Rolf Ströbele erklärt, warum Frauenchöre nicht nur besser als ihr Ruf sind, sondern auch welcher Charme der Formation inne liegt.
„Frauenchor- oh nein! Das ist doch eine Gruppe älterer Damen auf der Bühne, die Volkslieder absingen. Mit mir nicht. Das ist nicht mein Ding.“
Wer so denkt oder spricht, hat wohl einiges verschlafen. Im Übrigen, hat heute noch jemand etwas dagegen, wenn ältere Frauen zum Sport gehen? Darf das nicht auch für das Chorsingen gelten, das Spaß macht und äußerst günstige Wirkungen auf den Menschen hat. Hier müssen erst mal wieder positive Beispiele aus USA und anderen Ländern medial verbreitet werden. Auch bei uns gibt es Erfolg versprechende Beispiele von älteren Frauenchören, die begeistern können.
Frauenchor heute
Mit 145 Frauenchören im SCV stehen diese im Vergleich zu der sinkenden Anzahl der Männerchöre (611) und dem Gros der gemischten Chöre (1137) an letzter Stelle, jedoch mit steigender Tendenz.
Das ist den Bemühungen der Landeschorverbände mit Chorwettbewerben, Frauenchortagen, wagemutigen Chorleiter-Innen (auch in Schulen und Kirchen), sowie medialer Präsenz zu verdanken. Waren die Frauenchöre in den vergangenen Jahrzehnten meist nur Abteilungen von gemischten Chören, so wächst heute die Anzahl junger selbstständiger Frauenchöre. Sie sind meist Weiterentwicklungen von Mädchenchören und somit oft auf hohem musikalischen Niveau angesiedelt. Es wird hier ein breites Spektrum von geistlicher und weltlicher Musik verschiedenster Epochen, bis hin zu Gospel und Pop gepflegt. Die Musikverlage haben auf diese Entwicklung mit der Herausgabe von neuen Chorbüchern für gleiche Stimmen reagiert (natürlich auch Erwachsenenchören zugänglich) und damit einen weiteren Entwicklungsschub angestoßen. Alle diese Bücher haben eine große inhaltliche Breite von Popmusik, Gospel, Spiritual über Folklore bis hin zurück zum eigenen und internationalen Volkslied. Ebenso gibt es jahreszeitliche geistliche und weltliche Themenkreise. Oft ist es ein beispielgebender Auftritt, der Frauen dazu bringt, in einen solchen Chor einzutreten oder eine Gruppe Frauen dazu animiert, selbst einen Frauenchor zu gründen. Dies kann auch in einem Neuanfang nach der Aufgabe eines gemischten Chores geschehen. Entscheidend ist heute die Literatur, mit der man sich identifizieren kann. Deswegen sind auch Frauenchöre nicht mehr ortsgebunden.
Warum Frauenchor
Was verspricht sich ein Chorleiter, eine Chorleiterin von der Arbeit mit einem Frauenchor? Das liegt erst einmal an der Art, wie Frauen auf Musik ansprechen.
Oft mehr Spontanität und Emotion: Sie reagieren spontaner auf Musik. Frauen singen und tanzen meist lieber als Männer. Der Unterschied tritt schon bei Buben und Mädchen deutlich zutage. Buben machen heute lieber über das Medium Instrument Musik. Das distanziert die musizierende Person vom Publikum. Mit dem Instrument Stimme empfindet sich die Person ungeschützt, denn Singen heißt „aus sich heraustreten“. Im Griechischen gibt es dafür den Begriff „Ekstase“. Diese Ekstase erleben wir, wenn Rockgrößen als Solisten in voller Aktion singen, gesteigert bis zu unartikulierten Lauten. Der ungehemmte Ausdruck ist in der Chormusik, vor allem in der traditionellen, begrenzt und eingebunden. In der Chormusik der letzten Jahrzehnte gibt es allerdings Kompositionen, die Raum lassen und fördern individuellen Ausdruck. Im Singen sind Frauen offener, sich als Person zu stellen und außerdem im Erlernen flexibler und begeisterungsfähiger. Sie setzen Anweisungen im Gebrauch ihrer Stimme rasch um. Wenn dann sinnliches, klangvolles Singen mit rhythmischer Bewegung gepaart ist, erfasst dies die hörenden Zuschauer mit Macht. Entscheidend ist die Fähigkeit der leitenden Person, die Emotionalität und Kraft der Frauen in ihrer Stimme zu wecken und zu bündeln – die Seele muss in der Stimme klingen – und so das zu interpretierende Werk zum Blühen zu bringen. Das macht den Charme eines Frauenchores, aber auch die Frauenpower aus.
Besonderheiten der Frauenstimme
Wissen um die Besonderheiten: Wie bei jeder Chorformation ist die leitende Person gefordert, auf die spezifischen Gegebenheiten der Frauenstimme einzugehen und sie entsprechend zu formen. Der Klang der Frauenstimmen gibt dem Chor seinen eigenen Charakter.
Homogener Chorklang: Der verstorbene Bundeschormeister Walther Schneider hat in seinem letzten Heft „Der homogene Chorklang“ den Eigenheiten der Frauenstimme, vor allem dem Problem Höhe, ein eigenes, anschauliches und erhellendes Kapitel gewidmet.
Die „Höhe“: Das Problem Höhe hat in den letzten Jahren manchen gemischten Chor „sterben“ lassen, weil die Soprane nicht mehr auf das f “ hochgekommen sind.
Fehlen der tiefen Stimmen: Da beim Frauenchor die Grundierung der Männerstimmen fehlt, was die tiefen Altstimmen so nicht leisten können, ist das Klangbild eines Frauenchores auf eine begrenzte Frequenzbreite komprimiert. Deshalb ist auch auf die tiefen Altstimmen ein besonderes Augenmerk zu richten.
Stimmbildung tut gut: Das bedeutet, dass Stimmbildung im Frauenchor das A und O neben den musikalischen Parametern ist. Ideal für das Klangbild eines Frauenchors ist die Mischung von jungen transparenten Stimmen und älteren Stimmen, die Fülle bringen. Dies hält einen Frauenchor auch personell stabil, weil es mit jungen Frauen in der Phase der Berufsausbildung und der Partnerfindung, Standortwechsel, in der Phase der Kindererziehung oft Probenausfälle gibt.
Stimmbildung hält jung: Über die Stimmbildung kann auch ein Seniorenchor noch gute Leistungen erbringen. Passende Literatur auszusuchen, ist geboten. Auf der letzten chor.com hat sich ein Seniorenchor aus NRW präsentiert. Hier haben Frauen gezeigt, wie man auch im höheren Alter Melodien mit Charme und Selbstbewusstsein – bei entsprechendem Programm – gut rüberbringen kann.
Chorleitung und Chor
Mehr als ein Vertrauensverhältnis: Ein stabiles Vertrauensverhältnis zwischen Chor und musikalischer Leitung bildet die Grundlage jeder Chorarbeit. Die leitende Person bildet den musikalischen und menschlichen Bezugspunkt, wie auch sie immer ihre Chormitglieder als Individuum im Blick hat. Viele Chorleiterinnen leiten erfolgreich einen Frauenchor. Sie werden, sozusagen auf einer Wellenlänge, die geschlechtsspezifischen Probleme leichter erfassen und damit umgehen. Im Verhältnis von Mann zu Frauenchor spielen noch andere Energien eine Rolle.
Zischen Anziehung und Distanz: Der unvergessene Chorleiter des preisgekrönten Mädchenkammerchors des Schillergymnasiums Heidenheim, Werner Neuber hat mir gegenüber einmal erklärt, es brauche eine gewisse erotische Spannung zwischen Chorleiter und Chor. Umgekehrt gilt das auch für Chorleiterin und Männerchor. Die bekannte Dozentin Martina Freytag hat in ihrem Buch „Chorleitung effizient und lebensnah“ diesem Problem ein interessantes Kapitel „Von der Erotik des Chorleitens und Chorsingens“ gewidmet. Die gegenseitige Sympathie braucht trotzdem Distanz, die die Autorität der leitenden Person und das singende Individuum schützt.
Konzertgestaltung
Programm und Profil: Die grundsätzliche programmatische Ausrichtung des Chores wird zwischen Chor und Chorleiter festgelegt. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ich in erster Linie Gospel und Pop erarbeite oder mehr im traditionellen Bereich bleibe. Dabei ist zu fragen, welches Publikum ich ansprechen möchte. Wichtig ist für den Erfolg, dass der Frauenchor ein musikalisches Profil zeigt und wofür er steht, was in einem Mix sicher schwieriger ist.
Abwechslung schätzen die Zuhörer: Eine Stunde Frauenchor, selbst auf höchstem Niveau, kann für Chor und Publikum anstrengend und ermüdend sein. Hier sollte auf Abwechslung geachtet werden. In der Sparte Frauenchor gibt es großartige A-Capella-Literatur. Ihre Erarbeitung festigt eine gute Intonation. Eine zusätzliche Farbe gibt die Begleitung von Tasten– und Saiteninstrumenten. In den Gegenwartskompositionen finden sich spannende Kombinationen verschiedenster Instrumente mit Frauenchor. Sinnvoll ist der Einschub von Instrumentalstücken, die für den Chor eine Atempause bilden. Besonders schön ist der Einsatz eines Männerchors, für die Zuhörer spannend. Damit bietet sich eventuell die Kombination beider Chöre für gemischtchorige Stücke als Zwischenteil oder zum Abschluss an.
Frauenchöre bereichern die Chorszene!
Mit Frauenchor zu arbeiten, bedeutet viel Einsatz, Empathie, interessantes und intensives Arbeiten und unvergessliche Aufführungen, die ihr Publikum finden.
*** 6. 12. 2017 im Theatherhaus Stuttgart