Das neue Kinderschutzgesetz und seine Anwendung in der Praxis von Chören und Vereinen
Gesetzlichen Kinderschutz gibt es schon lange. Schon im Jahr 1903 wurde ein Kinderschutzgesetz verabschiedet und während der NS-Zeit (1939) novelliert. Es trat 1975 außer Kraft. Das Gesetz schützte Kinder vor allem vor verbotener und unzumutbarer Kinderarbeit in Gewerbebetrieben.
Das Kinderschutzgesetz
Das 2012 in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) hingegen ist ein zunächst und in erster Linie präventives Gesetz zum Schutz und zur Stärkung von Kindern vor sexuellen und seelischen Übergriffen, wobei dieser Schutz auch durch Kooperation der an der Erziehungsarbeit beteiligten staatlichen und nicht staatlichen Stellen erreicht werden soll.
Der Kinderschutz beginnt mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz und der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen und wird fortgeführt mit den präventiven Regelungen zum Schutz von Kindern in der Obhut der eigenen Eltern, der Kindertagesstätten, der Schulen und der außerschulischen Einrichtungen der Jugendarbeit, also auch der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Chor und Verein. Das Gesetz stellt eine Gesamtverantwortung des Jugendamtes als zuständiger Behörde der staatlichen Verwaltung in den Land- und Stadtkreisen fest und bindet in die Gesamtverantwortung die öffentlichen und privaten Träger ein.
Dieser Beitrag kann und will nicht das gesamte Konzept des Kinderschutzgesetzes darstellen. Dazu gibt es auch eine Vielzahl von Leitfäden, Handreichungen und Praxishandbüchern. Empfehlenswert ist beispielsweise der ausgezeichnete Leitfaden „Kinder stärken; ein „Präventionskonzept für Kindeswohl im Chor“, 2. Auflage, Berlin, 2015“ des Deutschen Chorverbandes. Es kann im Internet – kostenlos – heruntergeladen werden.
Gefahrenpunkte aufzeigen
Das Gesetz rückt die Gefahrenpunkte für das Kindeswohl in den Fokus der an der Betreuung und am pädagogischen Umgang mit Kindern befassten Personen und Einrichtungen. Dieses Bewusstsein ist in den zurückliegenden Jahren durch eine Vielzahl von – teilweise mit jahrzehntelanger Verspätung – bekannt und öffentlich gewordenen Missbrauchsskandale in den Blick der Öffentlichkeit gerückt, wobei der Gesichtspunkt des sexuellen Missbrauchs und des damit verbundenen seelischen Missbrauchs im Vordergrund stand und steht. Das Gesetz verfolgt das Konzept des präventiven Schutzes sowie der präventiven Kontrolle.
Wesentliche Elemente sind:
- die Erarbeitung eines Ehrenkodex für den Verein und die Einführung präventiver Regelungen
- die Einrichtung einer vereinsinternen Anlaufstelle oder Vertrauensperson, an die sich betroffene Kinder und Eltern präventiv wie beschwerdeführend wenden können und dabei durch die gewährleistete Diskretion und Vertraulichkeit ermuntert werden.
- die Einführung der Anforderung und Kontrolle eines erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses einschließlich der Sicherstellung datenschutzrechtlicher Standards für alle Beteiligten und der Dokumentation dieser Maßnahmen.
- Abschluss einer Vereinbarung mit dem Land- oder Stadtkreis, vertreten durch dessen Jugendamt, zur Sicherstellung und nachhaltigen Gewährleistung der Einhaltung, der sich aus dem Gesetz ergebenen Verpflichtungen.
Verantwortlich auf Seiten des Vereins ist dessen Vorstand. Dieser koordiniert die notwendigen Maßnahmen (s. o.) und benennt und verpflichtet die Verantwortlichen. Aufgaben und Funktionen sind dabei im Wesentlichen:
- Erarbeitung der Themenstellung und Beiziehung erforderlicher Informationen (zuständig: Vorstand)
- Erstellung eines Ehrenkodex, also einer Zusammenfassung selbst erarbeiteter Verhaltensregeln für die im Verein erzieherisch tätigen hauptamtlichen und nebenamtlichen Mitarbeiter (Vorstand, Arbeitsgruppe)
- Anlaufstelle für Betroffene oder bei präventiven Mitteilungen: Vorstand benennt eine Vertrauensperson nebst Stellvertreter und stellt Regelungen für die Praxis auf. Diskretion, Verschwiegenheit, Einfühlungsvermögen und Problembewusstsein sind die maßgeblichen Anforderungen an diese Vertrauenspersonen. Empfehlenswert ist, Personen auszuwählen, die nicht dem Vorstand angehören. Der Vorstand hat für die Bekanntgabe der Anlaufstelle und die praktische Handhabung der Kontaktaufnahme zu sorgen. Wesentlich ist auch die Zusammenarbeit der Vertrauensperson mit den zuständigen Stellen, insbesondere dem Jugendamt, und die Beachtung der Grenzen des Auftrags der Vertrauensperson.
das erweiterte Führungszeugnis
Es gibt verschiedene Arten von Führungszeugnissen. Das allgemein bekannte, einfache Führungszeugnis beinhaltet nur die Eintragung von Geldstrafen von mehr als 90 Tagessätzen oder Freiheitsstrafen. Unter diesen Schwellen liegende Verurteilungen werden vom einfachen polizeilichen Führungszeugnis nicht erfasst.
Es ist deshalb richtig, dass ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis gefordert wird, welches Auskunft über alle, möglicherweise einschlägigen Verurteilungen gibt, um präventiv durch Ausschluss der betroffenen Person aus der erzieherischen Arbeit mit Jugendlichen reagieren zu können.
Wer muss ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen?
Sämtliche, mit erzieherischen Aufgaben im Chor bzw. Verein beauftragte hauptamtliche und nebenamtliche Personen müssen ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Diese werden in einer vom Vorstand zu erstellenden Liste erfasst; sie werden aufgefordert, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen. Bewerben sich Mitarbeiter für Tätigkeiten im Bereich der pädagogischen Betreuung von
Kindern und Jugendlichen, müssen sie mit ihrer Bewerbung ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Polizeiliche Führungszeugnisse sind alle fünf Jahre erneut vorzulegen.
Bei der anschließenden Prüfung des erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses wird festgestellt, ob eine rechtskräftige
Verurteilung wegen einer Straftat mit sexuellem Bezug vorliegt. Der Straftatenkatalog ergibt sich aus § 72a SGB VIII und ist abschließend.
Durch die Einsichtnahme in ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis wird sehr stark in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Datenschutzrechte der betroffenen Person eingegriffen. Normalerweise besteht nur ein Einsichtsrecht in dieses erweiterte polizeiliche Führungszeugnis nur für Gerichte, Staatsanwälte und – in Grenzen – die Polizei. Es muss deshalb sichergestellt sein, dass bezüglich des Inhalts des erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses absolutes Stillschweigen bewahrt wird und alle datenschutzrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. Es ist daher selbstverständlich, dass ein ehrenamtlicher oder hauptamtlicher, im Bereich der pädagogischen Betreuung von Jugendlicher tätiger Mitarbeiter erwarten können muss, dass der Inhalt dieses polizeilichen Führungszeugnisses vollständig vertraulich behandelt wird.
In aller Regel ist das polizeiliche Führungszeugnis unbelastet. Dort werden aber auch Verurteilungen in Bezug auf Delikte eingetragen, die mit der pädagogischen Betreuung von Kindern und Jugendlichen und hierbei denkbaren Missbrauchssituationen nicht das Geringste zu tun haben. Auch eine Konkursverschleppung, eine Steuerhinterziehung, ein Fahren ohne Fahrerlaubnis können im polizeilichen Führungszeugnis zu finden sein, ohne dass sich daraus ableiten lassen müsste, dass der Betreffende eine Gefahr für Kinder und Jugendliche im Rahmen seiner pädagogischen Betreuung darstellt.
Der Gesetzgeber hat diesen Gesichtspunkt nach meiner Einschätzung nur höchst unvollkommen betrachtet und gelöst. Der Verein wird im Grunde genommen mit der Sicherstellung der Vertraulichkeit und Wahrung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen „alleingelassen“. Auch viele Vereinbarungen zwischen Landkreisen und deren Jugendämtern und Vereinen stellen lediglich lapidar fest, dass der Verein die Einhaltung der Vertraulichkeit und der datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu gewährleisten hat.
Besser wäre es gewesen, im Gesetz zu regeln, dass die Einsichtnahme in das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis eines von Berufs wegen zur besonderen Verschwiegenheit verpflichteten Amts- oder Berufsträgers übertragen werden muss. Denn: Es entspricht auch nicht der Absicht des Kinderschutzes im wohlverstandenen Sinne, wenn sich wegen der Gefahr der Offenbarung von nicht einschlägigen, häufig geringfügigen Straftaten pädagogisch geeignete Personen nicht für die Arbeit mit Jugendlichen im Verein zur Verfügung stellen. Hier ist allerdings das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Dokumentation
Ein wesentlicher Punkt ist die Sicherstellung der Dokumentation der im Verein getroffenen Maßnahmen und insbesondere der Einsichtnahme in das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis. Eine solche Dokumentation wird auch von den Land- und Stadtkreisen im Rahmen der zwischen diesen und den Vereinen zu schließenden Vereinbarungen zum Schutzauftrag der Jugendhilfe nach §§ 8a Abs. 4, 72a Abs. 2, Abs. 4 SGB VIII zu treffenden Vereinbarungen verlangt. Diese Vereinbarungen sind in der Zwischenzeit von vielen Land- und Stadtkreisen erarbeitet worden und teilweise auch schon mit den Trägervereinen abgeschlossen. Sie sind im Umfang und Regelungscharakter sehr unterschiedlich. Dabei ist Gegenstand der Vereinbarung auch, welcher Mitarbeiter eines Chores oder Vereins als solche Person anzusehen ist, die ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen muss. Eine gesetzliche Definition dafür gibt es nicht.
Der Schwäbische Chorverband wird im Jahr 2018 die praktische Umsetzung des Kinderschutzgesetzes weiterhin begleiten und unterstützen, durch Veröffentlichungen wie durch geeignete Veranstaltungen. Bitte beachten Sie unsere Hinweise in dieser Zeitschrift.
Christian Heieck
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Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.