Tradition verpflichtet – warum Amateurvereine im Südwesten eine solch wichtige Rolle einnehmen
Der Verein als Kulturträger – ein Thema, das wichtig doch gleichzeitig schwer zu fassen ist. Der Landesmusikverband hat 2015 den Antrag gestellt, die Vereinslandschaft im Südwesten in das immaterielle Weltkulturerbe aufnehmen zu lassen – aus gutem Grund, denn Vereine bieten der Gesellschaft so viel mehr als „nur“ Konzerte.
Eine lange Tradition
Die Amateurmusikvereine in Baden-Württemberg können bereits auf eine lange und ereignisreiche Geschichte zurückblicken. So hat im Mai 2017 der Musikverein Schwäbisch-Hall bereits sein 200-jähriges Jubiläum feiern können. Die Gründe für den Zusammenschluss zu Gesang- und Musikgruppen waren sowohl im bürgerlichen, als auch im Arbeitermilieu sehr ähnlich. Zum einen ging es natürlich um die Geselligkeit, zum anderen aber auch durchaus um politische und gesellschaftsgestaltende Themen.
Der Verein als Diskussionsforum
Gerade im Bereich der Arbeitersängerbünde entstanden nicht nur Lieder mit revolutionärem Gedankengut, sondern die wöchentlichen „Singstunden“ wurden auch für ausgelassene politische Diskussionen genutzt. Auch im bürgerlichen, besonders oft in studentischen Vereinigungen, spielten gesellschaftliche Entwicklungen eine Rolle. Diese Vereinskultur in Baden-Württemberg etablierte so eine ganz eigene Art Ineinandergreifen von Politik, Geselligkeit und Musik.
Die Vereine sind Kinder ihrer Zeit
Damit sind diese Verbindungen nicht nur Zeugen und Kinder ihrer Zeit, sondern auch in besonderer Weise mit der Kultur im Land verwoben. Gesangvereine sind so vielerorts seit mehr als 100 Jahren ein wichtiger Teil der Stadt- und Dorfgemeingemeinschaft. Tradition ist die eine, Fort-
schritt die andere Seite der Medaille Verein. Heute stehen Amateurmusikvereine oft im Spannungsfeld zwischen der Tradition auf der einen Seite und dem Wunsch, den Verein zukunftsgerichtet weiter zu führen auf der anderen Seite. Das ist eine Herausforderung, die mit Know-How und Engagement aber zu bewältigen ist!
Zwischen Tradition und Zukunft
Stillstand ist schlecht für einen zukunftsorientierten Verein. Die Frage, wohin und wie denn eigentlich die Weichen für die Zukunft gestellt werden sollen, wird oft aus Angst vor der Antwort nicht oder zu spät gestellt – oder sie lässt mehr Fragen als Antworten zurück. Es gibt aber auch positive Beispiele. Vereine, die wieder aufstehen, den Staub abschütteln und mit einer ordentlichen Portion Selbstbewusstsein vorangehen. Manchmal hilft dabei sogar ein Blick in die Vergangenheit.
Der Schwäbische Sängerbund als gemeinsame Plattform
Im Jahr 1849 gründeten Vereine aus dem Württembergischen den Schwäbischen Sängerbund (heute Schwäbischer Chorverband) und schufen damit eine Organisation, die demokratischen, musik-kulturellen und gesellschaftlichen Ideen eine gemeinsame Plattform gab. Sänger, die sich zur Verfolgung gemeinsamer Ziele eben zu einem Bund vereinigten.
Die gesellschaftlichen Pflichten der Vereine
Diese Gründungsgedanken sind heute noch ein wichtiges Kulturgut – nicht nur für den Schwäbischen Chorverband. Vereine haben aus ihrer Tradition heraus auch heute noch eine wichtige kulturelle Aufgabe: Gemeinschaft leben, aber auch die Gesellschaft bei ihren Aufgaben unterstützen. Sei es beim Umgang mit dem demographischen Wandel, den geänderten Gesellschaftsstrukturen, den Herausforderungen der Flüchtlingsbewegung… die Themen sind vielzählig und ein guter Grund sie anzugehen.
Das Vereinsbild heute
Im Bericht „Kultur 2020“ des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Forschung heißt es „Die über 12.000 Ensembles der Laienmusik mit mehr als 1,2 Mio. Mitgliedern haben es sich zur Aufgabe gemacht, Kulturausübung für eine große Anzahl von Menschen aus allen Bevölkerungsschichten zu ermöglichen; dabei sind sie offen für alle Stilrichtungen. In den Vereinen begegnen sich Menschen aus unter-
schiedlichen Gruppen und Generationen. Gerade im ländlichen Raum spielen Musik- und Gesangvereine eine große Rolle. Sie sind wichtige Träger des kulturellen Lebens und nehmen auch jugendpflegerische Aufgaben wahr. Zur Förderung der Zusammenarbeit und zur Stärkung der Außendarstellung“.
Fazit
Dieses Bild sollte Ansporn sein für die wichtige Weichenstellung in Richtung Zukunft.
Isabelle Arnold