Wie der Schwäbische Chorverband mit seiner Arbeit die Gesellschaft mitgestaltet
Gesellschaftliche Ziele
• Singen als Sozialkompetenz vorleben und vermitteln
• Förderung des musikalischen und sozialen Lernens von Kindern und Jugendlichen ausbauen
• politische und finanzielle Rahmenbedingungen im öffentlichen und wirtschaftlichen Bereich stabilisieren
• Netzwerke zur Unterstützung und Förderung der Chorarbeit im Land schaffen
Der Schwäbische Chorverband hat im Jahr 2011 sein Leitbild beschlossen, wobei viel Arbeit hinter diesem kleinen Satz steckt. Und es ist dem Verband wichtig, dass das Leitbild nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch gelebt wird. Es ist die Grundlage für unsere gemeinsame Arbeit.
Bevor ich zu den gesellschaftlichen Zielen des Verbandes etwas sage, möchte ich eine kurze Bestandsaufnahme wagen.
Wie steht es momentan um das Chor-singen bei uns?
• Singen hat (wieder) einen Stellenwert in unserer Gesellschaft
• Singen im Chor/im Ensemble findet immer mehr Zulauf
• Singen in unseren Chören hat leider nicht den Zulauf, der in diesem Aufwärtstrend erwartet werden könnte
Einige Gründe:
• Es fehlt an qualifizierten Chorleitern, die bereit sind, mit Amateurchören zu arbeiten
• Es fehlt an modernen Vereinsstrukturen
• Es fehlt an Kooperationen
• Die Menschen haben keine Zeit mehr
• Es gibt ein Überangebot an Freizeitaktivitäten
Ich gebe zu, das ist eine sehr kurze Analyse der gegenwärtigen Situation, aber die Punkte haben es in sich.
Warum geben wir nicht „einfach“ auf und lassen den Dingen ihren Lauf? Die Präambel des Leitbildes gibt die Antworten:
„Das Singen ist eine elementare mensch-liche Lebensäußerung, in der sich unsere menschlichen Fähigkeiten, unser ästhetischer Anspruch und unsere kulturelle Vielfalt manifestieren. Singen ist ein Grundbedürfnis aller Alters- und Bevölkerungsgruppen. Es verbindet gesellschaftlich und kulturell.
Besonderer Ausdruck unserer Kultur ist das Singen in Gemeinschaft, gestern – heute – morgen, in dem die Überlieferung und Aktualität gleichermaßen aufgegriffen und dargestellt werden.“
Dass das Singen in der Familie und auch in Kindergärten und Schulen jahrelang vernachlässigt wurde, hat vielerlei Gründe. Ich plädiere dafür, die Analysen im Hinterkopf zu haben, sich aber nicht vom Verharren in Gewesenem und Jammern blockieren zu lassen, sondern an den Parametern zu arbeiten.
Betrachten wir das Leitbild, so wird deutlich, dass die Ziele des SCV für viele momentanen Herausforderungen eine Lösung bieten können. Die Zeit, in der eine solche Aussage belächelt wurde, ist angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse, aber auch der negativen gesellschaftlichen Entwicklungen, die selbst der Wohlmeinenste nicht mehr ignorieren kann, vorbei. Über 30 Jahre war der SCV zusammen mit anderen Amateurmusikverbänden der Mahner in der Wüste.
Allerdings nützt es uns nichts, wenn wir sagen können, wir haben recht gehabt. Vor allem nützt es den Menschen nichts, für die wir verantwortlich sind.
Singen und Sozialkompetenz
Es ist ja nicht so, dass wir bei Null anfangen. Als gesellschaftliche Aufgabe haben wir uns vorgenommen, „Singen (im Verein) als Sozialkompetenz vorzuleben und zu vermitteln und die Förderung des musikalischen und sozialen Lernens von Kindern und Jugendlichen auszubauen“. Bei der Betrachtung unseres Vereinslebens stelle ich fest, dass die Sozialkompetenz in unseren Vereinen hoch ist. Menschen „von außen“ merken oft an, wie angenehm und harmonisch Chortreffen sind. Ein Ergebnis der Modellkonzerte „Schule und Verein singen gemeinsam“ war, dass Schüler und ihre Eltern überrascht waren, wie gut die Kinder im Verein aufgenommen und betreut wurden. Leider gibt es jedoch öfters auch Berichte von Chormitgliedern, die gemobbt werden oder von Generationenkonflikten im Verein (Stammchor gegen Junger Chor, junge Führungskräfte werden ausgehebelt). Menschen werden emotional beschädigt.
Sozialkompetenz leben und vermitteln – das können wir noch besser. Auch was die Einbeziehung von Menschen aus anderen Kulturen, die Integration von Menschen aus schwierigen sozialen Verhältnissen oder Menschen mit Behinderungen anbelangt, haben wir noch viel Arbeit vor uns. Ich warne davor, die Ziele und Ansprüche zu hoch zu setzen, denn manches scheitert an ganz banalen Dingen. Es wäre schön, wenn wir nicht mehr „typisch deutsch“ reagieren, nämlich aufzugeben, wenn nicht alles gleich 100 Prozent funktioniert oder gar nicht erst anzufangen, weil es schon hundert Mal vorher versucht wurde und „sowieso nicht klappt …“
Schritt Für Schritt voran
Kleine Schritte bringen uns weiter als große Hüpfer, bei denen wir auf die Nase fallen. Wir haben uns weiter vorgenommen, „politische und finanzielle Rahmenbedingungen im öffentlichen und wirtschaftlichen Bereich zu stabilisieren“ und „Netzwerke zur Unterstützung und För-
derung der Chorarbeit im Land schaffen“.
Was das Letztere anbelangt, haben wir durch den Zusammenschluss der Amateurmusikverbände im Landesmusikverband Baden-Württemberg einen Quantensprung geschafft. Wenn früher jeder Amateur-musikverband für sich buchstäblich allein gekämpft hat, so versuchen wir heute, die gemeinsamen Interessen zu finden und zu bündeln, wobei es von zentraler Bedeutung ist, dass jeder Verband seine individuellen Stärken leben kann. Nur so hat dieser Zusammenschluss Zukunft und keiner fühlt sich bevormundet.
Politische und damit auch ein stückweit die finanziellen Rahmenbedingungen stabil zu halten, ist keine leichte Aufgabe. Unsere Lobby ist noch nicht groß genug. Ich möchte hier nicht in die Diskussion Förderung der Amateurmusik im Vergleich zur Förderung des Amateursports eintreten, das ist nicht zielführend. Ich möchte lieber an unsere Mitglieder appellieren, die Lobby zu vergrößern, in dem sie zu ihrem Hobby stehen und es nach außen vertreten, sympathisch aber hartnäckig.
Nicht umsonst wurde das Deutsche Vereinswesen bei der UNESCO als immaterielles Weltkulturerbe angemeldet. Es liegt an uns, dies in der Öffentlichkeit zu leben und bekannt zu machen.
Wo sehe ich den Verband in 10 Jahren?
Zehn Jahre ist eine kurze Zeit, wenn ich daran denke, welche Aufgaben wir vor uns haben. Sehr leichtfertig wurden in den vergangenen Jahren durch politische Entscheidungen Tatsachen geschaffen, für die es Jahre brauchen wird, sie wieder zu „heilen“. Wenn wir aber dranbleiben und mit allen gemeinsam – auch mit der Politik – die Rahmenbedingungen weiter verbessern, unter denen wir arbeiten, dann wird es uns gelingen, dass wir vielleicht auch erst in 20 Jahren wieder das tun können, für was wir eigentlich stehen: Menschen die Möglichkeit zu geben, in Gemeinschaft gute Chormusik zu machen und zu hören.
Dr. Jörg Schmidt
Dr. Jörg Schmidt ist Jurist und Präsident des Schwäbischen Chorverbandes.