Mehr Zusammenarbeit und das Formulieren von Forderungen gegenüber Gesellschaft und Politik für die Zukunft der Kultur im Land
Das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg legte in den letzten 18 Monaten eine beachtliche und vielversprechende Kulturstrecke innerhalb des Dialoges Kulturpolitik 2030 zurück. So wurden an vielen Orten, in vielen Gremien, mit vielen Kulturakteuren aktuelle Themen zum ländlichen Raum, zu den digitalen Welten, zu neuen gesellschaftlichen Bündnissen und zu Strategien der Transformation besprochen, diskutiert, beraten und zusammengeführt. Dieser Dialog ist nicht nur äußerst wertvoll, sondern er regt auch viele Gespräche in den Kulturvereinen, in den Verbänden oder auch bei einzelnen Mitgliedern an. Als Vorsitzender des Arbeitskreises Musik im Landesmusikverband Baden-Württemberg stelle ich gerne im Folgenden einzelne aktuelle Herausforderungen der Amateurmusik im Kontext des gesellschaftlichen Wandels dar. Welche Themen sind es, die Chöre und Vereine beschäftigten?
Wenn ehrenamtliche Kulturverantwortliche über ihre persönlichen Erfahrungen und Herausforderungen sprechen, so sprudeln sie in der Regel vielfältig los. Es wird über Wünsche, Ideen, Best-Practice-Modelle, Mitgliederschwund, neue Formen der Zusammenarbeit, finanzielle und strukturelle Sorgen oder aber über Schule und erschwerte Jugendarbeit sowie mangelndes Interesse von jungen Menschen gesprochen. Innerhalb dieser Gespräche herrscht jedoch sehr oft eine positive Grundstimmung, in der man das Beste gibt und Entsprechendes herausholt. Die Kulturakteure sind interessiert an neuen Wegen und offen für neue Ideen. Chöre und Vereine sind immer bereit, etwas in Bewegung zu setzten. Bei vielen Vereinen ist der Erhalt von Kunst und Kultur sowie die Pflege der Jugendbildung satzungsgemäßer Auftrag. Der Verein von heute befindet sich in einem interaktiven Prozess und er versucht, den gesellschaftlichen Anforderungen, dem eigenen Leitbild und den Menschen vor Ort gerecht zu werden. Ob Kooperationen oder Sonderprojekte, Veranstaltungskalender oder Konzerte – das Aktionsfeld und Anforderungsprofil ist sehr groß. So stehen die Suche nach ehrenamtlichen Vereinsverantwortlichen und die Unterstützung durch Zuschussgeber oder Kommunen beispielsweise ganz oben auf der Agenda.
Chöre und Vereine sind in Bewegung
Eines ist jedoch wird immer mehr Vereinsverantwortlichen klar: Die Kulturvereine müssen sich im stetigen Austausch befinden und im Miteinander stärken. Wer in der Gemeinde auf andere Kulturvereine aktiv zugeht, um gemeinsame Themen zu besprechen, ist auf dem richtigen Weg! Zusammen sind wir mehr als die Summe der Einzelnen.
Chöre, Musikvereine, Mandolinen- und Akkordeonorchester, Streicher und Zupfer – sie alle sind gut beraten, wenn sie das Zusammenspiel pflegen. Auch aus Sicht des Arbeitskreises Musik im Landesmusikverband ist diese Zusammenarbeit äußerst wichtig und fruchtbar. So sind die die Entwicklungen der letzten zehn Jahre im Landemusikverband BW enorm positiv zu betrachten. Was über Jahrzehnte hinweg mehr oder weniger parallel verlief und kaum vernetzt war, zieht heute an einem Strang. Dies ist sicherlich einer der großen Verdienste der Verantwortlichen im Landesmusikverband BW.
Jugend für die Kultur gewinnen
Sinnvoll und wichtig ist, dass Chöre und Orchester immer öfter gemeinsam für das Kulturehrenamt werben und auf Erwachsene sowie Kinder zugehen. Manche Chöre und Orchester pflegen dies schon heute und sorgen für ein gemeinsames Angebot, neue Mitglieder für das Singen und/oder gleichzeitig für das Spielen im Orchester zu begeistern. Manchmal entstehen dadurch in einer Familie verschiedene Interessen, sodass die Familienmitglieder in verschieden Kulturvereine beheimatet sind. Dies ist nicht nur vorteilhaft für ein kulturreiches Familienleben, sondern auch für ein interaktives Zusammenwirken von Chor und Orchester in der Gemeinde.
Es ist nie zu spät…
Immer mehr Erwachsene über 40 Jahre gehen den Weg des Erlernens eines Instruments oder des Eintretens in einen Chor. Manche erfüllen sich dadurch einen Kindheitstraum, andere einen aktuell entstandenen Wunsch. Die Aktion „Es ist nie zu spät…“ können Vereine oder Verbände stark befördern, indem jährlich stattfindende Mitmachaktionen in der Gemeinde durchgeführt werden. Wer dies jährlich tut, hat mehr Erfolg, als es im ersten Moment erscheint. Die Lust auf einen Kulturverein ist bei vielen Menschen stark vorhanden – sie benötigen jedoch einen direkten Anschub.
Spartenübergreifend – Musik, Theater, Kunst und Literatur
Die Möglichkeit des spartenübergreifenden Zusammenwirkens von Musik, Theater, Kunst und Literatur sollten die Vereine ebenfalls nutzen. Alle Sparten bieten eine Vielzahl an Chancen des Zusammenwirkens, um sich in neuen Projekten identitätsstiftend zu vernetzen. Wenn Theater, Musik, Literatur oder Kunst in Konzerten, Ausstellungen, Festivals, Jubiläen interaktiv und spartenübergreifend erlebbar wird, dann werden zusätzliche Netzwerke gebildet. Dann wird Kultur gemeinsam vor Ort entwickelt.
Kulturräume und Nichtkulturräume
Die Ausstattung und Bereitstellung von Kulturräumen ist vielerorts stark verbesserungsbedürftig – insbesondere in ländlichen Räumen. Oftmals werden Konzerte und Kulturveranstaltungen in Räumen/Mehrzweckhallen durchgeführt, die weder in Ausstattung noch in Akustik nur annähernd dafür geeignet sind. Der Bedarf der Chöre und Kulturvereine liegt dabei in vielen Fällen nicht in einem neuen Konzertraum, sondern in einer geeigneten Ausstattung durch Absorber sowie Akustikvorhänge. Hier sind wiederum die Kulturverantwortlichen vor Ort gefragt. Wenn gute Akustik vor Ort nicht eingefordert wird, kann sie nicht entstehen. Wer ein Bedarfskonzept erstellt und dies mit den Gemeinderäten sowie dem Bürgermeister bespricht, ist auf dem richtigen Weg.
Ehrenamtsakteure bilden
Ehrenamtliche Kulturakteure fallen nicht vom Himmel – sie müssen gebildet werden. Hierbei sollte die Aus- und Weiterbildung von Ehrenamtlichen eine zentrale Rolle spielen. Kulturverantwortliche übernehmen eine hohe Verantwortung und sollten mit Rüstzeug ausgestattet werden. Das Netzwerk des Landesmusikverbandes „Mitspielen in der Zukunft“ (www.landesmusikverband-bw.de) lebt dies vor. Wenn Chöre und Vereine die agierenden Verantwortlichen regelmäßig auf Fortbildungen entsenden, so sind diese Positionen von Verantwortlichen besetzt, die sich ihrem Ehrenamt qualitativ hochwertig und kompetent widmen können. Kulturverantwortliche benötigen Rüstzeug für ihre tägliche Arbeit! Das Ehrenamt sollte umfangreich durch Qualifizierung und Ausbildung gestärkt werden. Nur dann kann Ehrenamt in aufrechter Haltung ausgeführt werden und der Akteur wird von der Last nicht erdrückt. Entsenden Sie Ihre zukünftigen oder aktuellen Verantwortlichen regelmäßig zu Fortbildungen!
Vereinscoaching und Hilferuf – www.notruf-verein.de
Innerhalb des Themas „Vereinssterben“ dürfen wir nicht nach Vogel-Strauß-Methode den Kopf in den Sand stecken, sondern im Gegenteil proaktiv vorgehen. So entstand z. B. vor einem Jahr im Bund Deutscher Blasmusikverbände ein Notfalldienst unter dem Stichwort www.notruf-verein.de. Vereine, die sich melden, erhalten Hilfe. Die Anfragen sind sehr vielfältig und werden regelmäßig von Kulturvereinen genutzt. Sie geben Einblick in die verschiedenartigen Probleme vor Ort und ermöglichen eine direkte Hilfestellung. Ohne Hilfe von außen können sich diese Vereine nur geringfügig aus ihrem Dilemma herausmanövrieren.
Pflichtleistung statt Freiwilligkeitsleistung
Summa summarum ermöglichen Chöre und Musikvereine kulturelle Teilhabe mitten in der Gesellschaft. Sie sind wichtiger Kulturmotor in der Gemeinde. Ihre Förderungswürdigkeit wird in den Kommunen indes unter dem Haushaltstitel „Freiwilligkeitsleistung“ geführt. Kulturförderung unterliegt bei den Kommunen keiner Pflicht. Nein, sie ist freiwillig. Sie wird somit von der aktuellen politischen und finanziellen Wetterlage bestimmt. Wenn Kultur als Freiwilligkeit definiert wird, wird Heimat zum Zufall! Gehen Sie ins Gespräch mit Ihren Verantwortlichen vor Ort. Kultur darf nicht der Freiwilligkeit unterliegen.
Der in den letzten Monaten eröffnete Kulturdialog findet im richtigen Moment statt. Er muss zu verschiedenen Themen auf verschiedenen Ebenen geführt und gelebt werden. Die Landesregierung hat erkannt, dass Kultur im Transformationsprozess der Gesellschaft eine sehr große und wichtige Rolle spielen muss. Der Dialogprozess Kultur 2030 ist zukunftsstiftend und existenziell wichtig. Für die Chöre und Musikvereine. Für die Amateurmusik. Für die Breitenkultur!