Sechs Regionalchorverbände des SCV feiern Jubiläum
Unter dem Motto „100 Jahre und kein bisschen leise“ begeht der Chorverband Hohenstaufen e. V. sein diesjähriges Verbandsjubiläum. Er ist aber nicht der einzige Verband im SCV, der heuer jubiliert. Neben den Sängern des Hohenstaufen feiern fünf weitere Regionalchorverbände ihr Hundertjähriges, nämlich die Chorverbände Donau-Bussen, Ludwig Uhland, Friedrich Schiller, Friedrich Silcher und der Wilhelm-Hauff-Chorverband Stuttgart. Wie kam es zu dieser Häufung von Gründungen im Jahr 1920?
Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren für die Sängerschaft von großer Bedeutung. Der Krieg war im November 1918 mit einer verheerenden Niederlage für die Deutschen zu Ende gegangen. Er hatte das Kaisertum und die deutschen Monarchien hinweggefegt und die Nation in einen wirtschaftlichen Abgrund gerissen. Der Friede von Versailles 1919 wiederum hatte bei den Besiegten ein Gefühl äußerster Demütigung hervorgerufen. (Andererseits setzte der Friede aber auch neue Kräfte frei und eröffnete neue Perspektiven.)
Bedürfnis nach Zusammenschluss
Unter den fast zwei Millionen deutschen Kriegstoten waren viele Sänger. Nicht wenige Gesangvereine und ihre Sängergaue standen bei Kriegsende kurz vor der Auflösung. Doch es sollte anders kommen!
Gerade in den Notjahren zwischen 1919 und 1924 machte sich bei den Sängern – wie der Chronist des Schwäbischen Sängerbundes (SSB) Georg Gabler damals festhält – „das Bedürfnis nach Betätigung und engerem Zusammenschluss in verstärktem Maße geltend“. Die Vereine hatten starken Zulauf, auch der SSB konnte viele Neuzugänge verzeichnen.
Eugen Jaekle, der damalige Präsident des SSB, erklärte diesen Zulauf damals in einer Ansprache so: „Je tiefer die Not, desto enger der Zusammenschluss! Dieser echt deutsche Geist, den unsere Feinde nicht auszurotten vermögen, ist auch die Ursache des Zustroms zum Schwäbische Sängerbund, der mit seinen 27.000 Sängern nun der stärkste im Deutschen Sängerbund geworden ist.“
Um diesem Aufwärtstrend stärker entgegenzukommen, wurde bereits im Oktober 1919 in einer Mitgliederversammlung mehrfach vorgeschlagen, der Schwäbische Sängerbund solle sich „zur Belebung der Sängertätigkeit“ in weitere Regionalchorverbände untergliedern.
Liederfeste seit 1827
Schauen wir kurz zurück: 1827 hatten einige Liederkränze Württembergs damit begonnen, sich jährlich zur Durchführung eines Liederfestes zu treffen. Ab 1834 fanden diese Zusammenkünfte in wechselnden Städten des Landes statt. Seit 1850 übernahm dann der Schwäbische Sängerbund die Organisation der turnusmäßig stattfindenden „Allgemeinen schwäbischen Liederfeste“. Mit der Zeit zeigte sich nun, dass kleinere und ärmere Vereine und solche aus dem ländlichen Raum nicht immer an den großen Sängerbundesfesten teilnehmen konnten. Da es aber auch ihnen möglich sein sollte, „sich an dem Vorbilde leistungsfähiger Chorvereinigungen Kraft und Ansporn zu neuem Streben zu holen“, wurden zusätzlich Regionalchorverbände ins Leben gerufen. (Diese Verbände nannte man „Gaue“, eine im 19. Jahrhundert übliche Bezeichnung für landschaftliche und verwaltungsmäßige Einheiten.) Sie waren teils selbständige Zusammenschlüsse, teils Gründungen innerhalb des SSB („Bundesgründungen“).
Erste Gaue im Kaiserreich ab 1878
Der erste Regionalchorverband wurde 1878 im Kreis Leonberg geschaffen. Er gab sich den Namen „Strohgäu-Sängerbund“ (heute „Chorverband Johannes Kepler e. V.“) und feierte im Jahr darauf sein erstes „Gausängerfest“. Der Verband war eine selbständige Gründung, er ist erst 1923 dem SSB beigetreten.
Die beiden nächsten Regionalchorverbände waren Bundesgründungen: 1885 der „Oberschwabengau“ (heute „Oberschwäbischer Chorverband“) und 1887 der „Ostgau“ (heute „Eugen-Jaekle-Chorverband“). Durch weitere Gründungen kamen bis 1914 zehn Regionalchorverbände zusammen. Sie hatten ihre eigenen Satzungen, organisierten eigene Veranstaltungen, mussten sich aber, wenn sie Mitglieder des SSB waren, an dessen Grundsätze halten. Während des Weltkriegs kamen die Aktivitäten dieser Verbände dann weitgehend zum Erliegen.
1920 – neuer Anlauf nach der Katastrophe
Dem oben erwähnten Wunsch der Sänger nach einer Gliederung des SSB in Gaue wurde im Frühjahr 1920 Rechnung getragen. Am 27. März verabschiedete die Mitgliederversammlung des SSB in der Stuttgarter Liederhalle eine neue Satzung, in der es unter § 26 hieß: „Die Gestaltung der Gaue und die Regelung der Gauliederfeste wird durch eine allgemeine Gauordnung des Schwäb. Sängerbundes in gemeinsamen Grundzügen festgelegt, in deren Rahmen sich die einzelnen Gaue ihre besondere Satzung zu geben haben.“
Damit war der Startschuss zur Unterteilung des Bundes und zur Gründung weiterer Gaue gefallen. Am 20. Juni trafen sich die Sänger des Remstals, die bereits früher in mehreren “Remsgau“-Sängerverbänden mitgewirkt hatten, zur Gründung des „Silcher-Gaus“ im Silcher-Museum in Schnait. (Treibende Kraft dieses Zusammenschlusses war vor allem der Volksschriftsteller August Lämmle.)
Die Begeisterung für die Gründung war allgemein
Am 26. Juni folgten die Sänger des Filstales mit dem „Hohenstaufengau“. Seine Gründung wurde „unter reger Anteilnahme vieler Festgäste aus nah und fern auf dem Gipfel des allbekannten Kaiserbergs“ mit einem Sängertag gefeiert, „trotz der Ungunst der Witterung“, wie es in der Presse hieß.
Am 18. Juli 1920 gab dann der Donau-Bussen-Gau auf seinem 1. Gausängerfest in Riedlingen seinen bereits im Mai vollzogenen Zusammenschluss bekannt. Im November traten schließlich noch der „Uhland-Gau“ und der „Gau Stuttgart“ ins Sängerdasein. Über die Gründung des Letztgenannten berichtet die Presse, dass „eine sehr gut besuchte Delegiertenversammlung der dem Bunde angehörenden Gesangvereine“ stattgefunden habe, um zur Gründung eines Gaues Stellung zu nehmen: „Die Begeisterung für die Gründung war allgemein.“ 41 Vereine mit nahezu 3.000 Sängern erklärten sofort ihren Beitritt.
Die Gauordnung des SSB von 1921
Als nächstes galt es, eine allgemeine Gauordnung zu schaffen. Man benötigte eine einheitliche Regelung für die Gauliederfeste, „um alle Glieder des Bundes zu gleichen Zielen und Erfolgen und zu gleicher Höhe führen zu können“, so Chronist Gabler. Aus diesem Grund war „die Einteilung der Einzelchöre nach den Grundsätzen der allgemeinen schwäbischen Liederfest soweit als möglich für die Gauliederfeste anzuwenden.“ Im Rahmen dieser Vorgaben sollten sich die Gaue ihre eigenen Satzungen geben, „wobei ihrer Eigenart je nach Verschiedenheit der Landesteile immer noch genügend freier Spielraum bleibt.“
Bei der Frage, ob man die Einteilung der Gaue „von oben“ vornehmen und dabei den einzelnen Vereinen ihre Gaue zuweisen solle, oder ob man die Wahl lieber den Vereinen überlasse solle, entschied man sich für letzteres, also gegen den Zwang. Allerdings sollte jeder Bundesverein künftig einem Gau angehören und jeder Verein eines Regionalverbands dem SSB.
„D´ Hauptsach ist, dass d´ Hauptsach Hauptsach ist!“
Bei der Beratung der Gauordnung nahm die Frage, ob „Wettgesang mit Preisverteilung oder Wertungsgesang mit Zustellung einer Begutachtungsurkunde“ besser wäre, einen breiten Raum ein. „Die Versammlung entschied sich für den Wertungsgesang, da das Lied und die in ihm schlummernden geistigen Kräfte nicht zur Veräußerlichung des Vereinslebens, sondern zur Verinnerlichung jedes einzelnen Sängers beitragen“ sollen, heißt es dazu in der Berichterstattung der Presse. Der anwesende Gauvorsitzende August Lämmle habe dies mit einer zitierten Redensart gut zum Ausdruck gebracht: „D´ Hauptsach ist, dass d´ Hauptsach Hauptsach ist!“
Die Gauordnung wurde auf der Mitgliederversammlung des SSB am 13. März 1921 verabschiedet. Im Geschäftsbericht zum Jahresende heißt es dann: „Mitglieder am 31.12.1921 waren 622 Bundesvereine mit an die 30.000 Sängern, gegenüber dem Jahresbeginn: 459 Bundesvereine mit 23.000 Sängern. Die Zahl der Gaue ist von 10 auf 15 gestiegen.“
Eine Erfolgsgeschichte mit Fortsetzung
In der Folgezeit entstanden noch einige weitere Regionalchorverbände: 1921 der Sängergau Ulm, 1922 der Enz-Gau und der Kniebis-Gau, 1923 der Otto-Elben-Gau und 1924 der durch Zusammenschluss mehrerer Vorläufer geschaffene Karl-Pfaff-Gau. Als sich die wirtschaftliche Situation in der Republik 1924 allmählich zu bessern begann, war der Schwäbische Chorverband mit seinen Unterorganisationen hervorragend aufgestellt. Und das ist er mit seinen Regionalverbänden auch heute noch.