Jedes Alter hat seine Eigenheiten. Das ist bei der Stimme nicht anders. Wie man am besten mit der Kinder- und Jugendstimme umgeht, beschreibt Jan Martin Chrost.
Im Rahmen meiner Tätigkeit in der Aus- und Fortbildung im Bereich Kinder- und Jugendchorleitung stelle ich immer wieder fest, dass für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen grundsätzlich alle Regeln der klassischen Chorleitung gelten. Angefangen von Verbindlichkeit, langfristiger und zielgerichteter Planung, einem sozialfördernden Ansatz und Angebot, methodischer und didaktischer Vielfalt, den eigenen künstlerischen und pädagogischen Fähigkeiten und Möglichkeiten der Chorleitung, didaktischem Geschick über ihre optimale Vorbereitung bis zu einem auf den Punkt bringenden und alles zusammenfassenden (Konzert-)Dirigat gelten alle Punkte uneingeschränkt in der musikalischen Nachwuchsförderung. Darüber hinaus gibt es jedoch, fundiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, manches zu beachten.
Entwicklungsstand und Psychologie
Studiert man die Theorien der psychosozialen Entwicklung zum Beispiel nach Erik H. Erikson oder Jean Piaget, wird schnell deutlich, dass die Probenmethodik der Chorleiter in Kinder- und Jugendchören sehr vielfältig und variabel sein sollte, damit auf Situationen spontan und intuitiv reagiert werden kann. In der Leitung von Erwachsenenensembles ist eine derartige Vielfalt nicht zwingend notwendig, da Erwachsene gedanklich anders mit unterschiedlichen Situationen umgehen (können). Sie reflektieren und analysieren be- und unbewusst das Probengeschehen und stellen dieses in ein Verhältnis zu sich selbst.
Gemeinsam haben alle Entwicklungstheorien, dass die Dauer der Entwicklungsphasen sich mit ansteigendem Lebensalter verlängert, während die Phasen in jungen Jahren dichter aufeinander folgen. Dies hat unmittelbar Auswirkung auf die Gruppengröße und – zusammensetzung sowie die Interessenschwerpunkte von Kindern und Jugendlichen, denen sich zudem die Probenmethodik des Chorleiters anpassen sollte.
Jeder lernt anders
Unabhängig vom Alter können Menschen in Lerntypen eingeteilt werden. Nach Frederic Vester wird in optische, auditive, haptische und kognitive Lerntypen unterschieden, wobei hier in der Regel nicht ein Typ alleine zugewiesen werden kann. Dies ergibt eine Vielzahl individueller Lernansätze. Da Kinder ihr eigenes Lernverhalten meist nicht eigenständig einordnen (können), muss dies die Chorleitung im Blick haben.
Je größer die Gruppe ist, desto schwieriger wird es daher, auf jeden individuellen Lerntyp einzugehen. Der didaktische Ansatz sollte deshalb schon in einer Probe immer variieren sowie alle Bereiche der Lerntypen ansprechen. Komplexer wird diese Dimension, da sich die Kanäle der Ansprache im Leben immer wieder verändern. Dennoch ermutige ich stets „Elemente der Kinderchorleitung“ (intentionale Stimmbildung, Integration von Bewegungen, ganzheitliche Körper- und Stimmbildungsarbeit, etc.) verstärkt in der Erwachsenenarbeit einfließen zu lassen und
warne zugleich vor einem klischeehaften und betont simplen oder unterschwelligen Ansatz in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Der für einen kurzen Zeitraum geformte Plan einer Probengestaltung, ist Teil einer übergeordneten langfristigen Zielund Entwicklungssetzung.
Motivation von vorne
Ein (junger) Erwachsener entscheidet selbst, dass er sich auf Grund seiner Freude am Singen einem Chor anschließt und diesem Hobby nachgehen möchte. Er differenziert auf Grund seines Interessenschwerpunktes, der sich durch viele Erfahrungen ausgeprägt hat, seine Wahl des Ensembles, der Chorleitung oder der Institution. Kinder und Jugendliche sind hier „unbeschriebener“, woraus eine große Chance, aber auch eine noch größere Verantwortung resultiert. Ich selbst sage häufig: „Man kann Kinder und Jugendliche für jede Musik begeistern! Es ist die Frage, wie ich sie im Gesamten verpacke.
Authentizität in Vermittlung sowie musikalischer Darstellung ist dabei Grundvoraussetzung.“ Nimmt man dies wörtlich, entkräftigt es den Begriff der „kindgerechten Liedauswahl“ oder stellt diesen zumindest in manchen landläufig genutzten Kontexten in Frage. Nachvollziehbar bleibt eine Choralmelodie, womöglich mit komplexem (lateinischen) geistlichen Textinhalt, „schwere Kost“ und eine Hürde für Kinder. Aufgeführt mit einem gemischtstimmigen Chor und Orchester wird diese jedoch zu einem Erlebnis und eine unvergessliche Erfahrung für die Kinder. Die Entkräftung trifft auch für andere Bereiche zu, in denen die Klassifizierung „kindgerecht“ pauschalisiert verwendet wird.
Die meiste Motivation erfahren Sänger in einer Probe über die Sprache. Beim Proben passieren Fehler, sonst müssten wir nicht proben. Doch auf welche Weise mache ich auf den Fehler aufmerksam? Ist es überhaupt notwendig, auf diesen direkt hinzuweisen? In den meisten Fällen kann ich aus einer „Negativaussage“ eine „Positivaussage“ formulieren oder gebe durch andere Schwerpunkte der Aufmerksamkeit und / oder Bewegungen neue Impulse, die den Fehler automatisch beheben. Leistungsdruck wird so durch Lernen über Bestätigung ersetzt und steigert das Wohlgefühl in der Probe.
Elternarbeit
Selten bleibt ein Kind langfristig dem Chor allein aus Eigeninitiative erhalten, wenn es keine Bestärkung vom Elternhaus erfährt. Die Motivation der Eltern und / oder Familien ist daher ebenso wichtig wie die Motivation der Kinder. Sie müssen überzeugt von dem chorischen Angebot und den Fähigkeiten des Chorleiters sein. Je selbstverständlicher sie ihr Kind beim Singen unterstützen, desto stärker wird die Bindung an den Chor und seine Leitung.
Elternarbeit ist deshalb nicht allein auf administrativer, organisatorischer Ebene unabkömmlich, sondern in der musikalischen Arbeit zu empfehlen. Laden Sie die Angehörigen doch beim nächsten Konzert ein, ein Stück mit den Kindern gemeinsam zu singen. Das daraus resultierende Zeichen für die Kinder ist hier nebenbei überragend und die generationsübergreifende Außenwirkung öffnet einem vielleicht manche Tür.
Beziehungsarbeit
Die persönliche Bindung zwischen Chorleitung und Kindern und Jugendlichen ist bekannt. Doch gehört sie in diesem Kontext und im Vergleich zur Erwachsenenarbeit unbedingt erwähnt. Ich bin davon überzeugt, dass sie mit einer klaren Grundeinstellung und nachvollziehbaren Leitlinien überall gelingen kann.
Dazu gehören:
- eine positive Grundhaltung
- kein (unnötiger, übersteigerter) Zwang
- Toleranz für Fehler und individuelle Umstände
- Akzeptanz von Gefühlen und unterschiedlichen Persönlichkeiten sowie Interessen.
Bei Beachtung dieser Grundprinzipien entsteht automatisch eine Gleichbehandlung aller Sängerinnen und Sängern und eine Gemeinschaft, die über allem Genannten eine Bindungskraft erzeugt, die ein Einzelner nur schwer hervorrufen kann. Rituale und Traditionen in den Proben und im Jahresprogramm untermauern dies.
Enorme Bestärkung erfährt die Chorgemeinschaft bei Chorfahrten. Hier entsteht ein Gruppenzusammenhalt, wie er in der begrenzten wöchentlichen Probezeit schwerlich erzeugt werden kann. Dies wird zudem positive Auswirkung auf die Klanglichkeit des Chores und den verbindlichen regelmäßigen Probenbesuch haben. Bei Begegnungen mit anderen Chören wird für die Kinder spürbar, dass sie mit ihrem Hobby „nicht alleine“ sind, gerade in aktuellen Zeiten, in denen das Singen in der Gesellschaft und zu Hause nach wie vor abnimmt.
Fazit:
Zusammengefasst ergeben alle diese Punkte eine große und anspruchsvolle, aber zugleich überaus interessante und inspirierende Herausforderung.
Daher ist es ratsam sich gewissenhaft ein gutes Team und/oder eine tragende Struktur für eine fundierte Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu schaffen. Zugleich sichert dies die Beständigkeit und Nachhaltigkeit Ihrer Arbeit und bereitet im Austausch Freude über das Musizieren hinaus.
und Jugendchorleitung.
Kurzvita
2010-2014 Bachelor Katholische Kirchenmusik HfMT-Köln
2010-2015 Kirchenmusiker in
St. Marien Kevelaer
seit 2012 Mitglied im Deutschen Jugendkammerchor
2014-2016 Master Katholische Kirchenmusik HfMT-Köln
seit 2015 Dekanatskantor des
Dekanats Heidenheim
seit 2015 Mitglied im Kammerchor
vox animata
seit 2016 Regionalkantor der Diözese Rottenburg-Stuttgart