Eltern im Kinderchor
Das Singen im Kinderchor soll vor allem Spaß machen. Für Chorleiter bedeutet die Arbeit mit den jungen Sängern aber neben aller Freude auch einen großen organisatorischen Aufwand. Wer bringt die Kleinen zur Toilette? Wie kommen die Kids zum Konzert? Alleine ist das kaum zu schaffen. Umso wichtiger ist eine stetige Zusammenarbeit mit den Eltern. Wie das gelingen kann? Eine Ideensammlung.
Eltern spielen für die erfolgreiche Kinderchor-Arbeit eine zentrale Rolle, weiß Michaela Ruf, Jugendreferentin des Eugen-Jaekle-Chor-verbands: „Die Wertschätzung der Eltern gegenüber den Kindern ist enorm wichtig. Denn wenn die Eltern mit Leib und Seele das Hobby ihrer Kinder unterstützen, motiviert das auch die Kinder ungemein.“ Sie kommen beispielsweise regelmäßiger zur Probe und das wirkt sich letztlich positiv auf den ganzen Chor aus: „Eltern, die engagiert hinter dem Hobby ihrer Kinder stehen, ermutigen sie dazu, ihrem Hobby kontinuierlich und mit viel Elan nachzugehen.“ Diese Beobachtung teilt auch Ellen Strauß-Wallisch, musikalische Leiterin der Verbandsjugend des Chorverbandes Karl Pfaff. „Eines muss einem klar sein:“, betont Strauß-Wallisch, „Kinderchorarbeit ist richtig schwierig, weil es immer Auf und Abs gibt. Bei schönem Wetter z. B. kommen, überspitzt gesagt, nur meine Hardcore-Fans.“ Scheint die Sonne, ist der Familienspaziergang oder der Spielplatzbesuch oft attraktiver als die Chorprobe. Ellen Strauß-Wallisch begegnet Eltern und Kindern dann mit Verständnis
und Lockerheit. „Wir bitten darum, dass die Eltern möglichst absagen. Dann könnten wir, wenn das Wetter besonders toll ist und nur sehr wenige kommen, auch ein Eis essen gehen.“
Die Lebensrealität vieler Schulkinder umfasst heute einen vollgepackten Stundenplan, oft den Besuch einer Ganztagsschule und ein schier übergroßes Angebot an möglichen Freizeitaktivitäten. Wer also Kinder langfristig mit einem Chorangebot erreichen will, sollte ein angenehmes Programm für die ganze Familie schaffen. „Auch Eltern haben einen vollgepackten Alltag und meist viel Stress“, betont Michaela Ruf. „Deshalb sollte das Hobby der Kinder nicht als zusätzliche Belastung, sondern als Bereicherung wahrgenommen werden.“
Kontakt herstellen
Um überhaupt eine Basis zwischen Chorleitern, Kindern und Eltern zu schaffen, ist Kommunikation essenziell. „Das A und O ist einfach, dass man viel miteinander spricht“, erklärt Ellen Strauß-Wallisch. Sie ist bereits seit gut 15 Jahren als Kinderchorleiterin aktiv, aktuell in Esslingen am Neckar. Es ist wichtig, ein Kommunikationsnetzwerk aufzubauen. Eine zentrale Rolle spielen für sie gut ausgebildete Jugendleiter. „Die können z. B. die Kontaktpflege betreuen. Schließlich muss das Kommunikationsnetzwerk im Kinderchor mit Informationen gefüttert werden.“ Die erfahrene Chorleiterin arbeitet schon seit Jahren mit Jugendleitern zusammen und bildet sogar selbst welche aus. „Sie leisten eine tolle Arbeit und entlasten die Chorleiter enorm.“ Gerade bei der Zusammenarbeit mit kleinen Kindern gibt es einiges zu bedenken. Manche können noch nicht alleine auf Toilette gehen, manchmal stößt sich ein Kind während der Probe: In all diesen Situationen sind Jugendleiter da, um direkt auf die Kinder einzugehen. Aufgaben wie diese können auch engagierte Eltern übernehmen, z. B. wenn ein Jugendleiter krankheitsbedingt ausfällt. „Aber damit das funktioniert, brauchen wir einfach eine gut gepflegte Kommunikation.“ Hilfreich können da neben direkten Gesprächen vor und nach der Probe auch Smartphones sein. Ellen Strauß-Wallisch hat beispielsweise gute Erfahrungen mit einer WhatsApp-Gruppe gemacht.
Neue Perspektiven finden
In ihrer langjährigen Arbeit mit Kinderchören haben Michaela Ruf und Ellen Strauß-Wallisch vor allem zwei Typen von Eltern kennengelernt: erstens die Engagierten. Sie sind bereit, den Kinderchor aktiv zu unterstützen. Zweitens die eher Passiven: Sie sind froh über das Angebot, möchten sich aber nicht aktiv einbringen. „Es ist klar, dass nicht jeder Elternteil total begeistert ist, wenn es darum geht, z. B. Fahrdienste zu organisieren. Aber das ist auch völlig ok“, sagt Michaela Ruf. „Ich habe für mich gelernt“, ergänzt Ellen Strauß-Wallisch, „dass ich die positiven Aspekte für mich mitnehme und akzeptiere, was ich nicht ändern kann. Oft bin ich aber auch überrascht: Es gibt Mütter, die Vollzeit arbeiten, fünf Kinder haben und trotzdem fast jede Woche einen Kuchen backen.“ Letztlich fördert ein Chor die Kinder in ihrer Entwicklung – sozial, emotional und kulturell. Dafür müssen manche Eltern aber erst einen Blick entwickeln, so Ellen Strauß-Wallisch: „Was wir im Kinderchor vermitteln, ist nicht nur Bildung oder musikalisches Wissen. Es geht vor allem um das soziale Miteinander und das stärkt die Kinder ungemein.“
Eltern um Hilfe bitten: Der Ton macht die Musik
Ganz wichtig, betont Michaela Ruf, sei es, den Eltern Wertschätzung entgegenzubringen. „Eltern leisten viel und wenn sie sich auch noch für das Hobby der Kinder einsetzen, dann darf man als Chorleiterin ruhig mal ein Lob aussprechen: „Danke, dass Sie sich kümmern. Danke, dass Sie sich dieses Themas annehmen.“ Wer sich wertgeschätzt fühlt, unterstützt sein Kind auch weiterhin gern.“ Was nach einer netten Geste klingt, geht im realen Choralltag oft unter, berichtet Michaela Ruf. Umso wichtiger ist es, sich bewusst zu machen: Wer höflich, offen und lobend mit den Eltern der jungen Sänger umgeht, schafft automatisch einen Raum, in dem sich alle wohlfühlen und gerne ihrem Hobby nachgehen. Fahrten zu Proben oder Konzerten, der Aufbau von Kulissen, das Nähen von Kostümen: Rund um den Kinderchor gibt es einige Aufgaben, die Chorleiter allein nicht bewältigen können. Doch wie kann ich charmant um die Mithilfe der Eltern bitten? „Es gibt kein Patentrezept, aber man sollte mit der Zeit ein Gespür entwickeln“, erklärt Ruf. Wichtig ist auch hier, wertschätzende Formulierungen zu wählen: „Es wäre toll, wenn Sie da mitmachen könnten“, ist z. B. eine solche Formulierung oder: „ich brauche Sie unbedingt, damit das Projekt besonders schön wird“. Wer das Mama- oder Papa-Taxi zur Probe also nicht als Selbstverständlichkeit annimmt und sich mal für die kleinen, im Alltag leicht übersehenen Hilfen der Eltern bedankt, macht es attraktiv, sich im Kinderchor zu engagieren. Das kann großen Spaß machen, berichtet Tanja Wolf, stellvertretende Vorsitzende der Chorjugend im SCV und selbst dreifache Mama. Sie engagiert sich gerne im Kinderchor. „Ich möchte meinen Kindern die Chance auf diese tolle Erfahrung geben. Und das Wunderbare ist: Sie strahlen einen an, man bekommt so viel Energie und Freude zurück.“ Doch auch Tanja Wolf versteht, warum es herausfordernd sein kann, engagierte Eltern für den Kinderchor zu finden. „Neben Haushalt und Job wären da noch die anderen Hobbys zu bedenken: Wenn die Kinder neben dem Chor z. B. noch im Sportverein aktiv sind. Würde man sich in jedem Verein der Kinder aktiv engagieren, könnte das schnell zu viel werden.“ Umso wichtiger ist es, klar zu machen, dass oft schon kleine Gesten wertvoll sind.
Elternabend mal anders
Um möglichst viele Eltern und Kinder zu erreichen, sollte der Kinderchor sich offen präsentieren. „Niedrigschwellige-Angebote können da helfen“, erklärt Michaela Ruf. „Gute Erfahrungen habe ich mit einfachen Schnupperangeboten gemacht. Kommen Sie vorbei, schauen Sie sich eine Probe an und überlegen Sie dann, ob der Kinderchor zu Ihnen passt.“ Das wirkt transparent und baut keinen Druck auf. Auch Ellen Strauß-Wallisch unterstützt diese Idee. In ihrem Chor dürfen Kinder und Eltern zwischen vier und acht Schnupperproben besuchen. Später können beispielsweise regelmäßige Treffen mit den Eltern sowohl den Kinderchor als auch die sozialen Kontakte außerhalb stärken. Allerdings würde die Expertin eher vom klassischen Elternabend abraten. „Der erinnert oft an Schule und ist manchmal wenig beliebt.“ Ruf hat gute Erfahrungen mit Familiennachmittagen gemacht. Überhaupt kommt es vor allem darauf an, eine Wohlfühlatmosphäre für Eltern und Kinder zu schaffen. „Wer beim Elternabend befürchtet, sich anhören zu müssen, warum er oder sie hier zu wenig und dort zu viel gemacht hat, kommt nicht gerne.“
Kooperationen stärken
Als Kooperationsbeauftragte des SCV hat Ellen Strauß-Wallisch viel Erfahrung im Bereich Kinderchöre. Alle zwei Jahre bringt der Chorverband Karl Pfaff z. B gut 15 Kinderchöre in einem Projekt zusammen. Circa 250 Kinder treffen sich zu Vorbereitungswochenenden, üben die Noten vorab, bereiten das Konzert vor. „Das würde ohne die Unterstützung engagierter Eltern nicht funktionieren, allein logistisch oder mit Blick auf die Verpflegung.“ Hier hat sie viele Erfahrungen gesammelt. „Kooperation ist nicht immer nur der große Gedanke.“ Es gibt viele kleine Möglichkeiten, etwas zu bewirken, beispielsweise wenn der Männerchor die Kinder in der Kita besucht und mit ihnen etwas singt. „Da ist so viel möglich, auch mit kleinen Schritten.“ Der Versuch lohnt. „Oft höre ich von Vereinen, die ich berate: Das schaffen wir nicht. Aber manchmal ist ein kleiner Schritt schon viel wert und die Kinder danken es einem. Das Spannendste ist, andere Kinder kennenzulernen. Ich habe die Kooperationstreffen immer als ganz arg wertschätzend empfunden.“ Ellen Strauß-Wallisch feiert mit ihrem Kinderchor Geburtstage oder kleine Feste. „Zum Thema Drachen hatten wir eine kleine Party, bei der wir Drachenlieder gesungen und gegrillt haben und natürlich haben wir Drachen steigen lassen.“ Denkt man über die Ortsgrenze hinaus, kann ganz viel entstehen. „Das ist auch ganz viel Abenteuer für die Kinder – allein schon eine Busfahrt.“ Neben dem Spaß am Singen können Feste und Freizeiten rund um Proben und Konzerte das Gemeinschaftsgefühl im Kinderchor stärken. „Es geht darum, Gemeinschaftserlebnisse zu schaffen“, betont Ruf. Solche Erlebnisse machen jeden Chor zum Unikat und helfen, Freundschaften innerhalb des Chores zu schließen. Letztlich stärken sie den Kinderchor langfristig. „All das schafft Erinnerungen, die Kinder vielleicht später auch dazu ermutigen, als Erwachsene wieder im Chor zu singen. Der große Vorteil beim Kinderchor ist ja, dass wir keinen Druck haben. Wir wollen ein Lied erarbeiten und gemeinsam Freude am Singen haben. Es geht nicht um besonders gute Leistungen oder Schnelligkeit. Das ist eine wichtige Erfahrung, die Kinder im heutigen System nur noch selten machen.“ Gemeinsame Ausflüge mit den Eltern, Grillabende, Sommerfeste, all das kann einen Kinderchor zum Erlebnis werden lassen und zu einem Ort, an dem Kinder schöne Erinnerungen sammeln. Natürlich kann ein solcher Austausch auch musikalisch stattfinden. Es gibt zunehmend Mitsing-Angebote. Mancherorts gründen sich auch Elternchöre, die den Kinderchor beispielsweise bei größeren Projekten unterstützen. Es gibt viele Möglichkeiten, neben Proben und Konzerten einen ganzen Kinderchor-Kosmos entstehen zu lassen. Wenn Chorleiter es schaffen, Kinder und Eltern einzubeziehen, ist vieles möglich. „Das A und O“, betont Michaela Ruf, „ist die Beziehungsebene.“ Wer es versteht die aufzubauen und zu pflegen, schafft einen Wohlfühlort, an dem prägende Erinnerungen entstehen können.