Harmonik und ihrem Affekt sehr barock, die italienischen Einflüsse rühren stark von Giuseppe Brescianello und Niccolo Jomelli, die gleichzeitig mit Duntz am Stuttgarter Hof gewirkt haben und mit deren (Opern-)Kompositionen Duntz mutmaßlich viel Erfahrung hatte und die in Stuttgart äußerst beliebt waren.
Der Librettist der Kantaten ist heute nicht mehr erhalten. Deshalb lässt sich über den Textdichter nichts verbindliches sagen. Es scheint aber durchaus möglich, dass Philipp Friedrich Hiller sich für einen der beiden Jahrgänge als Textdichter angeboten hat. Nachweislich hat der Steinheimer Pfarrer auch Libretti für den Stuttgarter Hof geschrieben. In jedem Fall sind die Kantaten ein Kind ihrer Zeit. Neben vielen bekannten Choralstrophen „trieft“ das Oeuvre regelrecht von württembergischem Pietismus und so manche Stilblüte regt so manches Mal zum Schmunzeln an.
Zur Rezeptionsgeschichte der Kantaten
Kantaten aus den Duntz’schen Jahrgängen sind über das ganze Königreich Württemberg verstreut aufgefunden und aufgeführt worden. Die Abschriften stammen alle aus dem späten 18. und ganz frühen 19. Jahrhundert. Danach wurde noch eine Kantate in den späten 1940er-Jahren nach dem Fund der Abschriften in Leonberg aufgeführt, seitdem ist es um Georg Eberhard Duntz im wahrsten Sinne des Wortes „still“ geworden. Umso erfreulicher ist es, dass Dr. Helmut Völkl, Kantor an der Christuskirche Korntal, die editorische Arbeit aufgreift und zwei Adventskantaten am dritten Advent 2016 aufführen wird. Denn auch wenn die Kantaten Duntz‘ musikalisch nicht mit den Größen der Musikgeschichte mithalten können, so ist es dennoch wichtig, sich mit „unseren eigenen“, schwäbischen Musikgeschichte auseinanderzusetzen, allein schon um wieder zu erfahren und zu hören, was „unsere eigenen“ Komponisten komponiert und aufgeführt haben. Eine solche Erfahrung erschöpft sich sicher nicht mit Georg Eberhard Duntz, sondern betrifft auch Namen wie Johann Ulrich Steigleder, Samuel Capricornus, die Organistenfamilie Druckenmüller, Friedrich Silcher und auch Komponisten der neueren Zeit.