Warum das frühe Singen mit Kindern eine ausgezeichnete Investition in die Zukunft der Vereine ist.
Menschen, die singen werden bewundert. Singen ist das Mittel, um Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Popstars werden gefeiert, Operndiven bejubelt. Viele lassen sich den ganzen Tag mit populärer Musik berieseln, die vom Gesang lebt, aber nur wenige trauen sich noch selbst zu singen. Auch in den Familien wird immer weniger gesungen. Die Wurzeln für das positive Verhältnis zur eigenen Singstimme liegen in der frühen Kindheit, in der Kindergartenzeit. Wie groß der Gewinn ist, wenn mit und für Kinder gesungen wird, wird auch außerhalb der musik-pädagogischen Fachkreise immer klarer.
Erste (Wiegen-)Lieder
Die erste hörbare Äußerung eines Kindes ist der Schrei unmittelbar nach der Geburt, wenn sich die Lungen erstmals mit Luft füllen und dieser erste Schrei zu hören ist. Wenn sie Hunger haben, oder die Windel gewechselt werden soll, machen sie durch Schreien auf sich aufmerksam. Um sie wieder zu beruhigen, singen wir beruhigende Wiegenlieder, abends am besten das immer gleiche Gute-Nacht-Lied. Der Puls dieser (Wiegen-) Lieder korrespondiert mit dem Atemrhythmus, wirkt sich auf den Herzschlag aus und wirkt somit direkt auf die Körperfunktionen. Diese vertraute Melodie vermittelt die Sicherheit, das beruhigende Gefühl, dass die Person, die gerade für das Kind singt, da ist und das Einschlafen ermöglicht. Die Wirkung ist noch stärker, wenn das Kind dabei auf dem Arm im Rhythmus zur Musik gewiegt, also bewegt wird. Diese Jahrhunderte
alte Selbstverständlichkeit wird leider oft ersetzt durch das Abspielen, zum Beispiel einer CD.
Individualität der Stimme
Die Stimme der Mutter (und des Vaters!) kennt das Kind aber bereits aus der Schwangerschaft, egal ob diese beim Singen den Ton treffen oder nicht! Die Ohren sind bereits so früh entwickelt, dass das Kind nach der Geburt die vertrauten Stimmen von anderen deutlich unterscheiden kann. Die Stimme ist so individuell wie der Fingerabdruck und jede Emotion wird über die Stimme hörbar. Der emotionale Gehalt einer Nachricht wird über die Stimme transportiert. Das verstehen die Kinder, bevor sie den Bedeutungsgehalt der Worte entschlüsseln können.
Die Kinder fangen früh an erste stimmhafte Laute von sich zu geben. Lange bevor sie zu sprechen beginnen, probieren sie ihre Stimme aus. Meist beginnen sie auf dem Vokal a die ersten Melodien zu „singen“. Wenn das Gegenüber das aufgreift und diesen ersten Singsang imitiert, und darauf mit ähnlicher Intonation antwortet, ergibt sich die erste sprachliche Kommunikation, der erste stimmliche Dialog. Für die kleinen Kinder ist es positiv, wenn ihre Freude am Singen geweckt wird und sie darüber eine positive emotionale Assoziation zum Singen entwickeln. Wohlgemerkt auch dann, wenn die Intonation nicht immer stimmt! Die Wurzeln für das positive Verhältnis zur eigenen Singstimme liegen in der frühen Kindheit. In dieser frühkindlichen Entwicklung spielt die Nachahmung eine zentrale Rolle. Das eigene Vorbild ist – wie so oft – entscheidend. Wenn wir gerne singen und es für uns selbstverständlich ist, mit und für die uns anvertrauten Kinder zu singen, dann werden die Kinder auch keine Hemmungen entwickeln und ihre musikalisch-kommunikativen Ausdrucksmöglichkeiten über das Singen gestärkt.
Ist dagegen alles, was aus dem Handy kommt wichtiger, lernt das Kind, dass seine Äußerungen nicht so wichtig sind, wie dieses hochinteressante Gerät. Wenn es Zeiten gibt, in denen die Interaktion mit dem Kind und seinen Laut-Äußerungen für die Bezugspersonen spürbar wichtiger sind und „beantwortet“ werden, wird die musikalische Kreativität des Kindes geweckt und kann sich entwickeln. Auch wenn viel Musik abgespielt wird, ist das begeisterte Mitsingen ein gutes Vorbild und zeigt, dass man auch selbst singen kann.
Für Kinder singen – Mit Kindern singen
Je kleiner die Kinder sind, desto mehr singen wir für die Kinder. Das Bedürfnis mitzusingen, selbst zu singen, entwickelt sich gemäß den individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten bei entsprechendem Input, also singenden Bezugspersonen. Das sind neben den Eltern genauso die ErzieherInnen, Großeltern oder Tageseltern. Wenn wir mit Säuglingen sprechen, ist idealerweise die Sprachmelodie viel ausgeprägter und entscheidender als der Informationsgehalt der verwendeten Wörter. Das heißt die Sprach-MELODIE ist vor den ersten Sprach-Lauten erkennbar.
Wer singt, fördert alle Sinne
Wer singt, setzt alles im Körper in Bewegung, wer singt, fördert alle Sinne. Deshalb singen wir am besten auch nicht nur im Sitzen, sondern verbinden unsere Lieder mit dem ganzen Körper, stehen auf, klatschen dazu, laufen im Metrum, drehen uns um uns selbst, hüpfen, schleichen, kriechen oder überlegen gemeinsam, was für die jeweilige Strophe am besten passt. Über diese sinnliche und sinn-volle Erfahrung, lernt das Kind sich wahrzunehmen. Singen hilft Kindern, sich die Welt zu erschließen. Oft steht das Singen für die Kinder gar nicht im Mittelpunkt, aber sie werden von einem Lied berührt und bewegt. Singen ist für Kinder ein ganzheitlicher Vorgang. Ob sie schon mitsingen oder „nur“ mitmachen, ist von Kind zu Kind verschieden und nicht wichtig. Manche Kinder singen erst mit, wenn sie das Lied perfekt können, andere ab dem ersten Ton, obwohl sie das Lied noch nicht kennen oder gar können. Die Spiegelneuronen ermöglichen ihnen, schnell zu imitierten. Beides ist gut und von der Persönlichkeit des Kindes abhängig.
Beim Singen machen wir die Ausatmung hörbar
Das gute Zusammenspiel von Atmung, Stimmgebung und Artikulation führt dann zu gutem Sprechen. Beim Singen wird die Atmung rhythmisiert, das heißt das Verhältnis von Ausatmung und Einatmung wird selbstverständlich geübt. Das Ganze geschieht automatisch, das heißt durch Imitation. Meist wird gemeinsam geatmet, allerdings ohne das Kind auf die Atmung hinzuweisen.
Singen ist die Grundlage des Sprechens
Alles was über Kinderliedern gelernt wird, hat eine direkte Auswirkung auf das Sprechen. Durch das regelmäßige Wiederholen der immer gleichen Kinderlieder lernen sie, ihre Artikulationsgeschicklichkeit zu verbessern. In Verbindung mit Fingerspielen und Bewegungen, fördern sie die zusätzliche sensomotorische Verknüpfung, um ein neues Wort, einen neuen Begriff im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. Die Bedeutung der gesungenen Wörter erweitert den Wortschatz, da die Kinder mit jedem neuen Lied neue Wörter lernen, vor allem, wenn sie das, was sie singen auch machen. Wird zum Beispiel gebacken und dazu backe, backe Kuchen gesungen, verbindet sich die Tätigkeit mit der Melodie, mit dem Rhythmus und mit den dabei gesungenen Wörtern. Wenn mit Kindern gesungen wird, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, bieten Lieder eine
ganz wichtige Möglichkeit, nicht nur eine neue Sprache, sondern auch eine neue Kultur zu lernen. Dazu ist allerdings das regelmäßige Wiederholen der immer gleichen Lieder wichtig. Durch die Melodie des Liedes, wird nicht nur jedes Wort immer genau gleich betont, sondern auch jeder Satz. Damit wird die so entscheidende Sprachmelodie, die Prosodie gelernt. Daran erkennt man, wie gut eine Sprache bereits gesprochen wird, oder ob noch ein Akzent zu hören ist. Dafür sind Wiederholungen der gleichen Lieder notwendig. Kinder fordern das oft auch ein, wenn sie nach jedem Durchgang sagen „nochmal“. Erwachsene finden das manchmal langweilig, die Kinder freuen sich aber, wenn die gleichen Lieder mit abwechslungsreichen Veränderungen wiederholt werden. Aber Hand aufs Herz: Erwachsene singen ein Lied auch dann am liebsten, wenn sie es können.
Gemeinsames Singen fördert das Sozialverhalten
Beim gemeinsamen Singen lernen Kinder, aufeinander zu hören, die auditive Wahrnehmung wird gefördert. Ein Lied wird gemeinsam begonnen, im gleichen Tempo und im gleichen Rhythmus gesungen, mit dem gleichen Text, in der gleichen Tonart, und alle hören zusammen auf. Anders als beim Sport, wo derjenige gewinnt, der als Erster am Ziel ist, klingt es deutlich schöner, wenn alle aufeinander hören. Eine Fähigkeit, die nicht nur die Schulfähigkeit für Kinder verbessert. Es lernt die Tonhöhe des Liedes mit dem eigenen Singen zu verbinden, also die Töne zu treffen. Das geschieht in dieser Entwicklungsstufe ganz selbstverständlich, wenn regelmäßig, also täglich mit Kindern gesungen wird. Die Grundlage für die Fähigkeit intonationssauber zu singen, wird in dieser Phase der Entwicklung gelegt, wenn im Stimmumfang der Kinderstimme gesungen wird.
Physiologische Kinder-Stimmlage
Bei der Geburt ist der tiefste Ton, den die noch sehr kleinen, also kurzen Stimmbänder hervorbringen können, der Kammerton a´, also der Ton unserer Stimmgabel mit 440 Hz. Pro Lebensjahr kommt durch das Wachstum der Stimmbänder ca. ein Ganzton nach unten hinzu. Nach oben sind der Kinderstimme dagegen kaum Grenzen gesetzt, was manchmal durchaus anstrengend für die Umwelt sein kann. Um im physiologischen Stimmumfang der Kinderstimme zu singen, ist es wichtig, diesen zu kennen und den Kindern dadurch erst zu ermöglichen, mitzusingen. Je kleiner die Kinder, desto höher
sollte gesungen werden, wenn das Ziel ist, dass sie mitsingen. (Also mit 3-jährigen Kindern sollte nicht unter f`, und erst ab Schuleintritt bis zum c´ gesungen werden.) Das gilt nicht, wenn ein Wiegenlied gesungen wird, um ein Kind in den Schlaf zu singen. Das darf dann auch mal tiefer sein.
Singen hilft Kindern, sich die Welt zu erschließen
Jedes Kind singt gerne, probiert seine Stimme aus und trällert, während es malt, bastelt, hüpft und spielt. Bevor ein Kind aber selbst ganze Lieder singen kann, muss es förmlich in Liedern und Sprache gebadet haben. Die ganze Person (per-sonare: durchklingen) ist durch die Stimme charakterisiert und geprägt. Je kleiner die Kinder sind, desto mehr nehmen sie auch Musik und Gesang ganzkörperlich auf. Musik und Bewegung gehören untrennbar zusammen. Musik ist Bewegung, und kann uns, obwohl sie flüchtig ist, dennoch tief berühren. Der Körper ist das Instrument beim Singen, vom Scheitel bis zur Sohle. Die Stimme, das Instrument, das immer zur Verfügung steht, ermöglicht dieses Ganzheitserlebnis. In ihr drückt sich die Seele aus, sie ist individuell und unverwechselbar. Diesen Schatz, der jeden das ganze Leben über begleitet, gilt es in dieser frühen Phase der Entwicklung zum Klingen zu bringen.
Wenn eine ansprechende Melodie mit einem mitreißenden Rhythmus erklingt, singen und bewegen sich viele gerne mit, Kindern geht es genauso. Diese Freude am Singen gilt es bei ihnen zu erhalten und zu fördern. Die meisten Kinder singen gerne – auch die, die es noch nicht so gut können -wenn es lustvoll geschieht. Singen ist ein elementares Grundbedürfnis, eine elementare Ausdrucksmöglichkeit für Körper, Seele und Geist. Wer singt, öffnet sich ganz. Das geschieht, wenn man sich wohl und angenommen fühlt. Das gemeinsame Singen ist Ausdruck dieses Wohlfühlens.
Stimme – das körpereigenes Musikinstrument
Mit der Stimme steht das körpereigene Musikinstrument immer zur Verfügung, das von allen anderen Instrumenten zu imitieren versucht wird. Deshalb: nutzen Sie das Original und bringen dieses ausdrucksfähigste Instrument, die menschliche Stimme, zum Klingen. Wie schon der Musiker und Komponist Georg Philipp Telemann (1681-1767) wusste: „Singen ist das Fundament zur Musik in allen Dingen.“