Holger Frank Heimsch hat mit dem Dirigenten Dominik M. Koch über die Zusammenarbeit von Chor und Orchester gesprochen.
Kooperation mit zwei großen Klangkörpern stellt jeden Dirigent und seinen Verein vor eine fast unlösbare Aufgabe. Doch aus Kooperation lernt man und kann spannende Begegnungen Inszenieren. Holger Frank Heimsch sprach mit Dirigent Dominik M. Koch über Gefahren, den besonderen Reiz und die Wichtigkeit von gemeinsamen Projekten.
Holger Frank Heimsch (HFH):
Sie sind ein erfahrener Dirigent, der immer wieder Kooperationen von zwei unterschiedlichen Musikgruppen initiiert. Worin besteht der besondere Reiz einer musikalischen Kooperation?
Dominik M. Koch (DMK):
Einerseits entscheidet über die Kooperation immer auch die entsprechende Literatur, die ich für meine Orchester plane. Gibt es ein tolles Werk, das ich gerne realisieren möchte und ein Chor mit dabei sein soll, dann versuche ich eine Kooperation anzustreben. Andererseits sind es immer auch Gelegenheiten oder Anlässe, die vorhanden sind oder geschaffen werden, innerhalb der Stadt/Region, zu einem bestimmten Jubiläum oder ähnliches.
Insgesamt gesprochen finde ich eine Kooperation immer spannend. Nicht nur, dass man viele neue Menschen kennenlernt. Man muss auch, wie das Wort schon sagt, kooperativ sein und eventuelle Gewohnheiten zugunsten des anderen Ensembles optimieren oder anpassen. Das ist immer auch eine Chance für die eigenen Musiker. Sowieso suche ich in regelmäßigen Abständen immer nach besonderen Werken oder eben auch Kooperationen, die vor allem für die Musiker besonders sind und in toller Erinnerung bleiben und meist einzigartige Momente ermöglichen. Wenn gerade ein Blasorchester um die Klangfarbe „Chor“ erweitert wird, entstehen natürlich überaus spannende Klänge und der Text verstärkt die musikalische Aussage nochmals. Auch die Verbindung unterschiedlicher „Welten“ finde ich reizvoll und sinnvoll. Warum sollen Chöre denn nur nach sich schauen und Blasorchester, teilweise sehr klischeebehaftet, ihr „eigenes Süppchen kochen“.
HFH:
Sie leiten verschiedene Blasorchester. Was ist das besondere am Klangkörper „Blasorchester“?
DMK:
Ich bin im Blasorchester groß geworden. Deshalb wird es für mich immer Heimat und eine Herzensangelegenheit sein. Ich mag am Blasorchester die Vielseitigkeit. Die meisten Blasorchester spielen nicht nur ein Genre, sondern müssen aufgrund ihrer unterschiedlichen Aufträge während des Jahres und innerhalb des Orts, die verschiedensten Bereiche abdecken. Im symphonischen Bereich finde ich, ähnlich wie beim Sinfonieorchester, den Farbenreichtum sehr ansprechend und begeisternd. Wenn wir gute Stücke spielen mit anspruchsvoller Instrumentation, können Farben und Klänge entstehen, die sehr lebendig und bereichernd sein können.
Darauf achte ich selbst auch beim Arrangieren und Instrumentieren. Das Blasorchester hält Mischfarben und Klänge bereit, die es Herzustellen gilt. Ebenso ist ein Blasorchester sehr mitreißend, es kann sehr leise und extrem laut spielen (sofern es schön ist!) und Charaktere in der Musik enorm aussagekräftig rüberbringen. Dies alles reizt mich im Blasorchester sehr. Hinzukommt der Fakt, das Blasorchester als würdigen symphonischen Klangkörper anzusehen, der im Spitzenbereich im Bezug auf Klang und musikalischer Aussage keinerlei Scheu vor dem Sinfonieorchester haben muss.
HFH:
Wenn Sie eine Kooperation eingehen – worauf achten Sie zuerst?
DMK:
Hier steht natürlich der Qualitätsanspruch an vorderer Stelle. Neben Spaß und neuen Erfahrungen ist es mir sehr wichtig, dass die Ensembles gut harmonieren können und qualitativ zusammenpassen. Meist spielt beim Chor auch die Anzahl der Sänger eine bedeutende Rolle. Und natürlich ist es mir als Dirigenten wichtig, dass ich einen Gegenüber beim Chorleiter habe, mit dem ich kollegial und angenehm zusammenarbeiten kann und der einen ähnlichen Qualitätsanspruch verfolgt und ambitionierte Ziele und Kooperationen mit seinem Chor anstrebt. Der Anspruch wird natürlich auch durch das Werk oder die Stücke vorgegeben bzw. mitbeeinflusst, so dass z. B. ein Chor mit Schwerpunkt Pop nicht unbedingt ein „Carmina Burana“ Projekt singen muss.
HFH:
Blasorchester und Chor: eine spannende Mischung. Was ist daran der besondere Reiz?
DMK:
Wie bereits erwähnt, liegt der Reiz darin, dass der Text des Chores sowie dessen Präsenz, das Blasorchester klanglich bereichert und die musikalische Aussage verstärken kann. Ebenso ist es ein eindrucksvolles Bild für die Zuhörer, wenn ein 80-köpfiges Orchester auf der Bühne sitzt und zudem ein Chor mit über 100 Sängern dahinter steht. Nicht nur klanglich ein imposantes Erlebnis für Musiker und Zuhörer.
HFH:
Worin liegen die Gefahren?
DMK:
Bei den Gefahren kann ich vor allem drei Dinge benennen: Meist besteht eine Gefahr darin, dass beide Partner nicht ideal zusammenarbeiten und dann innerhalb kurzer gemeinsamer Proben keine homogene Einheit werden. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Häufig sind aufgrund logistischer Voraussetzungen nicht viele gemeinsame Proben möglich oder die (intensive) Vorbereitung unterscheidet sich im Anspruch deutlich oder schlicht der Qualitätsunterschied ist zu groß.
Ist Punkt a) ideal gewährleistet, bleiben dennoch einige musikalische Parameter, die immer wieder Thema innerhalb der Probenarbeit sind: Timing/Zusammenspiel – ein Chor reagiert für gewöhnlich anders als ein Orchester. Dies wird meist bei rhythmischen, Taktwechseln und temporeichen Passagen deutlich. Und vor allem der Bereich der Balance bleibt heikel in der Umsetzung. Ein Blasorchester kann eine gewaltige Kraft entwickeln, die immer in Bezug zur Größe und Präsenz des Chores stehen muss, sonst sind vor allem der Gesamtklang und die Textverständlichkeit äußerst gefährdet.
Häufig ist Literatur anzutreffen, die den Chor nicht als eigenständiges Element betrachtet. Vielmehr sind es Arrangements, die auch ohne Chor funktionieren und aufgeführt werden und dann eben der Chor „on Top“ dazu kommt. Hier sind vor allem die musikalischen Leiter gefragt.
HFH:
Sie haben mehrfach schon die „Queen Symphony“ aufgeführt. Wer das Stück nicht kennt – beschreiben Sie es uns in ein paar Worten? (Musik, Schwierigkeitsgrad, Besetzung, Thematik)
DMK:
Die „Queen Symphony“ ist ein besonderes und sehr lohnenswertes, aber auch anspruchsvolles Werk für die Kooperation zwischen Blasorchester und Chor, vor allem im gewöhnlichen Konzertumfeld, wie es bei vielen Orchestern und Chören vorherrscht.
Es ist eine 6-sätzige, symphonische Komposition mit einer Dauer von ca. 60 Minuten, im Original für Sinfonieorchester von Tolga Kashif. Die Sinfonie ist für großes Orchester ausgelegt, sehr symphonisch aufgebaut und basiert dennoch auf Themen der Gruppe „Queen“. Das bedeutet, die Zuhörer erleben ein großes, symphonisches Werk, bei dem sie viele berühmte Zitate oder auch komplett originalklingende Teile wiedererkennen werden. Dies kommt nach meiner Wahrnehmung sehr gut an. Die Musik wirkt sehr abwechslungs- und farbenreich. Ausgedehnte, groß angelegte Passagen mit unzähligen, klanglichen Höhepunkten finden sich ebenso wie fast skurrile und auch rasante Teile, eben so, wie wenn ich auf ein Queen Konzert mit Rocktiteln und Balladen gehen würde. So finden sich folgende Titel: We are the champions, Who wants to live, Bycicle, We will rock you, Bohemian Rhapsody usw.
HFH:
Welche musikalischen Herausforderungen hat der Chor und das Orchester in diesem Werk zu leisten?
DMK:
Das Stück ist gerade für das Blasorchester herausfordernd, da sehr symphonisch gearbeitet werden muss, die Besetzung ist verhältnismäßig groß und die Instrumentation sehr anspruchsvoll. Der Chor ist an drei Sätzen beteiligt und verleiht dem Ganzen teils „nur“ mit vokaler Untermalung eine besondere Klangfarbe und Dramatik. Der Chor ist häufig sehr vielstimmig gesetzt und für den Sopran gerade in der Höhe herausfordernd. Mit integriert sind Solopassagen für Sologeige, Cello und gerade auch für Klavier, das fast einen komplett eigenen Solopart übernimmt. Für alle Beteiligten finde ich zusätzlich herausfordernd, dass die Spannung über die gesamte Dauer der Sinfonie aufrechterhalten bleibt.
HFH:
Warum sind musikalische Kooperationen wichtig?
DMK:
Wie eingangs schon beschrieben: bereichernd für alle Beteiligten, über den berühmten „Tellerrand“ hinaus zu schauen. Besondere Werke können realisiert werden. Konzert-Aufhänger und besondere Erlebnisse (zu bestimmten Anlässen) sowohl für Aktive als auch fürs Publikum. Konzerte an anderen Orten. Neue Bekanntschaften machen und neue musikalische Aspekte kennenlernen.
HFH:
Welche weiteren Beispiele können Sie für die Kooperation von Blasorchester und Chor nennen? (bitte praxisnahe Beispiele von einfachem Orchester und einfachem Chor)
DMK:
Gerade im Bereich der Popmusik gibt es sehr viele Arrangements, die sich hervorragend mit Blasorchester und Chor realisieren lassen. Ebenso gibt es viele Filmmusiken, die dafür eingerichtet wurden. Gerade die Werke von Komponisten wie Ennio Morricone bekommen dadurch eine ganz besondere Dramatik und außergewöhnliche Aussage. Im sinfonischen Bereich eignen sich vor allem Werke, die im Original für großes Sinfonieorchester konzipiert sind, z.B. Carmina Burana. Mittlerweile gibt es auch Komponisten, die speziell für das Medium Blasorchester mit Chor schreiben. Hier sind sicher die beiden deutschen Komponisten Rolf Rudin (Requiem) oder Guido Rennert (Volksliedersammlung, Freiheitssinfonie „Wir sind das Volk“) zu nennen. Oder auch der holländische Komponist Johan de Meij, der bei einigen seiner Originalwerke für sinfonisches Blasorchester auch den Chor miteingebaut hat.
HFH:
Was und warum war Ihre spannendste und lehrreichste Kooperation und was hat man daraus gelernt?
DMK:
Spannende Kooperationen sind für mich als noch recht junger Dirigent immer diese, wo wir berühmte Musikerpersönlichkeiten einladen. Gerade die Arbeit mit solchen (teils über Jahre etablierten) Musikern finde ich auch als Dirigent sehr bereichernd. Kooperationen, die nicht allzu häufig vorkommen, finde ich ebenso spannend und anzustreben. Wie z. B. kürzlich ein „Symphonic Rock“-Projekt mit meinem Blasorchester (Stadtkapelle Hockenheim), Rockband und drei Sängern. Hier konnten wir mit professioneller PA und Licht rund 2000 Zuhörer openair auf den Marktplatz bewegen und ein besonderes Konzert bieten. Mit Chor bleibt, neben einigen bisher durchgeführten Kooperationen, sicher die Aufführung der „Queen Symphony“ im Jahr 2009 mit dem Sinfonischen Landesblasorchester Hessen für mich die lehrreichste. Schließlich war es für mich die erste, richtig große Kooperation und dann direkt mit solch einem großartigen, anspruchsvollen und bombastischen Werk, das sowohl bei Musikern, Sängern wie auch beim Publikum zu überaus großer Begeisterung führte, die mich als Dirigent sehr bestärkt hat, auch in Zukunft immer wieder Kooperationen anzustreben. Abgesehen davon war es eine spannende Probearbeit und ein besonderes musikalisch Erlebnis auf der Bühne.
Es lohnt sich also, Kooperationen einzugehen und die Offenheit gegenüber anderen Genres zu zeigen. In erster Linie sind hier die Dirigenten gefragt, die in der Regel immer auch Impulsgeber sind. Aber sicher gehört auch die Bereitschaft des Vereins und der Aktiven dazu, sich einem Mehraufwand zu stellen und ebenso die besonderen, teils einmaligen Erlebnisse auf der Bühne anzustreben. Die besonderen Momente sind es, die in Erinnerung bleiben und für neue Aufgaben motivieren. Es lohnt sich!!
HFH:
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch.