oder Ein Chorfest ist ein Chorfest, ist ein Chorfest ist ein Chorfest …..
Mitnichten!
Schon allein die letzten drei vergangenen Chorfeste und die Planung für das nächste in Heilbronn 2019 zeigen: Jedes Chorfest hat seinen ganz eigenen Charakter. Und das ist gut so.
Warum überhaupt Chorfeste?
Ein Dachverband hat es schwer, wenn es um die öffentliche Wahrnehmung geht. Selbst wenn es sich um einen Dachverband im Sport handelt, und erst recht, wenn es um Chorsingen geht. Spaßeshalber haben die Verantwortlichen im Schwäbischen Chorverband (SCV) schon überlegt, einen „Skandal“ anzuzetteln, denn das kommt immer gut bei den Medien an. Es wurde natürlich nicht gemacht. Stattdessen wird weiter versucht, „trotz“ der positiven Nachrichten, die ein Chorverband zu berichten hat, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.
Besser noch als Nachrichten sind Projekte und Events. Das ist natürlich nichts Neues. Schon die Gründer des Schwäbischen Chorverbandes wussten um die Wirksamkeit von Großveranstaltungen und haben diese eingesetzt, um bestimmte Ziele zu erreichen. Wandert man im Silchermuseum durch die Ausstellung zur Geschichte der Sängerbewegung, so findet man dort beeindruckende Ausstellungsobjekte zu den Themen Sängerfeste, Wettbewerbe oder Festumzüge. Für den Umzug anlässlich des Deutschen Chorfestes in Stuttgart 1956 wurde z.B. ein namhafter Künstler aus Stuttgart engagiert, um den Festumzug zu designen. Sein Skizzenbuch ist in einer der Vitrinen zu bestaunen. Der erste Kinofilm der Geschichte von den Gebrüdern Mongolfiere zeigt einen Festumzug der deutschen Sänger, ebenfalls in Stuttgart durchgeführt. Die Brüder hielten das Thema für sehr werbewirksam und waren in ganz Europa damit unterwegs. Sehr spannend sind auch zwei Abbildungen von Sängerfesten, eines in Schwäbisch Hall, das Sänger mit wehenden Fahnen auf den berühmten Treppen der Michaelskirche zeigt, und eines in Heilbronn mit der Ankunft der Sänger aus dem Karl-Pfaff-Gau mit einem Schiff. Die Darstellungen zeigen, welche Menschenmassen damals an solchen Festtagen unterwegs waren. Für seine Feste hatte der Schwäbische Sängerbund bis zum 2. Weltkrieg auch eine wunderschöne hölzerne Festhalle für 5.000 Gäste. Nur Spötter redeten da von einem Bier- und Weinzelt der Sängerbewegung ohne Rummelplatzangebote!
Heute sind wir und die Turner, die ebenfalls viele Menschen bewegten, nicht mehr alleine auf dem weiten Feld der Großveranstaltungen. Es gibt nichts, was es nicht gibt, vieles kann gar nicht extrem und spektakulär genug sein, am besten fließt Blut …
Das macht es für die Planungsverantwortlichen eines heutigen Chorfestes sehr schwer, ein gutes Programm zusammenzustellen.
Was ist überhaupt ein gutes Programm?
Sicherlich unbestritten:
- Für alle soll etwas dabei sein
- Spitze und Breite sollen präsentiert werden
- Nicht nur Chorsänger sollen angesprochen werden
- Im Detail wird es schon heikler:
- Soll Modetrends gefolgt werden?
- Geht es um Bildung?
- Sollen Medienquoten berücksichtigt werden?
- Nur in Kirchen, Sälen oder auch Open Air?
- Nur konzertante Aufführungen, möglichst wenig schmückendes Beiwerk wie Choreographie etc.
- Verstärkt oder nicht verstärkt?
- Jeder kann teilnehmen oder gibt es eine Vorauswahl?
- Wird Literatur vorgegeben?
- Werden Themen vorgegeben?
Sicherlich gibt es weitere Detailfragen, die im Vorfeld eines Chorfestes geklärt werden müssen, aber die Aufzählung zeigt schon, wie schwierig eine Planung ist. Jedes Chorfest bekommt mit Entscheidungen für das eine oder andere oder möglichst alles eine Art Leitbild. Je präziser dieses ist, umso besser wirkt die Veranstaltung für die Teilnehmer und v.a. auch nach außen.
Betrachtet man die letzten drei Chorfeste im Rückblick und vergleicht sie mit den nun aktuellen Planungen für Stadt.Chor.Natur. – Chorfest Heilbronn 2019, dann fallen einem interessante Unterschiede auf, die nichts mit dem Austragungsort zu tun haben, sondern ganz eindeutig mit den rasanten Veränderungen in Gesellschaft und Kultur, z.B. auch bei Parametern wie Hörgewohnheiten, Mobilität usw., die von den Chorfesten aufgenommen werden (müssen?).
38. Chorfest 1989 in Ulm
Ulm war und ist eine ideale Stadt für Feste und Festivals aller Art. Es gibt viele Konzerträume und Kirchen, eine Messe und schöne Plätze in der Innenstadt. Die Stadt Ulm ist sehr kulturaffin und unterstützt das chorische Singen. Das Chorfest 1989 war von seiner Ausrichtung her ein Fest ganz in der Tradition vorausgegangener Chorfeste (übrigens war das 1. Bundeschorfest 1850 auch in Ulm). Angeboten wurden schöne Programme mit bekannter Chorliteratur, Präsentationen der Gaue und vor allem eine Würdigung von Friedrich Silcher, dessen 200jähriger Geburtstag mit verschiedenen Themenkonzerten gebührend gefeiert wurde. Das Singen auf Plätzen in der Stadt wurde zwar angeboten, war aber eher eine Dreingabe als ein zentrales Format. Die Presse lobte das Miteinander, das fachkundige Publikum, die gute Stimmung und das gegenseitige Zuhören, vermisste aber in der Programmgestaltung z.B. zeitgenössische ernste Chorliteratur. Das Konzert Pop und Swing wurde als eines der Highlights gefeiert. Hier begann, was zehn Jahre später bereits ein nicht mehr wegzudenkendes Element der Chorarbeit war: Jugendchöre und Junge Chöre singen Pop, Gospel, Musicals – das Thema Chor und Bewegung wird angegangen.
39. Chorfest 1999 in Ulm
Das Präsidium des Schwäbischen Chorverbandes entschloss sich wegen der guten Erfahrungen aus dem Jahr 1989 auch das 39. Chorfest 1999 in Ulm abzuhalten. Dieses Chorfest kann in der Rückschau als ein Chorfest des Übergangs gesehen werden. Es gab sie noch, die traditionellen Elemente, aber ganz eindeutig rückten die Chorjugend und die Jungen Chöre in den Mittelpunkt des Geschehens. Die Zusammenarbeit mit dem etablierten Ulmer Zelt zeigte z.B., welche positiven Effekte Kooperationen oder die Öffnung des Themas Chorsingen haben können. Manch einer erinnert sich sicher noch an die Modenschau zum Thema Chorkleidung mit Michael Branik als Moderator oder an die Zusammenarbeit mit dem Ulmer Zelt. Dieses Chorfest spiegelte die Veränderungen in der Chorlandschaft wieder. Innerhalb von zehn Jahren änderte sich Grundlegendes im Verständnis davon, was Chorsingen ausmacht. Natürlich sollte es weiterhin Spaß machen und Gemeinsamkeit fördern, aber es zeigte sich ein neuer Anspruch auf Qualität im Tun und es begann sich ein gewisser Abstand oder sogar Widerstand zum traditionellen Gesangverein zu entwickeln. Dazu kam eine Art Orientierungslosigkeit und Ratlosigkeit, was denn nun gute Chormusik ausmacht. Ein Synonym dafür war der sehr chaotische Schluss der sogenannten „SSB-Revue“, bei dem nichts von der viel gepriesenen Harmonie in den Chören zu sehen und zu hören war. (Inzwischen gibt es einen neuen Schluss, eine Conklusio: es ist die Vielfalt, die uns ausmacht, aber nicht nur diese sondern vor allem die Qualität).
40. Chorfest 2009 in Heilbronn
Die Delegierten des Chorverbandstages 2006 entschieden sich für Heilbronn als Gastgeber für das 40. Chorfest 2009. Eingeladen hatte die Stadt Heilbronn, die das Festival großzügig finanziell und personell unterstützte, und der Chorverband Heilbronn, der 2009 sein 125jähriges Jubiläum feierte. Er leistete Großartiges in Sachen Helfer für das Chorfest.
Stadt.Chor.Fluss – Klangfestival der 10.000 Stimmen, so hieß das Motto. Die Entwicklung, die sich 1999 angekündigt hatte, setzte sich fort. Es gab viele Veranstaltungen mit einem „jungen“ Gesicht und von hoher musikalischer Qualität. Open Air Veranstaltungen wurden immer wichtiger. Es ging den Organisatoren darum, Menschen dort abzuholen, wo sie sich befanden und die Hemmschwelle, einen Konzertsaal betreten zu müssen, abzubauen.
Zum ersten Mal entschied sich der Schwäbische Chorverband, mit einem Stadtmarketing in Form einer Kooperation zusammenzuarbeiten. Das Heilbronn Stadtmarketing veranstaltete gleichzeitig zum Chorfest ein Neckarfest. Beide Partner erwarteten sich gute Synergieeffekte, die allerdings nur zum Teil eintraten. Der moderne Mensch geht heutzutage nicht einfach irgendwo hin. Er plant seine Zeit, von der er, trotz allen Aussagen, immer weniger zu haben scheint, genau ein. Besucht er eine Veranstaltung, dann hat er bestimmte Erwartungen. Zusatzangebote nimmt er mit. Ob sie eine nachhaltigere Wirkung haben, bleibt fraglich. Auf jeden Fall nicht für die Masse, höchstens für Einzelne.
Hier wird das Spannungsfeld zwischen den Verfechtern der „klassischen“ Chormusik und denen deutlich, die mehr auf Außenwirkung setzen mit dem Argument, dass es sich die Chormusik gar nicht leisten kann, sich auf „Inseln“ zurückzuziehen. Mit diesem Spannungsfeld sind wir übrigens nicht alleine. Denken Sie nur an die vielen Aktionen, die klassische Orchester, Theater oder Ensembles anbieten, um Publikum heranzubilden bzw. wiederzugewinnen. Das einmal sogar erkämpfte Gut, nämlich Bildung für alle, Kunst für alle, ist kein Motor, kein Ziel mehr für die Menschen. Ich will es an der Stelle damit gut sein lassen, denn eine weitere Betrachtung und Analyse würde den Rahmen dieser Betrachtung weit sprengen. Nur so viel: Es muss eine unserer Hauptaufgaben sein, dass eine ganzheitliche Bildung das „Normale“ ist. Menschen haben ein Recht darauf. Deshalb sind Kooperationen mit Kindergärten und Schulen, mit der VHS, mit den Kirchen, mit anderen Amateurmusikverbänden zu so wichtigen Elemente geworden, die bereits bei diesem Chorfest einen großen Raum eingenommen haben. Wir verlassen damit unsere Insel und haben einen guten Kurs gewählt. Da die Winde manchmal aber nicht günstig sind (Stichwort: längst überfällige Bildungsreform), müssen wir sicherlich eine Zeit lang noch kräftig rudern, bis wir da sind, wohin wir wollen.
41. Chorfest 2019 in Heilbronn
Es ist also nur logisch, wenn dieses Chorfest das Thema Kooperationen zu einem Hauptthema gemacht hat und sogar Preise für die interessantesten und vor allem für die nachhaltigsten Kooperationen ausgelobt werden (siehe Seite 11). Auch eine Form der Kooperation ist das gegenseitige Kennenlernen, das Zuhören (eine Tugend, die 1989 in Ulm wohl noch deutlich ausgeprägt war, denn sie wurde ausdrücklich in der Presse gelobt), also die Vernetzung mit denen, die auf der gleichen Wellenlänge schwimmen. 2009 war es leider oft so, dass sich die Chöre untereinander nicht zugehört haben und stattdessen lieber zur Weinprobe oder zur Salzstollenbesichtigung davongeeilt sind. Einige mit-
wirkende Chöre haben ihr gut erarbeitetes Programm vor fast leeren Stühlen präsentiert. Organisatorisch kann man solche Probleme nur bedingt lösen, indem der SCV z.B. ein Liederheft mit Liedern herausgeben wird, die zum gemeinsamen Singen einladen und Chöre, die zusammen ein Konzert gestalten ermuntert, am Schluss etwas gemeinsam zu singen. Übrigens: Wir erwarten, dass Menschen, die nicht in Chören singen als Zuhörer kommen…? Das Thema Chorsängerinnen und Chorsänger als Repräsentanten eines der schönsten Hobbys der Welt gehört sicherlich zu den Punkten, die dringend positiver gelöst werden müssen.
Zum Bereich „Sich gegenseitiges Kennenlernen und Vernetzung“ gehören auch die Mitmachangebote, die Ihnen auf den Seiten 12 und 13 vorgestellt werden. Wie war das denn mit dem Ministerium gegen Einsamkeit, das ein nordisches Land, von dem man immer geglaubt hat, da sei alles in bester sozialer Ordnung, eingeführt hat?
Insgesamt ist zu sagen, dass die Programmverantwortlichen für das nächste Chorfest den Ehrgeiz haben, die oben geschilderten Erkenntnisse und Erfahrungen in einer Form umzusetzen, die Freude bereitet, motiviert und hoffentlich das berühmte Gänsehautgefühl erzeugt, das wir uns wünschen und das wir brauchen, um gewappnet zu sein für das, was so alles auf uns niederprazzelt auf diesem buckeligen Planeten.
Sie finden ab Seite 10 den neuesten Stand der Projektplanung. In jeder Ausgabe von SINGEN und im Internet werden die einzelnen Angebote weiter präzisiert. Und natürlich stehen wir Ihnen gerne für Fragen zur Verfügung. Jetzt müssen Sie sich nur noch anmelden! Wir freuen uns auf Sie, auf Ihren Optimismus und Ihre Begeisterung.
Monika Brocks