Der Schwäbische Chorverband beteiligte sich an der Errichtung von Denkmälern. Eines davon erregt bis heute die Gemüter: das Tübinger Silcherdenkmal von 1941.
Dieses Frühjahr sind in Tübingen zwei Restauratoren dem Herrn Silcher mit einem Hubsteiger zu Leibe gerückt. Mit Heißdampf versuchten sie, den mehrere Meter hohen Koloss aus Muschelkalk auf der Neckarinsel von Schmutz und zahllosen Graffiti zu befreien.
Sauber ist nicht gleich rein
Äußerlich war die Säuberungsaktion des Denkmals zweifellos erfolgreich. Aber schöner ist die Steinmetzarbeit dadurch nicht geworden – zumindest nicht im künstlerischen Sinne. Überhaupt haftet der Skulptur ein weithin sichtbarer Makel an, der sich mit nichts wegpolieren lässt: Sie ist und bleibt in Erscheinung und Aussage ein Werk der Nazizeit.
Ein Zeugnis seiner Zeit: Die Entstehung des Denkmals
Nun zu ihrer Geschichte: 1939 plante man in Tübingen, Silchers 150. Geburtstag angemessen zu feiern. Ein Vorhaben, das dem Tübinger NSDAP-Kreisleiter und fanatischen Silcher-Verehrer Hans Rauschnabel gerade recht kam. Rauschnabel, der im Zuge der Gleichschaltung auch zum stellvertretenden „Bundesführer“ des Schwäbischen Sängerbunds ernannt worden war, hatte wenige Jahre zuvor noch als Volksschullehrer und Chorleiter in Silchers Geburtsort Schnait gearbeitet.
In Schnait hatte Rauschnabel in jenen Jahren ein völlig überdimensioniertes neues Silcher-Museum mit Thingplatz als nazistische Kult(ur)stätte für Volksgesang entworfen (siehe auch Zeitschrift SINGEN 10.2012). Realisiert wurde es dann 1935, aber nicht so, wie von ihm gewünscht, sondern in einem viel bescheidenerem Umfang. Jetzt, in Tübingen, wo ihm erneut ein möglichst großes Monument mit einem Aufmarschplatz vor Augen schwebte, sollte ihm das nicht mehr passieren.
So wurde 1939 auf Rauschnabels Betreiben ein Wettbewerb für ein Silcher-Denkmal ausgeschrieben. Teilnehmen durften natürlich nur Parteigenossen und Mitglieder der Reichskulturkammer.
Der Kreisleiter beschrieb auch ziemlich genau, was ihm vorschwebte: eine Thingstätte mit einem Denkmal, das zugleich ein Brunnen sein sollte, an dem wiederum einige Lieder visualisiert sein sollten: „Der gute Kamerad“, „Wer will unter die Soldaten“ sowie Liebes- und Abschiedslieder. (Die gleichen Themen hatte Rauschnabel schon 1935 als Fensterbilder für das Silcher-Museum bei einem Glasschleifer ausführen lassen.)
Unter den 37 in Tübingen eingesandten Arbeiten wählte dann eine Kommission im Juni 1939 den Entwurf des Bildhauers Wilhelm Julius Frick aus Stuttgart zur Ausführung aus. Sein ganz im Stil des Naturalismus gehaltenes Werk richtete sich besonders stark nach Rauschnabels Vorgaben.
Der Gewinnerentwurf
Fricks Silcher sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf einem nicht näher definierten Gegenstand, in den Händen hält er Papier und Feder. Aus dem Rücken des Musikers wachsen derweil jene Figuren, die die geforderten Lieder verkörpern: zwei Soldaten mit Stahlhelmen setzen die dritte Strophe des „Guten Kameraden“ in Szene, ein nackter Knabe mit einem Gewehr das berühmte Kinderlied „Wer will unter die Soldaten“, und ein sich küssendes Paar spielt auf eines der Abschiedslieder an. Man hat schon öfters darauf hingewiesen, dass diese idealisierten
Figuren des Denkmals in erster Linie der nationalsozialistischen Propaganda und Verharmlosung des Krieges dienten.
Von Anfang an umstritten
Das fertige Monument wurde im Frühjahr 1941 errichtet. Eine Einweihungsfeierlichkeit gab es wegen des inzwischen tobenden Krie-
ges nicht. Wohl aber gab es damals schon erste Proteste gegen das Denkmal! Einige fanden zum Beispiel, die überdimensionierte
Skulptur sei der viel genannten Bescheidenheit Silchers nicht angemessen. Und bereits wenige Wochen nach der Aufstellung verur-
sachte ein mit roter Farbe verübtes „Attentat“ einen handfesten Skandal. (Einer der Täter erklärte Jahre später, die Attacke habe
seinerzeit nicht dem Komponisten, sondern dem unbeliebten Kreisleiter gegolten.)
Die Zeit nach 1945
Erst recht umstritten war das Denkmal nach 1945. Immer wieder wurde seine Beseitigung gefordert. Besonders der Schwäbische Chor-
verband musste sich damit herumplagen, und man wäre im Nachhinein froh gewesen, man hätte sich nie auf das Denkmalprojekt eingelassen. Hohe Kostenschätzungen für einen Abriss, aber auch die Frage nach der Legitimität einer Denkmalbeseitigung und das Problem einer alternativen Aufbewahrung haben alle Überlegungen dazu regelmäßig im Sande verlaufen lassen.
Ein Denkmal mit Erklärungsbedarf
1977 ließ der Schwäbische Sängerbund endlich auf dem Figurensockel das Entstehungsjahr „1941“ anbringen. Es sollte für die Be-
trachter eine Hilfe sein, um das Werk historisch besser einordnen zu können. Eine sehr bescheidene Hilfe.
Heute ist man in Sachen Aufklärung dank der Tübinger „Geschichtswerkstatt“ deutlich weiter. Ihre Mitarbeiter haben in den vergan-
genen Jahren in der Stadt einen „Geschichtspfad zum Nationalsozialismus“ ausgearbeitet. Die 16 Stationen des Rundgangs sind mit ausführlichen Informationstafeln bestückt. Eine der Tafeln steht in der Platanenallee neben dem Silcherdenkmal. Sie erklärt an diesem Beispiel „Die Vereinnahmung der Künste im Nationalsozialismus“.
Nicht einfach ein Koloss zum Abreißen
Wenn nun wieder einmal in der Lokalpresse, wie jüngst im Zusammenhang mit der Reinigung des Denkmals geschehen, in einem Leserbrief gefordert wird, „der ungeschlachte Koloss aus der Nazi-Zeit“ gehöre „auf den Trümmerhaufen“ geschmissen, so wird dem mit Recht entgegengehalten: Das einstige Nazi-Denkmal ist heute „ein wichtiges zeithistorisches Mahnmal“. Auch wenn es dem Spaziergänger auf der Neckarinsel missfällt und die meisten Silcherfreunde liebend gern darauf verzichten würden.
Nach dem Frick´schen Denkmal wurden übrigens in der Mosbacher Majolikafabrik auch einige kleine Repliken angefertigt, Zwei davon, ein weißglasiertes Stück und ein roter Rohling, sind vor einigen Jahren ins Silcher-Museum gelangt, wo sie ebenfalls mit entsprechenden Hinweisen ausgestellt sind.