Lied, Lyrics und Wein – Silchers Lieder und ihre Dichter
Von rund 150 Autoren hat Friedrich Silcher Texte vertont – zu viele, um sie alle in einer einzigen Ausstellung präsentieren zu können. Eine Auswahl war nötig. Da nun die Sonderschau des Museums anlässlich der Baden-Württembergischen Literarturtage in Weinstadt und zugleich im Hinblick auf die Große Landesausstellung „Die Schwaben“ konzipiert wurde, lag es nahe, die Auswahl auf Lyriker aus dem Südweststaat zu konzentrieren. Übrig geblieben sind dabei immer noch mehr als vierzig Personen.
Die Namen der Dichter findet der Besucher auf der großen Schultafel im Ausstellungsraum alphabethisch aufgeführt. In dieser Reihenfolge sind sie dann auch in den acht Vitrinen mit jeweils ein bis zwei Werkbeispielen vertreten. Dabei handelt es sich überwiegend um Handschriften und Frühdrucke des Komponisten. Porträts der Autoren reichern das Material zusätzlich an.
Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, nicht nur die Prominenz der „schwäbischen Dichterschule“ (z. B. Uhland, Kerner, Schwab) zu Wort kommen zu lassen; auch an die weniger bekannten und an die ganz vergessenen Dichter aus der Umgebung des Komponisten sollte erinnert werden.
Tübingen war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein wahrer Parnass, unzählige Lyrikfans tummelten sich damals auf diesem Musenhügel.
Dichter unter Silchers Schülern
Vor allem unter Silchers Studenten gab es viele, die sich dem Verseschmieden oft mit größerer Leidenschaft hingaben als ihrem Studium. So einer war z. B. Wilhelm Waiblinger. In Tübingen fiel er nicht nur wegen seiner literarischen Begabung auf, sondern auch wegen seiner skandalträchtigen Lebensweise. Letztere führte 1826 zu seiner Relegation von der Uni und zu seinem Abzug nach Italien. Silcher hat von diesem „Jungen Wilden der Biedermeierzeit“ ein Liebesgedicht mit einer Melodie aus Beethovens Sonate pathetique zu einem Kunstlied arrangiert und mit dem Titel „Das Auge der Geliebten“ veröffentlicht.
Ein anderer „Exot“ in der Liste der Autoren ist Gottfried Weigle. Der Schöpfer des Heimatliedtextes „Drunten im Unterland, da ist´s halt fein“ brachte zwar sein Theologiestudium zu Ende, aber in seinem hoch gelobten Unterland hielt es ihn dann auch nicht lange. Im Auftrag der Basler Mission zog er nach Asien und wurde ein bedeutender Erforscher indischer Dialekte.
Mit Weigles Gedicht sind wir beim Thema Volkslied angekommen. Die Tübinger Studenten haben solche Lieder damals fleißig gesammelt und Silcher zur Bearbeitung und Veröffentlichung überlassen. Aber nicht jedes dieser Lieder war so „echt“ wie angegeben; das erfährt man in der Ausstellung am Beispiel „Der Jäger und die Nixe“. Der Student Ottmar Schönhuth hat diesen Text Silcher als altes, von ihm selbst irgendwo aufgelesenes Volkslied zugesteckt, und Silcher hat das Lied gutgläubig so veröffentlicht. Erst viele Jahre später gestand Schönhuth (inzwischen Pfarrer), dass er den Liedtext damals selbst geschrieben habe.
Dichten „im Volkston“
Dichten „im Volkston“ war zu Silchers Zeit generell groß in Mode; die bevorzugten Themen: Natur, Liebe und Heimat. Heinrich Heine spottete damals, die Schwaben seien weltfremd und besängen nur „Gelbveiglein“ und „Metzelsuppen“. Karl Gutzkow wiederum bezeichnete die Schwabendichter wegen ihres Hangs zur Naturlyrik als „grün beschattet“.
Doch nicht jeder Text, der im schlichten Gewand des Volkslieds ein Naturthema besingt, ist so realitätsfern, wie man zunächst glauben mag. In der Ausstellung verdeutlicht Friedrich Richters Lied „Die Schwälble ziehet fort“ dies sehr gut. Lässt man nur einen einzigen Buchstaben weg, werden aus den „Schwälble“ Schwäble und aus dem Abschiedslied auf die Zugvögel ein trauriges Lied auf die Auswanderer, die damals Württemberg scharenweise verlassen haben.
Silchers dichtende Studenten waren mitnichten nur romantische Träumer. Dazu zwei Beispiele: Das eine ist der Text zur Melodie der Marseillaise, den der Theologiestudent Friedrich Wurm verfasste. Silcher hat diesen Text 1824 mit der Melodie des französischen Revolutionsmarsches zu einem Lied arrangiert; die jungen, revolutionär gesinnten Studenten haben es dann auf dem Tübinger Marktplatz vorgetragen haben. (Wurm wurde übrigens später nicht Pfarrer, sondern ein bedeutender Wirtschaftsredakteur in Hamburg.)
Das andere Beispiel ist Georg Herweghs „Reiterlied“. Herwegh, einst ebenfalls ein Schüler Silchers, hat den Text 1841, als
er bereits im Exil in der Schweiz lebte, verfasst. Da das Gedicht in der dritten Strophe die Freiheit preist, galt es als „Freiheitslied“ und fiel somit unter die Zensur. Silcher hat in seiner Veröffentlichung die inkriminierte Strophe weggelassen, um nicht ebenfalls der Zensur zum Opfer zu fallen; aber in seiner für die Akademische Liedertafel angefertigten handschriftlichen Version des Liedes ist diese Strophe – wie in der Ausstellung zu sehen – enthalten!
Ausstellung gibt die Breite des Schaffens wieder
In der Ausstellung sind noch viele ähnlich interessante Beispiele zusammengestellt. Sie verdeutlichen nicht allein die thematische Breite in Silchers Liedschaffen, sondern auch die Vielfalt der Persönlichkeiten und Charaktere, die zur Umgebung des Musikpädagogen gehörten. Silcher hat bekanntlich nie einen Schüler aus konfessionellen oder weltanschaulichen Gründen zurückgewiesen. Dass er vielen von ihnen durch die Vertonung eines oder mehrerer Gedichte einen Platz in seinem eigenen Werk einräumte, belegt seine tief verwurzelte liberale Grundhaltung.
Diese liberale Haltung bestätigt auch ein Lobgedicht mit den Eingangsworten: „Silcher war ein Demokrate, und dies in sehr hohem Maße“. Die etwas holprigen, von einem Schüler des Komponisten stammenden Verse sind in einer Vitrine ausgestellt, deren Motto „Gedichte auf Silcher“ lautet. Einige weitere (und auch gelungenere) Arbeiten zeigen hier, wie Silcher von seinen Verehrern besungen wurde.
An den Wänden des Ausstellungsraums findet der Besucher schließlich eine Reihe von Bildern, die sich nach zwei Themen gruppieren: Das eine sind Lied-Illustrationen aus unterschiedlichen Zeiten. Wie stark die bildlichen Interpretationen eines Werkes ausfallen können, veranschaulichen die Arbeiten zu Wilhelm Hauffs „Morgenroth“: Vor und während des Ersten Weltkriegs ist dieses Soldatenlied ein Lieblingsmotiv kitschiger, den Krieg verniedlichender Postkartenserien gewesen; unmittelbar nach den erlebten Kriegsgräueln sahen die Künstler das Lied dann kritischer (und wohl auch näher an Hauffs eigener Intention).
Die andere Gruppe der ausgestellten Bilder präsentiert allegorische Gestalten zum Thema Lied und Sänger. Sie erinnern daran, dass Lyrik und Lied seit jeher eng zusammengehören. Die Lyrik selbst hat ja ihren Namen von einem Musikinstrument, der Lyra, erhalten. Leier, Kithara oder Harfe trägt denn auch jeder, der diese Künste verkörpert: der griechische Musengott Apoll ebenso wie der biblischer König David, die legendären Sänger Orpheus, Homer und Ossian genauso wie die Liebesmuse Erato oder die romantische Märchenfee Loreley. Sie alle runden mit kleinen, aber reizvollen Bildbeispielen das Ausstellungsthema „Silcher
und die Dichter“ sinnvoll ab.
In der Ausstellung liegt eine Mappe aus, die neben den Biographien der einzelnen Lyriker auch deren Bildnisse sowie weitere aufschluss-
reiche Texte enthält.