Feste sind gewöhnlich ein Grund zur Freude und hinterlassen schöne Erinnerungen – vorausgesetzt, sie enden nicht in einer Katastrophe.
Wo viele Menschen zusammenkommen und ausgelassen feiern, geht manchmal die nötige Übersicht und die gebotene Vorsicht verloren. Es kommt dann gelegentlich zu schweren Unglücksfällen, die man im Nachhinein meist auf „menschliches Versagen“ zurückführen muss. Leider sind auch die Festivitäten der Sängerschaft immer wieder einmal von solchen Unglücksfällen heimgesucht worden.
Ein größeres Unglück ist uns bereits aus der Frühzeit der Chorbewegung überliefert. Es ereignete sich 1837 auf dem Sängerfest in der eidgenössischen Gemeinde Andelfingen im Kanton Zürich. Eine zeitgenössische Quelle informiert uns:
10. Juni 1839: Andelfingen
„Nach der Gesangaufführung begaben sich die Sänger in die für das Festmahl eigens errichtete Speisehütte … und genossen daselbst ein Mahl, bei welchem Kalbsbraten, geräucherte und gesottene Schinken, Wein und Brot aufgetragen wurde. Schon an den folgenden Tagen verspürten Manche von denjenigen, die an dem Mahle Teil genommen, Übelkeit, am 6ten und 7ten Tag nach dem Fest erkrankten sehr Viele.“
In konkreten Zahlen: Von den 727 Sängern, die anwesend waren, durchlitten 444 schmerzhafte Vergiftungserscheinungen, 10 von ihnen überlebten die Tortur nicht. Eine behördlich angeordnete Untersuchung ergab, „dass das genossene Fleisch vermutlich in Folge fehlerhafter Behandlung und Aufbewahrung“ ein „animalisches Gift“ entwickelt hatte.
30. Mai 1878: Kloten
Wer glaubt, so etwas könne nur einmal passieren, der irrt. Offensichtlich vergisst man gern schlechte Erfahrungen, zumal dann, wenn einige Jahrzehnte vergangen sind. So wiederholte sich das Geschehen von Andelfingen am 30. Mai 1878 auf dem Sängerfest in Kloten. Eine Quelle berichtet:
„In der Festhütte gab es beim Festmahle unter Anderem Bratwürste und Kalbsbraten, über den sofort von verschiedener Seite geklagt wurde; auch die Bratwürste wurden getadelt.“ In der folgenden Woche erkrankten 657 Personen u.a. an Diarrhöe, hohem Fieber und Schüttelfrost, sechs von ihnen starben.
Über die Würste klagten die Festteilnehmer später, sie „seien bröckelig zerfallen und hätten schmieriges Aussehen“ gehabt. Man fragt sich, warum sie dann dennoch verzehrt wurden. Über den Lieferanten wiederum erfährt man: Die untersuchte Schlachtstelle habe sich als „höchst unrein“ erwiesen, der Schlächter sei „ein höchst verrufener Geschäftsmann“. Hier hatte also die Festorganisation bei der Wahl des Lieferanten versagt, die Besucher wiederum waren zu wenig kritisch und nicht konsequent.
5. April 1906: Nagold
Eine andere Tragödie, bei der etliche Sänger ihr Leben ließen, fand im Frühjahr 1906 in Nagold statt. Diesmal war der Ort des Geschehens kein Sängerfest, aber auch hier spielte Unvorsichtigkeit eine Rolle. Es handelt sich um die sogenannte „Hirsch-Katastrophe“, die damals sogar reichsweit viel Aufsehen erregt hat.
In dem beschaulichen Schwarzwaldstädtchen waren am 6. April, einem schönen Frühlingstag, mehrere hundert Menschen zusammengekommen, um einen Akt moderner „Ingenieurskunst“ mitzuerleben: Das alte Gasthaus „Zum Hirsch“ sollte mittels Seilwinden allein durch Menschenkraft komplett in die Höhe gehoben werden, um darunter ein neues Stockwerk aufmauern zu können.
An den Winden betätigten sich neben den angeheuerten Arbeitern auch viele Freiwillige, vor allem Mitglieder des Turn- und des Gesangvereins. Neun Sänger befanden sich zudem im zweiten Stock des Gasthauses, um nach vollbrachtem Werk das Ganze mit Gesang zu feiern. Ja, man liest richtig: Das Wirtshaus war während der Anhebung nicht etwa menschenleer, im Gegenteil! Die Bewirtung mit Bier und Metzelsuppe war weiterhin voll im Gange.
Sensationslust und Vertrauensseligkeit – bitter bezahlt
Die Anwesenden sollten ihre Sensationslust und ihre Vertrauensseligkeit in die moderne Technik teuer bezahlen: „Es ist gegen 12 Uhr mittags – der örtliche Gesangverein ist inzwischen aufgezogen, um ein Lied vorzutragen -, als nur noch einige wenige Zentimeter bis zum Abschluss der Arbeiten fehlen,“ heißt es in einer Quelle. Was dann geschah, berichtet die Nagolder Chronik so:
„Ein furchtbarer ungeheurer Krach, wie ein schrecklicher Donnerschlag. Darauf eine unheimliche Stille, eine ungeheure Staubsäule, die die ganze Stadt verdunkelte und dann ein tausendstimmiges Schreien, Wehklagen, Jammern, Hilferufen, wie es im Nagoldtal noch nie gehört worden war. Das Gebäude war mit einem Schlag jäh in sich zusammengestürzt.“ Die bittere Bilanz: 100 Schwerverletzte und 53 Tote müssen aus den Trümmern gezogen werden. Eine Grabkapelle auf dem Nagolder Friedhof erinnert noch heute an die Opfer.
23. Juni 1899: Giengen a. d. Brenz
Ebenfalls als einen „schwarzen Tag“ musste die Liedertafel Giengen den 23. Juli 1899 in ihrer Vereinsgeschichte verbuchen. Damals kamen fünf Sänger bei ihrer Heimfahrt von einer Fahnenweihe ums Leben. Der Pferdewagen, mit dem sie unterwegs waren, wurde am Bahnübergang nach Hermaringen vom letzten aus Ulm kommenden Zug erfasst. Verantwortlich war dafür ein Bahnwärter, der es versäumt hatte, an der schlecht überschaubaren Stelle die Schranken zu schließen. Wir hoffen, dass sich solche Tragödien nicht wiederholen.