Wie bereitet ein Chor die Teilnahme an einem Wettbewerb sinnvoll vor?
Besondere Fortschritte in der Entwicklung eines Chores werden durch Ziele und einer langfristig angelegten Chorarbeit erreicht. So kann ein besonderes anspruchsvolles Konzert oder aber die Teilnahme an einem Chorwettbewerb ein solches Ziel sein. Intensive Proben in einem gut strukturiertem Zeitplan, die eine oder andere Kompaktprobe, vielleicht sogar aushäusig mit zusätzlichen Kräften wie z.B. Stimmbildnern oder Chor-Coaches, sind Mittel der Wahl.
Welcher Wettbewerb passt zu meinem Chor?
Ist die Teilnahme an einem Chorwettbewerb vorgesehen, muss zunächst entschieden werden, welcher der zum Teil sehr unterschiedlichen Wettbewerbs-Arten für den Chor passend ist. Um dies angemessen entscheiden zu können, ist der Besuch als Zuhörer bei diesem Wettbewerb zu empfehlen. Chorleiter, gerne auch mit einigen Chormitgliedern oder gar dem ganzen Chor können, so einen Eindruck bekommen, ob dies ein erreichbares und passendes Ziel ist. Nebenaspekte dieser Beobachtung sind: Chorkleidung, Auftritt, Aufstellung, welcher Umgang wird mit den Notenmappen gezeigt – wie zum Beispiel gleichzeitiges Öffnen und Schließen – oder wird sogar auswendig gesungen, ist das, was gesungen wird glaubhaft, wie wirkt dies alles auf die Zuhörer und die Jury. All das bringt uns wichtige Eindrücke. Sind Chorsänger dabei, braucht ein Chorleiter nicht mehr argumentieren. Er muss nur den Fokus der Beobachter geschickt lenken. So kann auch ein wichtiger Faktor gestärkt werden: WIR gehen gemeinsam auf den Wettbewerb und nicht: der Chorleiter befiehlt!
Drei Arten verschiedener Wettbewerbs-Ansätze möchte ich hier unterscheiden
1. Kommerzielle Wettbewerbe, die mit touristischen Zielen geschickt verknüpft sind. Die Firma Interkultur ist hier sicher an erster
Stelle als Anbieter zu nennen. Die World Choir Games sind hier der Event-Höhepunkt. Soll also eine inländische oder ausländische Chorreise zu attraktiven Zielen mit einem Wettbewerb oder Festival kombiniert werden, ist dies eine passendes Angebot, das aber auch seinen Preis hat.
2. Der Deutsche Chorwettbewerb mit seinen vorgeschalteten Regional- oder Landes-Wettbewerben richtet sich an die Leistungsträger in unserer Chorlandschaft, die zumindest eine semiprofessionelle Arbeitsweise haben. So steht man hier zum Beispiel in Konkurrenz zu (Musik-) Hochschulchören. Chormusik auf höchstem Niveau kann hier gehört werden. Der Besuch dieses Wettbewerbs ist immer anzuraten – zuerst aber als Zuhörer. Es ist eine klingende Chorliteratur-Schau auf höchstem Niveau. Hier teilzunehmen sollte also wohl bedacht sein. Das Ziel ist hoch gesteckt und bedarf einer besonders sorgfältigen Vorbereitung. Der Schwäbische Chorverband vermittelt für teilnehmende Chöre aus seinen Reihen gerne ein Coaching rechtzeitig vor dem Wettbewerb.
3. Regionale Wertungssingen, der „Carl-Friedrich-Zelter Chorwettbewerb“ der im Rahmen des Chorfestes Heilbronn 2019 stattfindet,
der Silcher Chorwettbewerb in Weinstadt und der Chorwettbewerb des Deutschen Chorverbandes (2020 in Leipzig) sind exemplarisch zu nennende Wettbewerbe, die sich an Amateur-Chöre richten. Die Messlatte ist also bewusst nicht so hoch gehängt und die Struktur
des Wettbewerbes ist gegenüber dem Deutschen Chorwettbewerb differenzierter. So wird auch Wert auf das Miteinander gelegt. Hier werden – wie auch beim Carl-Friedrich-Zelter-Chorwettbewerb – chorpädagogische Gespräche werden angeboten.
Vergleicht man nun die Wettbewerbe sollten folgende Aspekte Beachtung finden:
Literaturauswahl: Kann ich die Literatur aufführen die mein Chor gut bewältigt, in der er seine Stärken zeigen kann? Ist Vielfalt oder
Spezialwissen gefordert?
Dauer: Wie lange soll das Programm sein. Schaffe ich es entweder in der Kürze des Programms alle Qualitäten zu zeigen oder schaffe
ich die Dauer des Zeitfensters kräftemäßig durchzuhalten? (Zum Beispiel mit meinem Kinderchor a capella)
Begleitung: Kann ich, vielleicht auch nur teilweise, eine Begleitung einsetzen (Klavier oder Band), sind Solisten und deren Mikrophonierung zugelassen? Gibt es dann genügend Zeitfenster für einen Soundcheck?
Chorstruktur: Passt die Strukturierung des Wettbewerbs zu meinem Chor? Gerade bei Kinder- und Jugendchören ist die Frage des Alters zu prüfen. Mindest- oder Höchstalter muss oft durch Geburtsdaten und Stichtag genau dokumentiert werden. Singen in meinem Chor Profis mit – also Sänger, die Gesang oder Musik beruflich betreiben? Ist dies unzulässig oder limitiert?
Pflichtstück: Wird ein Pflichtstück vorgeschrieben und ist dieses für meinen Chor gut machbar? Wird nur ein Pflichtstück genannt, oder habe ich eine Auswahl aus mehreren Pflichtstücken? Häufig wird auch ein Volkslied verlangt. Freuen Sie sich darauf und machen Sie etwas daraus. Es gibt hierfür in den letzten Jahren vielfältige Möglichkeiten; aber auch ein einstimmig gesungenes Volkslied kann begeistern!
Art der Wertung: bekomme ich am Ende des Wettbewerbs meine Punkte und eine Urkunde, oder erhalte ich ein chorpädagogisches Gespräch oder gar eine schriftliche Beurteilung? Ist ein attraktiver Preis ausgelobt?
Weiterleitungsmöglichkeiten: Ist der Wettbewerb stufig aufgebaut. Gibt es ein Preisträgerkonzert? Muss ich den Termin freihalten? Fördert der Wettbewerb das „Miteinander“ der Chöre, den Begegnungs- oder Festival-Charakter oder werden die teilweise martialischen Namen wie „Chor-Duell“ oder „Sängerwettstreit“ in die Tat umgesetzt?
Bleiben Fragen offen, melden Sie sich frühzeitig beim Veranstalter des Wettbewerbs. Viele Probleme sind, bei frühzeitiger Nachfrage, lösbar. Bei Ausnahmegenehmigungen ist die Schriftform ist anzuraten. Fragen Sie einfach Teilnehmer des letzten Wettbewerbs nach ihren Erfahrungen.
Wie bereite ich mich nun für eine Wettbewerbsteilnahme vor?
Die Auswahl des Wettbewerbsprogrammes ist der erste wichtige Schritt. Es sollte die ganze Bandbreite des Chores gezeigt werden, indem unterschiedliche Kompositionen gewählt werden. Das meint: Unterschiede in der Epoche und Stilistik, Unterschiede im Charakter und Tempo. Natürlich werden eher unbekanntere Stücke gewählt, also solche die „die nicht Spatzen von den Dächern pfeifen“.
Warum nicht auch mal mit einem Komponisten in Kontakt treten und eine „Spezialanfertigung“ als Uraufführung im Wettbewerb präsentieren. Passgenaue Chorliteratur kann so möglich gemacht werden. Prüfen Sie, ob Kompositionen des eigenen Chorleiters möglich sind. Oft werden diese ausgeschlossen (Ausnahme häufig in Jazz/Pop). Der Chor soll an seine Leistungsgrenze herangeführt werden, will man doch auch an dem Wettbewerb und der Wettbewerbsliteratur wachsen – jedoch darf er nicht überfordert werden.
Ein sinnvoller Zeitplan ist für die Vorbereitung der Wettbewerbsliteratur wichtig. Soll der Chor doch gerade zum Termin in Höchstform sein. Routine ist ein Feind des Funkens – der bekanntlich überspringen soll. Ein Chorvortrag ohne Adrenalin und Spannung verliert. Ist die Spannung aber so groß, dass sich „Blut und Wasser“ zu dem Adrenalin gesellt, besteht ein großes Risiko des Misserfolges. Will meinen: Das Programm soll rechtzeitig einstudiert sein und entsprechend in einer (öffentlichen?) Generalprobe erprobt sein. Dieser Zeitplan ist so entscheidend wie die richtige Konsistenz des Frühstücks-Ei.
Wertungsraum:
Erkunden Sie den Wettbewerbsraum. Schauen und hören Sie sich diesen Raum an. Falls möglich: Prüfen Sie, wo der Chor am besten steht und prüfen Sie die Akustik des Raumes (Bedenken Sie: Mit Zuhörer besetzt. Diese machen die Akustik in der Regel trockener!). Versuchen Sie in einem ähnlichen Raum zumindest in den letzten Terminen vor dem Wettbewerb zu proben. Als Regel gilt: Von einem überakustischen Probenraum in eine trockene Wettbewerbs-Atmosphäre ist schwieriger als anders herum. Die Sänger hören sich in trockener Akustik schlecht, es ist schwierig einen homogenen Chorklang zu bekommen. Deshalb ist ein akustisch trockenerer Probenraum zu empfehlen. Das Tempo und die Artikulation sind dem Raum anzupassen. In einer überakustischen Kirche muss langsamer und besser artikuliert gesungen werden, sonst überschlägt sich der Klang und es entsteht nur noch ein einziger Klangbrei. Hier sind vor allem die Konsonanten in der Sprache sehr gefordert.
In einer akustisch trockenen Raumsituation mit niederer Raumhöhe, vielen Vorhängen, Teppichböden und allerlei Textilien hingegen müssen die Vokale, das Legato und das Cantabile in den Vordergrund gestellt werden.
Erwartungen
Die Erfolgserwartungen sollten vorsichtig und realistisch eingeschätzt werden. Wer mit klaren Erwartungen auf den 1. Platz am Wettbewerb antritt, kann über einen sehr guten 2. Platz enttäuscht sein. Klar ist: Der Chor tritt im Team mit seinem Leiter zum Wettbewerb an. Manch ein egomanischer Chorleiter tritt mit überzogenen Erwartungen beim Wettbewerb an. Der Misserfolg wird dann zur bloßen Katastrophe: Austritte aus dem Chor und/oder Rufe „Nie wieder Wettbewerb“. Gehen Sie ohne Erwartungen in den Wettbewerb! Geben Sie Ihr Bestes! Das Motto muss lauten: Dabei sein ist alles. Freuen Sie sich, wenn Sie eine positive Resonanz bekommen und seien Sie stolz darauf sich diesem Procedere unterzogen zu haben. So gehen Sie immer als Gewinner vom Platz: Sie gewinnen Erfahrung, weitere Erkenntnisse, lernen andere Chöre kennen und hören ausgewählt gute und neue Chorliteratur … und, und, und.
Der große Tag ist da:
Reisen Sie rechtzeitig mit dem Chor an. Es stehen Ihnen Einsingräume zur Verfügung. Bei manchen Wettbewerben hat man die Chance einer kurzen Ansing-Probe auf der Wettbewerbsbühne. Nutzen Sie diese Chance – sie ist Gold wert. Strukturieren Sie die Zeit vor dem Wettbewerb so, dass der Chor in einer optimalen Verfassung ist. Der gute Chorleiter schafft es Ruhe auszustrahlen und seine eigene Aufregung zu verstecken. Vor dem eigenen Auftritt anderen Chören zuzuhören ist nicht unbedingt sinnvoll und sollte wohl überlegt sein. Nach dem Wettbewerb aber sollte unbedingt den folgenden Chören zugehört werden. Das hilft die Entscheidung der Jury zu verstehen. Freuen Sie sich am eigenen Erfolg und gönnen Sie den anderen ihren Erfolg. Wir lernen aneinander und miteinander.
Analysieren Sie Ihren Auftritt nachträglich, ergänzen diese Einschätzung durch die Rückmeldung der Jury und der „Schlachtenbummler“ und orientieren Sie daran Ihre weitere Chorarbeit: So sind Sie, so ist Ihr Chor ganz sicher Gewinner des Wettbewerbs, auch ohne Platzierung!
Marcel Dreiling