Wie Hobbysänger zu Chorsängern wurden und Chorsänger neue Erfahrungen sammelten durch die Mitwirkung an einem professionelle Musical.
Einmal mit Musicalprofis gemeinsam auftreten: dieser Traum ist für rund 230 Chorsängerinnen und Chorsänger aus der Metropolregion Stuttgart in Erfüllung gegangen. Ein Jahr lang durften sie mit den Profis des Disney-Musicals „Der Glöckner von Notre Dame“ abend für abend auf der Bühne stehen. Ein Erlebnis für Profis und Laien. Ein Projekt mit Strahlkraft in die Vokalszene rund um Stuttgart.
Von Januar 2018 bis Febraur 2019 präsentierte das Hamburger Musicalunternehmen Stage das Disney-Musical im Stage ApolloTheater in Stuttgart. Neben dem professionellen Cast stand Abend für Abend ein 24-köpfiger Chor auf der Bühne. Aber nicht irgend ein Chor: Ein Chor aus Amateurchoristen aus der Region Stuttgart. Thomas Schreier, Sänger, Musicaldarsteller, Chorleiter und Vokalcoach aus Berlin, gehört zum festen Ensemble am Apollo-Theater. Für ihn und für das Stück ist der Chor sehr wichtig, wenn nicht sogar der wichtigste Bestandteil der ganzen Show. „Wir sprechen vom Chor von Notre Dame. Die Sängerinnen und Sänger sitzen während der ganzen Show in den beiden Glockentürmen und sind immer zu sehen. Wenn in einer Szene Schauspiel im Vordergrund steht, dann sieht man nur graue Kutten sitzen. Aber wenn der Chor angeleuchtet wird, dann gehen die Mikrofone an und los geht`s“.
Gute Vorbereitung auf den Auftritt
Der Chor wurde von ORSO, der Orchestra & Choral Society Freiburg /Berlin zusammengestellt. Nach Informationsveranstaltungen gab es Schnupperproben und erste Stimmchecks. Die Einstudierung erfolgte im Schwerpunkt durch den ORSO-Gründer und künstlerischen Leiter Wolfgang Roese. Die Stimmchecks organisierte und führte Sarah Behrendt. Besondere Anforderungen gab es erstmal keine, jedoch durften keine extrem auffälligen Haarfarben und kein Schmuck getragen werden. Außerdem mussten alle Choristen die steilen Treppen des Bühnenbildes meistern können. ORSO und dem Theater war besonders wichtig, eine gute Altersmischung zu bekommen. So bildete sich der „Glöckner-Chor“ aus Sängern von 18 – 80 Jahren. Acht Shows pro Woche wurden präsentiert. Das hieß, pro Show einen 24-köpfigen Chor zusammenzustellen. Aber die Menschen, die den Chor bildeten, waren mit ganzem Herzen dabei.
So auch Vera Fleisch. Die Sängerin aus dem Kreis Böblingen sagt selbst, dass die Show und das Mitsingen süchtig machten. Am Anfang stellte man sich jedoch viele Fragen. „Brauchen die bei einem Profimusical mich als Amateurchorsänger? Bin ich eventuell zu alt? Die suchen eher Jüngere. Nach der ersten Schnupperprobe war man dann vom Mitmachfieber infiziert und hat gehofft, einen Platz im Glöckner-Chor zu bekommen. Doch dann wurde man wieder skeptisch: Schafft man die anspruchsvollen Chorpassagen und lässt sich die Mitwirkung mit dem Alltag vereinbaren?“.
Fragen, die sich der Stuttgarter Dustin Hönes weniger stellte. Er bewarb sich ohne jegliche Chorerfahrung und größere Notenkenntnisse. „Die Masse an Notenmaterial hat mich nach der Zusage skeptisch gemacht, ob ich dem Ganzen gerecht werde. Wenn man nur für sich gesungen hat und jetzt plötzlich exakt den Tenor 2 singen soll, obwohl der Alt 1 einem direkt ins Ohr singt, ist das herausfordernd. Die Last fiel nach den ersten Shows von den Schultern. In diesem Jahr hat man durch die vielen Choristen eine tolle Gemeinschaft aufgebaut und durch die Profis und das ganze Haus sehr viel für die eigene musikalische Arbeit gelernt. Für mich der Beginn einer möglichen Chorkarriere in einem regionalen Chor.“
Eine Erfahrung fürs Leben
Auch für Siegfried Schneider, Präsident des Chorverbandes Otto Elben, war es ein Jahr neuer Erfahrungen im Austausch mit den Profis: „Das Besondere war wirklich das gemeinsame Musizieren mit Profis. Das, was ich und auch die anderen hier in einem Jahr an Stimmtechnik und Chorpraxis erfahren haben, habe ich in den letzten 15 Jahren nicht gelernt. Besonders im Bereich Stimmbildung. Durch die professionelle und ausgiebige Zusammenarbeit mit Profis haben wir den Beweis erhalten, dass dies auch in unseren Chören der erste Schritt für einen guten Chorklang und für eine gute Chorgemeinschaft sein muss. Die Vermittlung der Übungen war beispielhaft und für viele unserer Chorleiter ein Impuls für die eigene Arbeit. Und auch stimmlich haben wir uns durch die Übungen verbessert, so dass nun jeder von uns mindestens einen Ton höher singen kann.“
Für viele Chorsängerinnen und Chorsänger war das Jahr im Musical-Chor eine intensive und spannende Erfahrung, die noch lange Zeit anhalten wird. Durch die Zusammenarbeit mit ausgebildeten Musikern haben die Amateure viele neue Impulse für die eigene Chorarbeit, und auch die Profis einen intensiven Kontakt zur „Basis“ erhalten. Egal ob Profi oder Amateur – die Musik und das gemeinsame Interesse an Musik verbindet. Und für manchen Glöckner-Chorsänger war diese Erfahrung die Initialzündung für eine Musicalausbildung. Ein Funke, der ein Feuer für das Chorsingen entzündet hat.