Zwei etwas andere Werke im Bereich der Mädchenchorliteratur, die sich lohnen aufgeführt zu werden.
Dirait-on Morten Lauridsen
Dirait On for treble chorus and piano
Besetzung: Frauenchor (SSAA), Klavier Morten Lauridsen, 1943 in Washington geboren, gilt als einer der bekanntesten und sehr beliebten amerikanischen Komponisten für Chorliteratur.
Der charismatische Komponist erhielt unter anderem die höchste künstlerische Auszeichnung in den USA durch den Präsidenten im Weißen Haus: „für seine Zusammensetzung der strahlenden Chorarbeit kombiniert mit musikalischer Schönheit, Kraft und spiritueller Tiefe“.
Lauridsen besitzt eine sehr hohe Sensibilität und Offenheit gegenüber Gedichten, die er als textliche Grundlage für seine Kompositionen gebraucht.
„Ich habe Musik über Gedichte von…. und Maria Rilke komponiert. Diese Texte sprechen zu allen, denn sie sprechen von der menschlichen Bedingung, von Liebe, von Spiritualität, von Schönheit. Sie ist da und verbindet Menschen.“
So fühlte sich Lauridsen sehr von dem Rosenzyklus „Les Chassins des Roses“ von Rainer Maria Rilke (1875-1926) angesprochen: „die musikalische Einstellungen sind entworfen, um die Eigenschaften zu verbessern und die empfindliche Schönheit und Sinnlichkeit der Poesie zu erfassen.“ Für Rilke selbst hatte die Rose eine besondere Symbolbedeutung, was man in den sensiblen und feinen Texten der Gedichte sieht.
Das letzte der 24 Gedichte „Dirait-on“ war für Lauridsen das erste vertonte Gedicht von Rilke. Nach dem künstlerischen Erfolg wählte dieser vier weitere Gedichte aus Rilkes Rosenzyklus aus. Ursprünglich komponierte Lauridsen „Dirait-on“ für SATB mit Klavier. Später gab es diese Komposition auch für SSAA, auch als Duett oder auch reiner instrumentaler Besetzung.
„Hingabe umgeben von Hingabe, Zärtlichkeit, die an Zärtlichkeit rührt, Es ist dein Inneres, das ohne Unterlass sich liebkost, könnte man meinen“…
Lauridsen schafft es sehr tiefgehend diesen emotionalen Gedichttext auf unterschiedliche Art zu vertonen. Seine Melodien sind sehr eingängig, die Harmonik ist tonal/kadenzmäßig und das Stück könnte man als anmutig, sanft und „weich“ beschreiben.
Das Werk beginnt mit einer schwebenden Es-Dur Harmonie als Sextakkord, die durch gebrochene Dreiklänge in der Klavierbegleitung erklingen. Darüber erhebt sich eine einstimmige, weite Melodie der ersten Strophe im Sopran in kürzeren Phrasen, auf die dann der Refrain „Dirait-on“ folgt. Der Alt übernimmt die zweite Strophe auf der wiederum der Refrain folgt. Dieser wird später durch kurze Imitationen zwischen den Sopran- und Altstimmen neu musikalisch dargestellt.
In der dritten Strophe führt wieder die Altstimme, die von den Sopranstimmen mit langen und weit geführten Gegenstimme begleitet wird. Später singen die Sopranstimmen ein kurzes „Dirait-on“-Motiv, welches zwischen S1 und S2 imitiert wird.
Der letzte Abschnitt des Stückes wiederholt die Worte „Dirait-on“ in einem vierstimmigen, harmonisch dichten und mit Stimmkreuzungen versehenen Chorsatz. Später erklingt wieder das imitatorische „Dirait-on“-Motiv. Auffallend ist dabei, dass die Altstimme kurz über der Sopranstimme erklingt. Das Stück endet mit einem lang ausgehaltenen tiefen Es-Dur Akkord und die Klavierstimme bildet mit dem Anfangsmotiv einen leisen und sanften Schluss.
Das ausgewogene Spiel zwischen Dissonanzen und Konsonanzen, die weiten, schön zu singenden Melodien, die kompositorischen Abwechslungen, die klaren Phrasierungen und die schöne Klavierbegleitung, machen dieses Chorstück unter anderem zu einem sehr reizvollen und interessanten Stück. Dabei lassen sich stimmbildungsmäßige, klangliche und textliche Aspekte in den Proben (und natürlich in den Aufführungen) erarbeiten und fördern sicherlich dadurch einen guten, gemeinsamen Chorklang.
Ave vivens hostia Josef Gabriel Rheinberger
Nr. 3 aus ‚Drei lateinischen Hymnen
op. 96 für Frauenchor (SSA) und Orgel
Der 1839 in Vaduz (Hauptstadt von Lichtenstein) geborene Josef Rheinberger fiel schon in seiner Kindheit mit hoher Musikalität und Können auf. So wurde er schon mit 19 Jahren Dozent am Münchener Konservatorium für Orgel, Klavier und Komposition. Er war der erfolgreichste Komponist seiner Zeit und nahm auch eine zentrale Position in der katholischen Kirchenmusik ein. Neben zahlreichen Werken für Klavier, Orgel, Sololiedern, Sinfonie und anderen instrumentalen Besetzungen sind es vor allen Dingen die über 200 kirchenmusikalischen Kompositionen, die sein umfangreiches Schaffen ausmachen. Dabei waren Mozart und Bach seine großen Vorbilder.
Der in der Besetzung für SSA und Orgel geschriebene lateinische Hymnus ‚Ave vivens hostia‘ (‚Sei gegrüßt lebendige Hostie‘) beruht auf einem von Johannes Peckham zugeschriebenen eucharistischen Hymnus aus dem 13. Jahrhundert. Rheinberger schrieb diese Komposition als Dritten von drei lateinischen Hymnen in dieser Besetzung.
Dieser Hymnus steht ganz in Zeichen der reizvollen, romantischen Chormusik. Anfangs ausgehend von Es-Dur, dann weiter nach as-moll über e-moll bis schließlich wieder Es-Dur erreicht wird, bewegt sich dieser Hymnus in einer typisch dichten und komplizierteren Harmonik. Dazu singen die drei Frauenstimmen, oft imitierend, in gesanglichen und weit geführten Melodielinien. Dieser Zusammenklang macht in Verbindung mit dem vollstimmigen Orgelsatz einen besonderen Reiz aus, der durch die große dynamische Bandbreite in diesem Hymnus noch verstärkt wird. Die einzelnen Gesangsstimmen sind dabei durch ihre klare Phrasierungen gut zu verstehen und zu singen. Eine gewisse Herausforderung stellt jedoch der teilweise große Ambitus der Melodielinien dar. Im Hymnus wechseln sich die Chorstimmen zwischen imitierenden und akkordischen Abschnitten ab.
Dynamik und Satzaufbau in der Verbindung mit dem Text stellen sich auf typische und reizvolle Art in diesem romantischen Chorstück dar. So gibt es z.B. an der Textstelle „Veritas substantia“ eine wunderbare, zart klingende Stelle, bei der sich die Stimmen im piano imitieren. Akkordisch und im fortissimo erklingt der Höhepunkt des Stückes an der Stelle „Sacramentum gratiae“.
Der Hymnus endet im pianissimo mit einem lang ausgehaltenen ES-Dur Akkord in den Chorstimmen, parallel mit einer in Achteln laufenden Bassstimme im Orgelpart.
Alles in allem ist es eine sehr lohnenswerte romantische Chorkomposition, mit der ein Chor sehr viel klangliche und stimmliche Merkmale erfahren kann.