Zum 200. Jubeljahr des Philharmonischen Chors Heilbronn
Jahrhunderte alte Musiktradition zurückblicken, auch beim Chorgesang. Vor 200 Jahren wurde hier z.B. als direkter Vorfahre des heutigen Philharmonischen Chors ein Singkranz ins Leben gerufen. Er war einer der ersten Chorvereine Süddeutschlands.
1818: Vom Musikkränzchen zum „Singkranz“
Zunächst waren es die Musikliebhaber aus dem gehobenen Bildungsbürgertum, die 1818 aus einem privaten Kränzchen eine organisierte Gesellschaft mit dem Namen Singkranz formten. Ziel dieses Vereins mit gemischtem Chor und kleinem Orchester war es, hochrangige Werke der klassischen Chormusik einzustudieren und aufzuführen. Als erste Produktion konnte man 1819 Haydns Schöpfung präsentieren.
1819: Ein Silcher-Schüler mit dabei
Über die Frühphase des Singkranzes wissen wir durch sein Mitglied Heinrich Titot gut Bescheid. Titot, später Stadtschultheiß von Heilbronn, war als Student in Tübingen ein Schüler Silchers gewesen. Dem Singkranz diente er jetzt nicht nur als Chronist, sondern auch als Sänger; bereits bei der Aufführung 1819 übernahm er eine Solo-Partie.
1828: Ein „Gesangverein“ kommt dazu
Das musikalische Interesse blieb auch in Heilbronn nicht auf eine kleine Elite gutbetuchter Bildungsbürger beschränkt. 1828 gründeten Männer aus der Schicht des Gewerbes und der Kleinhändler einen typischen Männerchor, den sie schlicht Gesangverein“ nannten. In dieser Gruppe spielte die Pflege der Geselligkeit eine wichtige Rolle, während die musikalischen Ansprüche weniger hoch gesteckt waren als z.B. in dem eher elitär „angehauchten“ Singkranz, der sich damals zu einem reinen Damensingkranz entwickelte.
1840 – 1850: Ein Sängerfest als Geburtshelfer
Von besonderer Bedeutung für das Heilbronner Chorleben wurde das Jahr 1840. Das allgemeine schwäbische Liederfest die ses Jahres wurde in der Neckarstadt ausgerichtet; aus allen Himmelsrichtungen und auch zu Schiff (siehe Bild) strömten die Gäste herbei. Da man zu diesem Anlass Mendelssohns Oratorium Paulus aufführen wollte, mussten 1839 die Herren des Gesangvereins mit dem Damensingkranz zu einem Chor zusammengeführt werden: Es war die Geburtsstunde des neuen Singkranzes. (Der satzungsmäßige Zusammenschluss fand allerdings erst im Jahr 1850 statt.)
1849: Ein Gründungsverein des Chorverbands
Nur wenige Monate vor seiner formellen Neuorganisation als Singkranz beteiligte sich der Gesangverein am 25. November 1849 in Göppingen an der Gründung des Schwäbischen Sängerbunds (Chorverbands). Als neuer Singkranz nahm er dann in den folgenden Jahren an den Verbandsfesten teil und war auch beim Wettgesang erfolgreich. Das 2. Liederfest des Schwäbischen Sängerbunds, das 1851 in Heilbronn gefeiert wurde, hat der Singkranz sogar mitorganisiert.
In Kirchen, Konzertsälen und Gasthäusern
Als erster Aufführungsort diente dem Chor und Orchester 1819 ein Festsaal im Gasthaus Zum Falken. Ab 1840 konnte man dann große geistliche Werke vor allem in der Kilianskirche präsentieren. Für weltliche Stücke wiederum benutzte man ab 1859 den Aktiengartensaal und ab 1878 den Harmoniesaal. Geprobt wurde in Gasthäusern und – im Lauf der Zeit – noch in vielen anderen Räumlichkeiten.
1857: Unter Mascheks Fidelbogen zum Erfolg
1857 übernahm der Prager Violinvirtuose und Komponist Ernst Maschek für zwei Jahrzehnte die Leitung des Singkranzes; dessen Sänger/innen bildeten ab 1858 auch den Kern eines zusätzlich ins Leben gerufenen Oratorien-Vereins. Eine Bleistiftskizze im Silcher-Museum, die der Heilbronner Maler Carl Ludwig Rauth um 1857 angefertigt hat, zeigt eine Chorprobe zu Mendelssohns Elias unter Mascheks Dirigat: die Sängerinnen und Sänger stehen im Halbkreis vor dem Musikdirektor, der den Fidelbogen als Taktstock schwingt. Am 4. Juli 1857 wurde der Elias in der Kilianskirche zur Aufführung gebracht.
2018: Ein hochklassiger Konzertchor
Der Weg vom Singverein zum Philharmonischen Chor war in diesen 200 Jahren nicht geradlinig und problemlos. Äußere Krisen wie z.B. Kriege und hausgemachte Probleme führten den Verein immer wieder an den Rand seiner Existenz. Nicht selten waren sich widerstrebende Bedürfnisse die Ursache: hier ernsthaftes musikalisches Arbeiten, dort geselliges Gemeinschaftsleben. Aber immer ließ sich ein Kompromiss finden, und oft half die Fähigkeit zur Kooperation mit anderen Organisationen weiter.
So ist aus dem einstigen Singverein allmählich der Philharmonische Chor Heilbronn entstanden, ein hochklassiger Konzertchor, bei dessen Konzerten namhafte Orchester und Solisten mitwirken und der heute im In- und Ausland hohes Ansehen genießt.
Rudolf Veit