Gemeinsam singen, gemeinsam die Freizeit verbringen, gemeinsam streiten. Gerade wenn es im Verein mal schwierig wird, ist eine gute Kommunikation entscheidend.
Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.“ Dieser oft zitierte Spruch impliziert, dass dort, wo gemeinsam gesungen wird, eine freundschaftliche Stimmung herrscht und man den Kameraden guten Gewissens Vertrauen schenken kann. Diese über 200 Jahre alte Weisheit wird inzwischen auch durch zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt: beim gemeinsamen Singen werden Glückshormone ausgeschüttet, die wechselseitige Bindung gefestigt, Emotionen werden sichtbar, die Kooperationsfähigkeit gestärkt und das Gläschen Sekt in der Probenpause oder der Kneipenbesuch nach der Probe tun ihr Übriges in Bezug auf die Stärkung der Gemeinschaft von Sangesfreunden.
Singen ist gesund, aber Wo Menschen sind, da menschelt es
So weit, so schön – die soziale Kraft des Chorsingens ist also keineswegs zu unterschätzen. Was ist also das Problem? Dies entsteht dann, wenn zur Grundannahme wird, dass in Chören prinzipiell „Friede – Freude – Eierkuchen“ herrschen muss. Wo ein gewisser Anspruch an das gemeinschaftliche Wirken vorherrscht, die gemeinsame Arbeit oft von hohem ehrenamtlichen Engagement und bemerkenswertem Idealismus geprägt ist, da gerät folgende Grundformel manches Mal in Vergessenheit: „Wo Menschen sind, da menschelt es“.
Was hier banal klingt, erklärt zahlreiche zwischenmenschliche Interaktionen: Nur, weil ich mich mit meiner Nebensängerin gut verstehe, muss sie noch lange nicht die gleichen Ideen gut finden oder meine Werte teilen. Nur weil jemand seit 20 Jahren zusammen mit mir im Chor singt, muss er noch lange nicht die gleichen Vorstellungen von Tradition und Innovation oder die selben Gewohnheiten in Bezug auf Planung, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit haben.
In meiner Tätigkeit sowohl in der Rolle der Chorleiterin als auch als Coach und Trainerin für Chöre und Chorleiter habe ich oft erlebt, dass in Chören eine große Sprach- und Ratlosigkeit vorherrscht, wenn plötzlich Meinungsverschiedenheiten auftreten, da durch die hohen Ansprüche an Gemeinsamkeit und Einklang oft keine Feedback- oder Streitkultur etabliert ist und es daher keine bewährten Vorgehensweisen gibt, wie mit solchen Situationen umgegangen werden kann.
Was dann passiert:
Durch die Vermeidung des Ansprechens von Schwierigkeiten scheint nach außen hin oft alles „im Lot“, nach innen sind aber Unzufriedenheit oder Missverständnisse weiterhin vorhanden und werden nicht selten zu ausgewachsenen Konflikten, die sich ihren Weg durch Sticheln, unterschwelliges Kritisieren oder sogar gezieltes Intrigieren bahnen.
Doch wie kommt man heraus aus solch verfahrenen Situationen oder gerät gar nicht erst hinein? Im Folgenden möchte ich Ihnen einige Impulse geben, wie Sie den Umgang mit Konflikten meistern und möglicherweise eine gute „Feedbackkultur“ etablieren können. Die Beispiele im Text sind allesamt realen Situationen meiner Chorleitertätigkeit entnommen, in denen es in unterschiedlichsten Gruppen zu verborgenen Konflikten in Form von Sticheleien und heimlichem Lästern kam. Im Übrigen sind diese Szenarien keineswegs auf Chöre oder sonstige musikalische Kontexte festgelegt, sondern können beliebig auf Kollegenkreise, Familien, Vereine, Freundeskreise oder sonstige Gruppen übertragen werden.
Zunächst sind diese Grundhaltungen hilfreich:
1. Konflikte sind völlig normal.
Wenn Meinungsverschiedenheiten, Missverständnisse oder Ähnliches auftreten, dann ist nicht irgendetwas schiefgegangen,
sondern im Gegenteil alles völlig normal abgelaufen. Indem wir anerkennen, dass zu jeglicher Aktivität in Gemeinschaft potenziell auch unterschiedliche Vorstellungen gehören, können wir pragmatischer damit umgehen, wenn tatsächlich Konflikte auftreten und diesen damit eine gewisse Schwere nehmen.
2. Das Verhalten eines anderen Menschen macht immer Sinn.
Manchmal kommt es uns aus unserer Sicht so vor, als wäre das Verhalten eines anderen völlig abwegig. Wenn wir aber versuchen, davon auszugehen, dass jedes Verhalten eines Menschen in seinem Kontext Sinn macht, dann kann es uns gelingen, die Perspektive des anderen einzunehmen und zu versuchen, Gründe für ein bestimmtes Verhalten zu erkennen und zu verstehen. Die Weigerung einer Sängerin, sich zum Beispiel an einer Chorchoreografie zu beteiligen, mag auf manche im ersten Moment eingefahren wirken, sobald aber deutlich wird, dass betreffende Sängerin große Angst und Hemmung vor körperlichen Bewegungen hat, macht das Verhalten Sinn.
3. Unterschiedliche Menschen können ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben.
Dies anzuerkennen, hilft oft, ein gewisses Konfliktpotenzial von vorneherein zu verstehen. Während der eine das Chorsingen vorrangig unter sozialen Aspekten sieht und sich freut, einmal pro Woche die Kollegen zum Singen, Schwatzen und Biertrinken zu sehen, kann die andere durchaus hohe Ambitionen in Bezug auf musikalische Entwicklung und Stimmbildung haben – das kann in Punkto Probendisziplin, Literaturauswahl und Konzertgestaltung durchaus zu großen Kontroversen führen, bei denen es dann gilt, die unterschiedlichen Bedürfnisse so gut wie möglich in Einklang zu bringen.
Diese Verhaltensweisen können darauf aufbauend im Falle von Konflikten hilfreich sein:
4. Fragen hilft auf wundersame Weise.
Wenn Sie sich über Verhaltensweisen ihrer Sangesfreunde ärgern oder wundern, dann helfen Sie allen Beteiligten, indem Sie über den Stein des Anstoßes nicht im Verborgenen mit anderen schimpfen, sondern die betreffende Person selbst direkt fragen, was ihr Verhalten denn für einen Grund hat: „Sag mal, warum ist es dir denn so wichtig, dass wir XY tun?“; „Wie kommt’s denn, dass du in den letzten Wochen immer so spät dran bist?“; „Gibt es irgendwelche Gründe, warum du die Konzertkleidung so nicht tragen willst?“ usw.
Wenn Sie es dabei schaffen, die Fragen nicht in konfrontativem oder provokantem Ton zu stellen, sondern ehrliches Interesse zeigen, dann erreichen Sie damit gleich zwei Dinge: erstens haben Sie die Chance, tatsächlich zu erfahren, was hinter bestimmten Verhaltensweisen steckt und gewinnen möglicherweise sogar Verständnis dafür (siehe Punkt 2: „Verhalten macht immer Sinn“) – schließlich macht es einen großen Unterschied, ob jemand wegen mangelnder Zeitplanung zu spät zur Probe kommt oder weil er beispielsweise auf die Ablösung durch den Pflegedienst für seine Eltern warten muss. Zweitens vermitteln Sie dem jeweils anderen damit, dass Sie an ihm und den Hintergründen seines Verhaltens interessiert sind und geben ihm die Chance, zu erläutern, warum ihm etwas wichtig ist.
5. Sinnvoll und ehrlich ansprechen.
Wenn Sie Grund hatten, sich über das Verhalten eines anderen zu ärgern oder verletzt zu sein, dann sollten Sie dies ehrlich ansprechen. Das Konzept der „Gewaltfreien Kommunikation“ (nach Marshall D. Rosenberg) bietet zum Beispiel eine hervorragende Möglichkeit, um einen Gesprächsverlauf von gegenseitiger Beschuldigung und Rechtfertigung zu vermeiden.
Die Gewaltfreie Kommunikation sieht folgende Schritte vor:
1. Sie schildern eine konkrete Beobachtung (z. B. eines Verhaltens).
2. Sie teilen mit, welches Gefühl bei Ihnen mit dieser Beobachtung verbunden ist / war.
3. Sie erklären, auf welchem Ihrer Bedürfnisse dieses Gefühl beruht.
4. Sie bitten den jeweils anderen um etwas (z. B. um zukünftige Unterlassung dieses Verhaltens)
In der Praxis könnte sich das zum Beispiel so anhören:
„Hör mal, ich habe bemerkt, dass du in den letzten Monaten immer eine halbe Stunde zu spät zur Probe gekommen bist. Darüber habe ich mich geärgert, denn mir ist es sehr wichtig, dass wir uns in der chorischen Stimmbildung weiterentwickeln und dass dabei auch alle da sind. Darf ich dich darum bitten, dass du in Zukunft auch pünktlich zur Probe kommst?“
Mit der Formulierung einer möglichst konkreten Beobachtung vermeiden Sie unnötige und unzureichende Verallgemeinerungen (z. B. „Immer bist du unzuverlässig“), die Ihr Gegenüber sofort in einen Rechtfertigungsmodus treiben würden. Mit der Mitteilung über Ihre Gefühle und Bedürfnisse offenbaren Sie etwas über sich selbst und geben dem anderen die Chance, Verständnis für Ihre Perspektive zu bekommen; gleichzeitig ist es wichtig, Ihr Gefühl auf das Verhalten zu beziehen und nicht auf die ganze Person (nicht „Ich habe mich über dich geärgert“, sondern „Ich habe mich über dein Verhalten geärgert“). Mit einer konkreten Bitte schließlich stellen Sie klar, was Sie sich stattdessen wünschen würden, lassen dem Gegenüber aber auch die Chance „nein“ zu sagen, wenn er aus irgendwelchen Gründen dieser Bitte nicht nachkommen kann.
Dieses Kommunikationskonzept soll als Inspiration dienen, da die verschiedenen Schritte ermöglichen, dass in einem Gespräch möglichst wenig Anschuldigungen, Rechtfertigungen und Verallgemeinerungen erfolgen. Dazu müssen Sie die vier Schritte nicht stur durchexerzieren, sondern die Haltung hinter diesem Konzept kann Ihnen helfen, Gespräche zu führen, bei denen Konfliktpotenzial in möglichst großes gegenseitiges Verständnis umgewandelt werden kann.
Damit benötigen Sie kein weiteres Sticheln, Lästern und verborgenes Schimpfen als Ausdruck manchen Unmuts, sondern können in offener Kommunikation Lösungen für herausfordernde Situationen finden und sich anschließend wieder ganz dem angenehmen Teil widmen – dem gemeinsamen Singen.
Fabienne Schwarz-Loy
ist Chorleiterin, Sängerin sowie Coach und Trainerin und spezialisiert auf Themen der Kommunikation und Konfliktlösung. Sie bloggt auf ihrer Praxisseite regelmäßig zu Fragen der zwischenmenschlichen Interaktion und persönlichen Weiterentwicklung und coacht verschiedenste Menschen zu ebendiesen Themen am Bodensee, im Raum Stuttgart oder online überall auf der Welt.