Man stellt sich einer Fachjury und zeigt, was das Ensemble alles kann. Chorwettbewerbe sind ein Gradmesser für die eigene Arbeit.
Bei den Musikvereinen gehören Wertungsspiele und Wettbewerbe zum guten Ton. Dies ist bis heute fest in den Strukturen und Traditionen verankert. Doch auch Wettbewerbe unter Sängern gehörten und gehören von Anfang an zur Sängerbewegung dazu. und sind untrennlich mit der Geschichte verwoben. Dennoch ist ein heutiger Chorwettbewerb – ob regional, auf Landesebene oder sogar bundesweit – wohl kaum noch vergleichbar mit den Anfängen. Heute sind die Wettbewerbe Veranstaltungen, die allen Beteiligten einen Mehrwert bieten wollen. Doch warum soll man überhaupt zu einem Wettbewerb gehen?
Qualität ist schwer messbar, aber beurteilbar
Beurteilungen in Kunst und Musik stehen oft in der Kritik, da die Wahrnehmung immer relativ ist. Was dem einen gefällt, ist dem nächsten ein Graus. Die Bewertung von Musik ist daher an sich keine einfache Sache. Hier spielen persönliche Vorlieben, aber auch Emotionen eine wichtige Rolle. Und dennoch: Bis zu einem gewissen Grad ist Qualität im Bereich der Musik und dadurch eben auch der Chormusik messbar. Vor dieser großen Aufgabe stehen die Mitglieder jeder Jury bei Chorwettbewerben. Um Klarheit zu schaffen und eine gewissen Beurteilunggsicherheit zu geben, werden die Beurteilungskriterien bereits im Vorfeld für alle Interessierten veröffentlicht. Wo liegen Schwerpunkte, welche Kategorie kommt für welchen Chor in Frage? Dies alles sind Fragestellungen, die Organisatoren und Jurys in der Vorbereitung von Chorwettbewerben beschäftigt.
Chorwettbewerbe im Wandel
Die Gesellschaft ist im Wandel und das zeigt sich eben auch immer wieder in der Chorlandschaft. War das Chorsingen zu Beginn eine reine Männerdomäne, überwiegen nun schon lange Gemischte Chöre, ja, es ist sogar ein leichter Trend zum Frauenchor spürbar. Suchte man Anfang der 90er Jahre noch nach einem passenden Namen für die Chöre, die in ihrem Repertoire Pop-Hits hatten, stoßen nun zu den etablierten Chören Vocal-Bands hinzu. Auf all diese Bewegungen reagieren auch die Verantwortlichen in der Organisation der Wettbewerbe. Den Ensembles bietet sich bei den meisten Wettbewerbsausschreibungen heutzutage eine ganze Liste an möglichen Kategorien. Gemischter Chor, a-cappella mit Begleitung, a-cappella ohne Begleitung, Knabenchöre, Jazz, …. und sogar noch eine freie Kategorie. Natürlich ist es schwer Musik zu bewerten. Eine gut durchdachte Gliederung der Ensembles sowie überlegt ausgewählte Pflichtstücke machen Leistungen und Qualität aber vergleichbarer und vor allem für eine gute Jury bewertbar.
Warum ein wettbewerb und kein Konzert
Worin besteht der Unterschied zwischen einem Konzert und einem Wettbewerbsauftritt in der Vorbereitung? Es ist die Fokusierung. Die Vorbereitung auf einen Wettbewerb kann in einem Chor andere Effekte auslösen als ein Konzert. Beim Wettbewerb geht es darum, ein perfektes Programm für meistens gerade einmal 20 Minuten einzustudieren. Hier ist kein Platz für Fehler. 20 Minuten um zu zeigen, was das Ensemble kann und danach eine Beurteilung zu erhalten, die von einer professionellen Jury kommt – das setzt neue Maßsstäbe. Auch das Proben für einen Wettbewerbsauftritt folgt anderen Regeln. Es geht hier eben nicht darum dem Publikum einen rundum abgestimmten Konzertabend zu bieten. Die Proben sind stärker auf Präzision statt auf Konzertwirkung ausgerichtet.
Sich beurteilen lassen und etwas lernen
Kritik ist zwar nicht immer schön, aber Kritik, vor allem wenn sie konstruktiv ist, kann Chor und Chorleitung wichtige Anstöße für die eigene Arbeit bringen. Es geht bei der Bewertung durch eine Jury nicht darum nur Fehler aufzuzeigen, sondern das Gesamtbild des Chores zu betrachten und zu beurteilen. Aus dieser Situation heraus entstehen neue Ideen, neue Eingebungen für die chorische Arbeit. Ein Chorwettbewerb gibt immer die Chance an sich selbst zu arbeiten und neue Impulse zu erhalten. Nicht nur Chorleiter, vor allem auch Chorsängerinnen und Sänger legen heute Wert auf Qualität und haben Lust auf Leistung. (Siehe auch Zeitschrift SINGEN 1/2018) Ein Chorwettbewerb legt eine starke Fokussierung in die Chorarbeit: Wenige Stücke und diese auf höchstem Niveau. Das verlangt Chor und Chorleitung einiges ab. Für einen Auftritt beim Chorwettbewerb wird an jedem Stück bis zur Perfektion gefeilt.
Die Sicht von außen ist wichtig
Nicht immer im eigenen Saft kochen ist hier die entscheidende Aussage. Sich von außen beurteilen und sicherlich auch kritisieren zu lassen ist wichtig. Eine Jury blickt objektiv auf die Leistungen eines Chores und eines Chorleiters und kann so viel besser Stärken und Schwächen eines Chores analysieren. Diese Analyse kann auch in der Arbeit mit dem Chor hilfreich sein. Kommen von einer Fachjury Anregungen zu Themen wie Intonation, Klanghöhe oder Choreographie, wird diese Kritik in der Regel besser aufgenommen,
als wenn sie von der Chorleitung oder einem Mitsänger kommt. Professioneller Abstand kann hier ein guter Wegbereiter sein.
Neben der professionellen Außensicht auf die eigene Leistung gibt es auch die Sicht auf die anderen Chöre. Bei Chorwettbewerben bietet es sich an, nicht nur als Teilnehmer aktiv mitzuwirken, sondern auch – soweit es möglich ist – als Zuhörer den Wettbewerb zu genießen. Der Blick auf die Leistung anderer Chöre kann die eigene Wahrnehmung stark beeinflussen. Was stört einen selbst am Auftritt anderer, was macht man besser, wo kann man sich etwas abschauen? Hier gibt es viel Input und viele Vergleichsmöglichkeiten.
Was bringt einem ein Chorwettbewerb
In erster Linie bringt die Teilnahme an einem Chorwettbewerb dem Ensemble ein besonderes Erlebnis und eine neue Erfahrung. Das Erfolgserlebnis, aber auch der Gewinn als Chorgemeinschaft kann die Energie im Chor positiv beeinflussen und Rückenwind für weitere zukünftige Projekte geben. Dazu entstehen im Rahmen von Wettbewerben auch oft „Vereinsfreundschaften“ über die regionalen Grenzen hinaus. Gegenseitige Besuche, die oft auch mit Auftritten verbunden sind, erweitern den Aktionsradius eines Chores. Auch interessante neue Auftrittsmöglichkeiten können so eventuell erschlossen werden.
Vor allem für sehr gut beurteilte Ensembles kann ein Titel bei renomierten Wettbewerben auch ein guter Türöffner für weitere Projekte sein. Chorwettbewerbe stehen für Qualität und so ist ein Titel eben auch eine Art Gütezeichen für den Chor.
Ein Chorwettbewerb gibt Spielraum zum Experimentieren. Nicht immer müssen alle Chormitglieder an einem Wettbewerb und den dazugehörigen Vorbereitungen teilnehmen. Es bietet sich hier die Chance auch einmal nur mit Teilen eines Chores intensic zu arbeiten. Warum nicht den Versuch wagen und ein Vokalensemble oder einen reinen Männer- oder Frauenchor aus einem gemischten Chor heraus nehmen. Vielleicht bleibt diese neue Gruppe ja auch noch nach dem Wettbewerb als Bereicherung für den Verein weiter bestehen.
Der Wettbewerb ist Konkurrenz – aber nicht nur
„Dabei sein ist alles“ – das ist das olympische Credo. Wer zu einem Wettbewerb fährt, der hat den Wunsch zu siegen sicherlich im Hinterkopf. Sonst würde er vermutlich nicht den Aufwand für die Teilnahme auf sich nehmen. Dennoch ist bei einem Chorwettbewerb manchmal der Weg das Ziel.
Nicht auf Biegen und Brechen gewinnen wollen, sondern das eigene Potential ausschöpfen, sollte das erklärte Ziel sein. Offen in den Wettbewerb gehen, nicht nur dem eigenen Ergebnis entgegen fiebern, sondern aufeinander und miteinander hören.
Hat ein Ensemble bereits erfolgreich an einem Wettbewerb teilgenommen, kann man sich zum Beispiel für das nächste Mal eine höhere Punktzahl oder sogar einen Gewinn als Ziel setzten. Vielleicht gibt es ja auch eine Weiterleitung zu einem noch größeren Chorwettbewerb oder man darf bei einem Preisträgerkonzert teilnehmen. Das ist Motivation pur.
Isabelle Arnold