Der Bundesfinanzhof und die Freimaurer
Was haben die Männerchöre und die Freimaurer gemeinsam? Beide sind qua Satzung und – selbst erteiltem – Auftrag reine Männersache. Was die Freimaurer-logen angeht, soll dies nach einem brandneuen Urteil des Bundesfinanzhofs nun ein Ende haben. Dieses hat nämlich kurzer Hand der klagenden Freimaurerloge die Gemeinnützigkeit entzogen bzw. die Entziehung durch die zuständige Registerbehörde bestätigt.
Das Urteil vom 17. 05. 2017, V R 52/15, mit dem Wortlaut der Urteilsbegründung wurde erst vor wenigen Tagen veröffentlicht. Der Bundesfinanzhof traf folgende rechtliche Feststellungen:
• Die traditionelle Freimaurerloge ist nicht gemeinnützig
• Sie diskriminiert Frauen, da diese nicht Mitglieder werden können
• Damit fehlt die gemeinnützigkeitsrechtliche Anforderung der „Förderung
der Allgemeinheit“
• Eine Gleichheit im Unrecht gibt es nicht.
Bisher gibt es noch nicht viel an Kommentaren und Entscheidungskritik. Die Tageszeitung „Die Welt“ hat sich mit dem Thema befasst, die Neue Musikzeitung (NMZ) in ihrer Online-Ausgabe, schließlich der Bundesfinanzhof selbst in einer Pressemitteilung. In Letzterer ist zu lesen:
„Die Entscheidung ist zu einer traditionellen Freimaurerloge ergangen. Das Urteil des BFH könnte sich aber auch auf Vereine auswirken, die die Gemeinnützigkeit in Anspruch nehmen, aber wie z. B. Schützenbruderschaften, Männergesangvereine oder Frauenchöre Männer oder Frauen ohne sachlichen Grund von der Mitgliedschaft ausschließen.“
Immerhin die amtliche Pressemitteilung des entscheidenden höchsten deutschen Finanzgerichts.
Kein Wunder, dass erste Reaktionen aus den interessierten, weil betroffenen Kreisen, Paniktöne enthielten. Denn immerhin: Was ist ein „sachlicher Grund“, der eine rechtliche Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Sinne des Artikels 3 Abs. 1 des Grundgesetzes zulässt?
Bei den Freimaurern hat es „nicht gereicht“. Hier führte der Bundesfinanzhof folgendes aus:
„Der Ausschluss von Frauen als Mitglieder wird auch nicht durch die Tradition der Freimaurerlogen gerechtfertigt. Wie sich aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt, ist die heutige Freimaurerei aus sogenannten Steinmetzbrüderschaften des Mittelalters hervorgegangen, also den Vereinigungen jener Kunsthandwerker, die mit der Errichtung von Kathedralen ihren Unterhalt verdienten. Der Hinweis auf die geschichtliche Tradition ist allerdings nicht geeignet, die Ungleichbehandlung im Streitfall zu rechtfertigen. Denn die traditionelle Prägung eines Lebensverhältnisses (im Streitfall die der Freimaurer als Bruderschaften) reicht für eine Ungleichbehandlung nicht aus. Das verfassungsrechtliche Gebot des Artikels 3 Abs. 2 und 3 GG verlöre seine Funktion, für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen, wenn die vorgefundene gesellschaftliche Wirklichkeit hingenommen werden müsste.“
Geschlechter-Gleichberechtigung bricht geschichtliche Tradition.
Die Tatsache, dass die Freimaurer seit ihrer Gründung im Mittelalter eine reine Männerveranstaltung waren und ihre gesamte Tradition, ihre Rituale, ihre Prinzipien darauf aufbauen, dass in ihrer Organisation nur Männer Mitglied und tätig sein können, ist nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs kein sachlicher Grund für den Ausschluss der Aufnahme von Frauen in der Satzung und deshalb Grund, die Gemeinnützigkeit zu entziehen, weil nicht die Allgemeinheit, sondern nur deren männliche Hälfte in den Genuss der Mitgliedschaft kommen kann.
Die Warnung an andere, im Zugang geschlechtsspezifische Körperschaften liefert die Pressemitteilung des Bundesfinanzhofs gleich mit, die unsere Männer- und Frauenchöre miteinbezieht und auch für diese den Entzug der Gemeinnützigkeit für möglich hält. Wohlgemerkt: Das Urteil selbst schweigt sich darüber aus; die geschlechtsspezifischen Chöre waren auch gar nicht Streitgegenstand.
Konsequenzen für Männer- und Frauenchöre?
Es ist viel zu früh, aus dieser Entscheidung für Männer- und Frauenchöre Schlüsse zu ziehen, erst recht, vorbeugende Maßnahmen zu treffen. Dafür besteht nicht der geringste Anlass.
Verschiedene Gründe legen nahe, dass eine entsprechende Entscheidung für Männer- und Frauenchöre (das Gleiche müsste ja wohl auch für die geschlechtsspezifischen Kinder- und Jugendchöre gelten!) nicht zu erwarten ist: Für die Aufnahme nur von Männern in Männerchören gibt es einen sachlichen Grund: In einem Männerchor können schon vor dem Hintergrund der vorhanden Chorliteratur nur Männer singen; ich habe zwar schon einmal eine tiefe Altistin als Tenorsängerin in einem allerdings gemischten Chor erlebt, nicht jedoch, dass eine Sängerin die Aufnahme in einen Männerchor beantragt hätte.
Die speziell für Männerchöre komponierte Chormusik ist ohne Zweifel ein sachlicher Grund im Sinne der Artikel 3 Abs. 2 und 3 GG. Es mag sein, dass die Geschichte der Chormusik über viele Jahrhunderte hinweg das Singen von Frauen aus letztlich politischen bzw. kirchlichen Gründen nicht vorsah und ausschloss. Die Mönchsgesänge, die Gregorianik und auch die Kompositionen von Chormusik bis zum Beginn der Französischen Revolution sahen das gemischte Singen nicht vor. Es ist aber auch daran zu erinnern, dass beispielsweise in den Klöstern des Mittelalters auch die Nonnen sangen. Auch die Zuordnung zum Stand der Nonnen bzw. Mönche stellt einen religiös wie organisatorisch motivierten sachlichen Grund dar: Das gemeinsame Singen war schon deshalb ausgeschlossen, weil gemeinsame Chorarbeit durch Ortsverschiedenheit, unterschiedliche Gelübde etc. von vorneherein nicht in Betracht kam.
Gemischte Chöre entstehen
Die mit oder nach der Französischen Revolution beginnende Praxis des gemeinsamen Singens fügte dem Chorgesang eine neue Dimension hinzu. Es blieb aber – gerade mit der beginnenden Romantik – beim Chorgesang von Männern und Frauen in eigenen Chorformationen. Niemand war also vom Chorgesang ausgeschlossen; jedes Geschlecht konnte sich für die auch in Deutschland schnell neben Männer- und Frauenchören entstehenden gemischten Chöre entscheiden und war nicht vom Chorgesang ausgeschlossen.
Gleichzeit entwickelte sich mit dem Beginn der Romantik eine große, feine und attraktive neue Männer-Chorliteratur als Grundlage für die Arbeit der Männerchöre.
Zur gleichen Zeit entwickelte sich das Singen im Frauenchor und die Tradition des Singens im gemischten Chor weiter. Mit diesen Entwicklungen bewegte sich die Chorlandschaft und das aufkommende Vereinswesen auf die Revolution von 1848/1849 zu und war deren wesentlicher Bestandteil. Mehr und mehr seiner politischen Dimension entkleidet, setzte sich der Chorgesang und das Chorwesen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Entwicklungslinien bis heute fort.
Diese Kolumne will nicht (der Verfasser ist nur Jurist) die Geschichte des Chorwesens in Deutschland nachzeichnen. So viel aber: Der Chorgesang in Männer- und Frauenchören hat beileibe nicht nur eine traditionelle, sondern eine sachliche, weil musikalische Berechtigung und Funktion.
Nur wenige juristische Hinweise zum Gleichheitsgebot und zum „sachlichen Grund“, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigt bzw. erforderlich macht:
Das Bundesverfassungsgericht hält eine Ungleichbehandlung für gerechtfertigt, wenn zwischen zwei Gruppen „Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen“. In der Geschichte der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts lassen sich viele Beispiele dafür finden, in denen der Gleichheitsgrundsatz verletzt, für heutige Begriffe sogar „mit Füßen getreten“ wurde:
Das Verbot für Arbeiterinnen, nachts zu arbeiten; für Männer war dies erlaubt; die Beschränkung des Pflichtunterrichts im Fach Handarbeit auf Mädchen, die Feuerwehrdienstpflicht nur für Männer und vieles andere mehr.
Durch diese Beispiele wird auch gleich deutlich, wo die Unterschiede liegen und weshalb die Beschränkung des Singens im Männerchor und der Mitgliedschaft in diesem auf Männer sachlich gerechtfertigt ist.
Es ist deshalb nicht zu erwarten, dass ein Finanzamt im Bereich des Schwäbischen Chorverbandes auf die Idee kommen wird, einem Männerchor die Feststellung der Gemeinnützigkeit wegen der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Artikel 3 Grundgesetz zu entziehen. Und wenn doch: Dann müssen eben die Gerichte entscheiden. Sie werden aber zu unterscheiden wissen zwischen Männerchören und Freimaurern. Das ist mehr als eine Hoffnung und weniger als eine Garantie; es ist eine mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgestattete Erwartung.
In diesem Sinne mögen alle Männer- und Frauenchöre fröhlich und unbelastet singen und ihr Vereinsleben betreiben!.