Bei der Chor- und Stimmbildungswoche Ochsenhausen gibt es viel Input für Chorleiter und begeisterte Sänger
Immer neugierig auf neue musikalische Erfahrungen im Chorgesang hatte ich schon an verschiedenen Veranstaltungen des Schwäbischen Chorverbands teilgenommen; beim Projektchor der Stuttgarter Chortage im April 2018 hatte mich Annette Glunk vom Stuttgarter Kolping-Chor ermutigt, zur Chor- und Stimmbildungswoche in Ochsenhausen zu kommen.
Viele kennnen das ehemalige Kloster Ochsenhausen von Chorwochenenden und anderen Musikprojekten; für mich war es der erste Besuch dort. Die Bedingungen an der Landesmusikakademie könnten nicht besser sein: Sie bietet eine perfekte Umgebung für musikalisches Tun. Oft finden dort parallel mehrere Veranstaltungen statt: Während unseres Aufenthalts waren noch ein Vorbereitungskurs für einen Organistenwettbewerb, eine Meisterklasse für Klavier und ein europäischer Jugendauswahlchor präsent. In den Probenräumen ist der Steinway-Flügel Standard, im Speisesaal steht eine stattliche Orgel, die anwesenden Chöre wechseln sich ab, das Mittagessen mit einem Lied zu eröffnen. Bei sommerlichem Wetter und offenen Fenstern war man auch draußen immer und überall von Musik umgeben.
Eine Veranstaltung mit Tradition und Platz für Neues
Die Chor-und Stimmbildungswoche findet an diesem Ort schon seit mehr als zwanzig Jahren statt, und unter den Teilnehmern gibt es einen hohen Anteil von “Wiederholungstätern”. Wie auch vorher schon bei allen Chorprojekten, zu denen ich neu dazugestoßen war, war sofort eine herzliche Gemeinschaft da, die am gemeinsamen Ziel des zusammen Musizierens arbeitete.
Die Chorleiter – die schon erwähnte Annette Glunk und Marcel Dreiling, der die Chorleiterausbildung im Schwäbischen Chorverband leitet – hatten ein Programm zum Thema „Romantik“ zusammengestellt, das wir in knapp vier Tagen zur Aufführungsreife bringen sollten.
Gleich zur ersten Probe wurde uns ein dickes Notenheft mit den Chorsätzen ausgehändigt (ein Supplement-Heft kam später noch dazu), und es war schnell klar, dass wir ein herausforderndes Programm vor uns hatten. Siebzehn (!!) Lieder in knapp vier Tagen – und die Allermeisten davon neu für fast alle.
Stimmbildung ist ein wichtiger Bestandteil des Seminars
Zusätzlich gab es das Angebot, eingeflochten in die regelmäßige Probenarbeit an individuellen Stimmübungen teilnehmen zu können. Dazu standen zwei Coaches zur Verfügung, die uns in Zweiergruppen nach unseren Wünschen über schwierige Stellen in den Chorstücken, aber auch über individuelle stimmliche Herausforderungen hinweg helfen konnten. Mit drei Proben am Tag war ein straffer Ablauf vorgegeben.
Ein wichtiger Grund, in Projektchöre zu gehen, ist für mich immer auch, die unterschiedliche methodische Herangehensweise verschiedener Chorleiter kennen zu lernen. Die Zusammensetzung bei dieser Chorwoche, bei der der dauernde Chorleiterwechsel selbst Programm war, gab dazu reichlich Gelegenheit.
Glänzend geplant vom SCV und den Organisatoren der Chorwoche wurde uns am Abend des 27. Juli außerdem eine gut sichtbare Mondfinsternis spendiert, zu deren Krönung auch noch gleichzeitig ein Vorbeiflug der Raumstation ISS zu sehen war. Es waren also nicht nur die musikalischen Sterne wohl aufgereiht …
Schwerpunkt „Romantik“
Der Programmschwerpunkt Romantik ließ neben Liedern der „üblichen Verdächtigen“ Brahms, Bruckner und Mendelssohn auch Raum für einige Überraschungseffekte. Bei „La belle si nous étions“ von Francis Poulenc lernten wir, französische Zungenbrecher in halsbrecherischem Tempo zu singen. Frank Martin steuerte aus seiner ShakespeareVertonung „Songs of Ariel“ ein Stück bei, das den Chor in einen vielstimmig summenden Bienenschwarm verwandelte. Von Hans Gretler, einem weitgehend unbekannten steirischen Komponisten, kam eine sehr eigenwillige Variation über „Der Mond ist aufgegangen“, die wir dem überall bekannten Original von Matthias Claudius gegenüber stellten.
Es war diese Mischung aus Erwartetem und völlig Überraschendem, die die Zusammenstellung der Lieder der Chorwoche so spannend und interessant machte. Dadurch war dann auch schnell vergessen, dass wir uns beispielsweise an Bruckners „Os Justi“ über lange Zeit die Zähne ausgebissen hatten …
Ein Konzert und ein weiteres Highlight
Schließlich waren wir bereit für den großen Auftritt und durften uns am freundlichen Applaus der Zuhörer erfreuen. Doch das war noch nicht alles. Schon zu Beginn der Chorwoche war ich eingeweiht worden, dass das Abschlusskonzert nur der erste Höhepunkt des Samstagabends sein würde, das eigentliche Highlight aber sei der „Bunte Abend” anschließend. Die erfahrenen „Alt-Ochsen” hatten sich schon im Vorfeld vorbereitet: „Erst-Ochsen“ wurden davon überzeugt, dass Mitmachen Ehrensache ist, und obwohl wir ja an allen Tagen schon reichlich Probenzeit investiert hatten, brachten alle noch genügend Energie mit, um zwischen den großen Proben „mal eben” noch ein paar zusätzliche Stücke einzuüben, im Solo, im Duett, oder im kleinen Ensemble. So wurde dann am Samstagabend ein wunderbarer bunter Reigen von Liedern aufgeführt, mit solistischen Glanzstücken wie „Oh mein Papa“, schmissigen Tangos, experimentellen Rap-Songs und einer formidablen Eulenspiegelei, bei der die Ereignisse der vergangenen Tage humoristisch reflektiert wurden.
Singen an besonderen Orten
Bevor am Sonntag der allgemeine Aufbruch begann, erwartete uns noch ein besonderes Highlight: Obwohl die Klosterkirche eigentlich durch den laufenden Organistenwettbewerb komplett ausgebucht war, hatte es Marcel Dreiling erreicht, dass wir dort dennoch für eine halbe Stunde drei Stücke aus unserem Programm vom Vorabend nochmals singen durften.
Der Unterschied zum abendlichen Konzertraum vom Vortag hätte kaum größer sein können. In diesem herrlichen barocken Raum unseren Chorklang bis in die höchste Kuppel zu tragen, war ein erhebendes Erlebnis. Beim sechzehnstimmige Mendelssohn trugen uns die Engel, wie ihnen befohlen war, federleicht in die Höhe, und mit Rheinbergers Abendlied – obwohl darußen noch heller, sonnendurchfluteter Tag war, blieb der Herr bei uns, da es doch bald Abend werden sollte. Einen besseren Abschluss für die vier musikerfüllten Tage der Chorwoche hätte es nicht geben können.
Ob ich zum Wiederholungstäter werde?
Auf jeden Fall! Es waren inspirierende, herausfordernde, erfüllte Tage mit einer hochmotivierten Gruppe von guten Sängerinnen und Sängern, angeleitet durch ein gut aufeinander eingespieltes Chorleiter- und Stimmcoach-Team, das uns gleichzeitig achtsam und auch fordernd dazu gebracht hat, ein Riesenprogramm in wenigen Tagen zur Werkstattaufführungsreife zu bringen. Die Chor- und Stimmbildungswoche 2019 wird wieder vom gleichen Team geleitet werden, und ich habe schon läuten hören, dass es „spannend und anspruchsvoll“ werden soll. Da will ich auf jeden Fall dabei sein.Und ich freue mich auf mutige, experimentierfreudige neue Erst-Ochsen, die sich zu uns gesellen und sich dieser Herausforderung stellen mögen.
Wieder werden wir nicht wissen, was uns an musikalischem Programm erwartet, aber wir können sicher sein, dass Annette Glunk und Marcel Dreiling uns mit überraschenden und herausfordernden Stücken wieder zu einem großen Chorklang bringen werden.