Es musste aber sein. Am 16. Juli 2019 erging eine Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, in welchem die Anforderungen an eine Satzung eines gemeinnützigen Vereins im Hinblick auf Fragen der Scheinselbstständigkeit deutlich akzentuiert wurden. Die Gefahr bestand, dass viele Chorleiterverträge, die nach den bisherigen Kriterien abgeschlossen wurden oder werden, künftig von den Sozialversicherungsträgern und der Rentenversicherung nicht mehr als Verträge über eine freie Mitarbeit des Chorleiters im Verein, sondern als Angestelltenverträge angesehen werden würden mit der Folge, dass die Tätigkeit des Chorleiters sozial- und rentenversicherungspflichtig werden würde.
Das hätte zur Folge, dass für den Chorleiter als Angestelltem Sozialversicherungs- und Rentenversicherungsbeiträge in erster Linie beim Verein, in geringerem Umfang auch beim Chorleiter anfallen würden. Schlimmer noch: Würde bei einem bereits abgeschlossenen Vertrag die Scheinselbstständigkeit bejaht und ein Angestelltenverhältnis festgestellt, müsste der betreffende Verein für die Dauer von fünf Jahren Sozial- und Rentenversicherungsbeiträge nachzahlen. Die – glücklicherweise seltenen – Erfahrungen mit einer solchen Feststellung haben gezeigt, dass ein Verein über solche Nachforderungen in die Nähe eines Insolvenzrisikos geraten kann.
Die Überarbeitung des Mustervertrags war notwendig
Es war also dringend geboten, auf dieses Urteil baldmöglichst zu reagieren und in der Zwischenzeit dafür zu sorgen, dass keine Verträge auf der Grundlage eines Vertragsmusters abgeschlossen werden, das kritische Elemente einer Scheinselbstständigkeit enthalten konnte.
In der Zwischenzeit wurde für die Chöre des Schwäbischen Chorverbandes der Chorleitervertragsentwurf überarbeitet und ist ab sofort wieder an alter Stelle mit einigen Erläuterungen auf der Homepage des Schwäbischen Chorverbandes zu finden und von dort herunterzuladen.
Es gibt keine Gewähr
Eine Gewähr dafür, dass der wieder vorliegende Chorleitervertragsentwurf „scheinselbstständigkeitssicher“ ist, kann nicht gegeben werden, ebenso wenig, wie dies beim alten Vertragsmuster der Fall war. Wenn ein Statusklärungsverfahren (§ 7a Abs. 2 SGB IV) oder eine Prüfung durch einen Sozialversicherungsträger zu dem Ergebnis kommt, dass es sich bei der Tätigkeit des Chorleiters um eine abhängige Beschäftigung und nicht um eine freie Mitarbeit handelt, treten die oben beschriebenen Folgen ein. Es ist jeweils eine Frage des Einzelfalls, wie im Rahmen dieser Prüfung die Abgrenzung zwischen freier Mitarbeit und abhängiger Beschäftigung erfolgt. In dem Fall, in dem das Landessozialgericht Baden-Württemberg zu entscheiden hatte, ging es um die Klage eines Musikschulvereins gegen eine Feststellung des Sozialgerichts Stuttgart, dass es sich bei der Tätigkeit des Ensembleleiters um eine abhängige Beschäftigung und nicht um eine freie Mitarbeit gehandelt habe.
Das Landessozialgericht bestätigte diese Entscheidung. Gleichzeitig stellte es die Versicherungspflicht für den Ensembleleiter in der gesetzlichen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung und in der Arbeitslosenversicherung fest.
Ein kurzer Überblick:
Nun in Kürze die wesentlichen Verschärfungen und Akzentuierungen des Landessozialgerichts: Ist der Chorleiter dem anstellenden Verein weisungsgebunden und in die Arbeitsorganisation des Vereins eingebunden, ist dies ein starkes Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Für eine freie Mitarbeit hingegen spricht beispielsweise ein Unternehmerrisiko des Chorleiters, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Wegfall der Chorleitervergütung für nicht gehaltene Proben oder die freie Gestaltungsmöglichkeit des Chorleiters hinsichtlich seiner musikpädagogischen Arbeit, der Organisation und Durchführung der Proben und Konzerte. Das Gericht entscheidet nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und danach, welche Merkmale überwiegen. Dabei zieht es die vertraglichen Grundlagen wie die tatsächlichen Verhältnisse heran.
Mit anderen Worten: Wer das „Sagen“ hat im Verein, etwa bei den Proben, dem Probenlokal, den Probenterminen, der Auswahl der Stücke etc., bestimmt, ob eine freie Mitarbeit vorliegt oder ein Arbeitsverhältnis. Nur wenn dem Chorleiter hier ein großes Maß an Entscheidungsfreiheit eingeräumt ist, kann von einem freien Mitarbeiterverhältnis ausgegangen werden.
Eine Herausforderung für Vereine und Chorleiter
Das ist natürlich ein Problem für viele Vereine und Chorleiter, zumal dann, wenn der Chor seit Jahrzehnten dieselben Probentermine hat, dasselbe Probenlokal, vertragliche Bindungen mit der Gemeinde o. ä. im Hinblick auf Konzerttermine etc.
Hier lag der Schwerpunkt der Entscheidung, aber nicht der einzige. Gerade auch das Bestehen eines Unternehmerrisikos, welches im Wegfall von Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie den Wegfall der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ebenso zum Ausdruck kommt wie die Nichtbezahlung von Chorleitervergütung, wenn der Chorleiter verhindert oder krank ist, sind Elemente dieses Unternehmerrisikos.
Es soll bei diesen kurzen Hinweisen sein Bewenden haben. Sie werden in den Änderungen im Vertragsmuster sehen, worauf es dem Landessozialgericht ankam. Das ist jedenfalls zu hoffen.
Nach der Entscheidung ging mehr als nur ein Raunen durch die Amateurmusiklandschaft im Bundesgebiet; es ist ein wesentliches Element der Amateurmusik, dass die Ensembleleiter freie Mitarbeiter sind und die sie beschäftigenden Vereine nicht die Kosten der sozialen Absicherung zusätzlich zum Chorleiterhonorar bezahlen müssen.
Verbände treten für ihre Vereine ein
Deshalb wurde von verschiedenen Verbänden und im politischen Raum und in Verhandlungen mit der Deutschen Rentenversicherung versucht, die strengen Vorgaben des Landessozialgerichts (im Hinblick auf die allgemein bekannte und übliche Vereinspraxis) abzumildern und die Möglichkeit des Abschlusses von freien Dienstverträgen für Chorleiter zu erhalten. Das ist – so unser Eindruck – in Form einer Übereinkunft über einen Katalog der Elemente, die zur Annahme einer freien Mitarbeiterschaft führen, einigermaßen gelungen; es ist aber doch „herausgekommen“, dass sich die Vereine an manchen Stellen vom hergebrachten Bild der Zusammenarbeit zwischen Verein und Chorleiter lösen müssen und dem Chorleiter nicht nur bei der Auswahl der Proben- und Konzertstücke, sondern auch bei der Organisation des Chorbetriebes mehr Freiheit und Gestaltungsraum zu geben ist.
Sicher bleibt es zulässig, wenn der Vertrag – und die Vertragspraxis – regeln, dass zwischen Verein und Chorleiter Abstimmungen „auf Augenhöhe“ erfolgen müssen, etwa bei Proben- und Konzertterminen, bei Chorreisen etc. Es dürfte auch schwierig werden, Traditionen und Gewohnheiten weiterhin und auf lange Dauer unverändert fortbestehen zu lassen, auch wenn der Chorleiter andere Vorstellungen hat.
Die Überprüfung der Verträge hat auch positive Seiten
Insofern kann man der Entscheidung des Landessozialgerichts auch etwas Positives abgewinnen; ein frischer Wind, der durch die geänderten Regelungen ins Chorleben weht, wird die Chorarbeit beleben und auch für den Sängernachwuchs interessanter und attraktiver machen. Und schließlich kann – und hoffentlich wird – die Nachjustierung des Verhältnisses zwischen dem Verein und seinem Chorleiter beiden nützen und die vertrauensvolle Zusammenarbeit befördern. In diesem Sinne möge das neue Vertragsmuster verstanden und verwendet werden.