Innerhalb weniger Wochen hat ein unscheinbarer, für die meisten Menschen nicht sehr gefährlicheres Virus als das Grippevirus, den Weg von einem Fischladen im chinesischen Wuhan in die Welt genommen und ist inzwischen auf allen Kontinenten, in allen Gesellschaften angekommen. Er hat Börsenwerte abstürzen lassen, Produktions- und Lieferketten unterbrochen und gefährdet Arbeitsplätze und Unternehmenswerte, macht Reisen in große Teile der Welt unmöglich, jedenfalls aber gefährlich, kurz: der Virus hat unsere globalisierte Welt in kürzester Zeit in ungeahntem Ausmaß verändert.
Niemand kann heute sagen, welche Entwicklung die Pandemie nimmt; in China sind die registrierten Neuinfektionen inzwischen deutlich rückläufig, in Italien steigen sie rasant. Die virologischen und epidemiologischen Fachleute sind sich uneins über Dauer und Ausbreitung sowie die Krankheitsverläufe, die sich aus den Infektionen entwickeln können.
Vor allem aber ist unser gesellschaftliches Leben nachhaltig betroffen; gespenstische Szenerien werden geschildert oder kündigen sich an.
Es sind nicht nur die Bundesligaspiele, die auf absehbare Zeit vor leeren Rängen stattfinden werden – oder gar nicht, nachdem sich auch erste Erkrankungen bei aktiven Spielern einstellen – ; in allen Ligen wird es zu zuschauerfreien Spielen kommen oder zu Spielabsagen. Auch andere Sportarten – alle – sind betroffen; im Eishockey ist die Saison schon Anfang März zu Ende gegangen.
Auch wichtige Veranstaltungen, Messen (Deutsches Chorfest Leipzig, Didacta etc.) und wichtige Versammlungen (Deutscher Stiftungstag des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen) werden abgesagt. Auch andere, kleinere Veranstaltungen im lokalen Bereich werden in Massen abgesagt. Der Umfang der Tageszeitungen wird schrumpfen, weil über abgesagte Veranstaltungen nicht berichtet werden kann. Allein der Lokalsport macht bei den Montagszeitungen vor allem der regionalen Zeitungen manchmal die Hälfte des Gesamtinhalts aus.
Wie das Virus den Vereinsalltag beeinflusst
Auch aus unserem Verband mehren sich sprunghaft die Fragen, wie der Verein, der Chor sich in dieser Situation verhalten soll. Auch Chorleiter fragen besorgt an, wie es um ihre Vergütung steht, wenn Veranstaltungen ausfallen. Für den Fall der Absage von Mitgliederversammlungen etc. wird die Frage gestellt, wer die Stornokosten zu tragen hat.
Kurzum: Es sind auch rechtliche Fragen angesprochen, Fragen der Vertragsabwicklung, Fragen der Haftung, Fragen der Risikoverteilung.
Um es vorwegzunehmen: Patentrezepte und Anweisungen ohne Fehlerrisiko gibt es nicht.
Wir haben gelesen: Der Bundesgesundheitsminister empfiehlt, Veranstaltungen mit mehr als tausend Personen abzusagen. Zuständig sind, nach heutigem Verständnis – das schon morgen ein anderes sein kann – die staatlichen Gesundheitsämter der Unteren Verwaltungsbehörden (Landratsämter oder Große Kreisstädte). Die Empfehlung geht also dahin, die Auffassung oder Weisung des jeweiligen Gesundheitsamtes einzuholen. Das Landesgesundheitsamt hat eine Informations-Website eröffnet, ebenso das Kultusministerium für Kindertagesstätten und Schulen. Es weist auf Risikogebiete hin, die beim Robert-Koch-Institut in Erfahrung gebracht werden können. Die Mitteilungen richten sich in erster Linie an Personen, die in Risikogebieten waren oder mit Personen Kontakt hatten, die ihrerseits risikobehaftet sind. Für diese ergeben sich bestimmte Verpflichtungen (Meldepflichten bei Symptomen oder Rückkehr aus Risikogebieten etc.).
Wie aber weiß der Vorstand eines Vereins, ob sich alle Teilnehmer an einer Mitgliederversammlung, einer Vereinsreise o. ä. an diese Pflichten halten und insbesondere der Veranstaltung fernbleiben, weil sie zu einer Risikogruppe gehören? Muss ein Vorstand deshalb eine solche Veranstaltung absagen, um der Gefahr zu begegnen, dass sich doch Risikopersonen bei den Veranstaltungen befinden und das Virus weitergeben? Kann die Gefahrensituation durch eine Befragung der teilnehmenden Mitglieder vor Beginn der Veranstaltung und Rücksendung von Risikopersonen entschärft werden? Oder muss die Veranstaltung abgesagt werden, weil das Risiko nicht in den Griff zu bekommen ist? Oft wissen die Virusträger ja selber nicht, dass sie welche sind.
Schwierige, organisatorisch, finanziell und sozial wichtige Fragen, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Jeder Vorstand muss für den Verein entscheiden, welche der möglichen Vorsichtsmaßnahmen er ergreift.
Wie steht es um die Haftung?
Die Gefahr, dass ein Vorstand in die Haftung genommen wird, weil eine Veranstaltung durchgeführt wurde und es dabei zu Ansteckungen und Erkrankungen kam, sehe ich allerdings nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn trotz sorgfältiger Überprüfung keinerlei Anzeichen dafür bestehen, dass ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht. Wenn allerdings ein Vorstand weiß, dass ein Teil seiner Mitglieder vor einer Woche aus Norditalien zurückgekehrt ist und die Veranstaltung nicht absagt, dann wird man dieses Verhalten als fahrlässig bezeichnen müssen, wenn nicht zumindest diese Gruppe gebeten wird, von der Teilnahme an der Veranstaltung abzusehen. Ansonsten ist zunächst die persönliche Haftung der Risikoperson maßgeblich, jedenfalls dann, wenn sie um dieses Risiko (Symptomträger, Rückkehr aus einem Risikogebiet, Kontakt mit Risikopersonen) weiß. Hier gilt es für die Risikoperson oder die potenzielle Risikoperson, sich entsprechend zu informieren, wobei die Website des Robert Koch-Instituts eine gute Informationsquelle ist.
Wie sieht es finanziell aus?
Neben diesen Themen muss aber auch über Geld gesprochen werden. Ich habe verschiedene Anfragen erhalten, die darauf gerichtet sind, was in Fällen von Absagen mit den gegenseitigen Rechten und Pflichten zu geschehen hat oder geschieht, beispielsweise der Vergütung des Dirigenten oder Solisten, dessen Konzert Corona-bedingt abgesagt worden ist. Oder: Wie wirkt sich eine verspätete Absage einer Veranstaltung im Zusammenhang mit Vergütungsansprüchen Dritter aus, etwa Reiseunternehmer oder Hallenbetreiber?
Jeder wird zunächst an das Rechtsinstitut der „höheren Gewalt“ denken. Dieses kann auch in Betracht kommen, etwa dann, wenn ein behördliches Verbot die Durchführung einer Veranstaltung verhindert oder eine schwerwiegende, akute Epidemie speziell am Veranstaltungsort oder der umfangreiche Ausfall von Mitarbeitern, die bei der Veranstaltung eine Rolle spielen.
Höhere Gewalt liegt aber beileibe nicht immer vor. Das ist auch hier ein Problem. Wenn die Absage einer Veranstaltung eine freiwillige Entscheidung des Veranstalters aus der berechtigten Sorge vor Epidemie oder Ansteckung ist, stellt dies keinen Fall der höheren Gewalt dar.
Was ist die Folge der Annahme von höherer Gewalt? Das BGB verteilt die Haftung nach Risikosphären. Ist die Erbringung einer Leistung als Voraussetzung für die Vergütungsforderung wegen höherer Gewalt nicht möglich, wird das Vertragsverhältnis „rückabgewickelt“. Jeder wird von seiner Leistungspflicht frei, als ob man keinen Vertrag geschlossen hätte. Wer bereits Geld oder Vorleistungen erhalten hat, muss diese zurückerstatten. Auch Schadenersatzleistungen (vergebliche Reisekosten oder Vorbereitungskosten etc.) können nicht vom Vertragspartner verlangt werden, weil diesen – höhere Gewalt! – kein Verschulden trifft.
Nicht alles ist höhere Gewalt
Wird eine Veranstaltung abgesagt aus Sorge vor Erkrankungen von Teilnehmern, ist dies kein Fall der höheren Gewalt. Das heißt: Es bleibt bei der durch den Vertrag begründeten Risikoverteilung. Wenn der Veranstalter die Veranstaltung aus Sorge (auch berechtigter!) absagt, ändert dies nichts am Fortbestand des Vergütungsanspruches des Vertragspartners, also etwa des Chorleiters.
Freilich können vertragliche Regelungen hier eine andere Risikoverteilung vorsehen. Im Mustervertrag, der auf der Website des Schwäbischen Chorverbandes bereitgestellt ist, ist eine solche Änderung der Risikoverteilung nicht gegeben. Wurde ein solches Vertragsmuster verwendet, bleibt also der Vergütungsanspruch erhalten. Allerdings muss sich der Chorleiter ersparte Aufwendungen anrechnen lassen, die er infolge der Absage nicht zu tragen hat.
Selbstverständlich ist die vertragliche Vereinbarung von Ersatzveranstaltungen und die Übertragung des Vertragsverhältnisses auf diese möglich und sicher sinnvoll.
Ähnlich verhält es sich mit anderen Vertragsverhältnissen des Vereins oder Chores. Soweit im Vertrag eine Stornoregelung enthalten ist, empfiehlt es sich, im Fall der Absage rechtzeitig den Vertrag zu stornieren, damit keine Vertragsstrafen oder Stornogebühren anfallen.
Eine Ausfallversicherung wird in aller Regel nicht abgeschlossen sein, wohl aber möglicherweise bei der Absage einer Reise eine Reiserücktrittsversicherung. Dies ist mit dem Versicherungsunternehmen zu klären.
Am 11. März 2020 hat das Ministerium für Soziales und Integration als oberste Gesundheitsbehörde einen Erlass zum Thema Großveranstaltungen herausgegeben. Demnach müssen Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Zuschauern oder Teilnehmern abgesagt werden. Bei Veranstaltungen mit weniger als 1.000 Teilnehmenden ist eine individuelle Einschätzung notwendig. Hinsichtlich der Risikobewertung gelten die Kriterien des Robert-Koch-Instituts.
Zu hoffen ist, dass die hier gemachten Ausführungen – wenngleich sie nicht Rechts- oder Handlungssicherheit gewähren können – doch einige Anhaltspunkte dafür liefern, wie sich ein Vorstand in der jetzigen Corona-bestimmten Situation verhalten soll.
Wie immer im Zusammenhang mit Einzelfragen, steht die Erstberatungs-Hotline für weitere Abklärungen und Einzelfragen zur Verfügung. Machen Sie davon Gebrauch, wenn Sie sich nicht sicher sind!
Rechtsanwalt Christian Heieck
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Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.