Singen ist gut für die Gesundheit – vorausgesetzt, der Stimmapparat ist nicht krank, so dass man singen kann.
Wir sind wieder mitten in der Jahreszeit, in der uns lästige Erkältungen heimsuchen. Vor allem durch zahllose Virenstämme verursachte grippale Infekte sorgen für Triefnasen, Husten und Heiserkeit. Es gibt aber auch noch andere Ursachen dafür, dass es in den Bronchien, im Hals und in den Nasenschleimhäuten blubbert, kratzt und brennt, z.B. Rauchen, zu trockene Luft, falsche Stimmtechnik beim Reden, Muskelverspannungen und das Überstrapazieren der Kehle durch vieles und lautes Reden oder Singen.
Seit Jahrtausenden sucht der Mensch bezüglich Erkältungen nach den Ursachen und Abhilfen: Im alten Babylonien hielt man Dämonen für die krankmachenden Übeltäter. Neben Gesundbeten und magischen Praktiken holte man aber auch Hilfe aus der Natur. Dreitausend Jahre alte mesopotamische Keilschrifttafeln berichten von Pflanzen und Mineralien, die man in Getränken zu sich nahm. Gegen Erkältungen ging man z.B. mit einen Sud aus Kresse, Öl, Senf und Honig vor.
Kuren für Körpersäfte
Für die Griechen und die Römer waren aus dem Gleichgewicht geratene Körpersäfte schuld an der Erkältungsmisere. Ärzte wie Hippokrates (4.Jh.v.Chr.), Dioskurides (1.Jh.) und Galenus (2.Jh.), rieten deshalb vor allem zu Heilkuren mit salzhaltiger Meeresluft und mit viel leibseelischer Entspannung. Aber auch sie verschrieben als unterstützende Therapie gern jede Menge Kräuter. Den Römern verdanken wir hierzulande z.B. den Salbei, dessen Name ja auch vom lateinischen „salvare“ (heilen) abgeleitet ist. Das in Lehrbüchern festgehaltene Wissen der Antike ging über in die mittelalterlichen Klosterbibliotheken und -apotheken. Wer hat nicht schon von den Schriften der heilkundigen Äbtissin Hildegard von Bingen (1098-1179) gehört! Sie hat so manches Mittel selbst ausprobiert, andere Rezepte aus dem Erfahrungswissen ihrer Zeitgenossen übernommen. Hildegard empfiehlt z.B. gegen Erkältungskrankheiten den Thymian; diese Gewürzpflanze galt einst als „das Antibiotikum der armen Leute“.
Vom Hustentee zum Lutschbonbon
Die Heilmittel nahm man als Beimischungen in flüssiger oder fester Form zu sich. Es wurde getrunken, gegessen, gesalbt und inhaliert – nur nicht gelutscht. Dazu bedurfte es erst einer weiteren Erfindung, des „Bonbons“. Im 7. Jahrhundert fing man in Persien damit an, aus Zuckerrohrsaft Zucker in fester Form zu gewinnen. Das begehrte Produkt wurde im Mittelalter bis ins Abendland gehandelt. Hier war die Zuckermasse – vermischt mit Kräuterextrakten – zunächst nur in Apotheken zu haben. Bonbons waren ein teurer Luxus.
Das änderte sich schlagartig um 1800, nachdem man gelernt hatte, Zucker in großem Umfang aus Rüben zu gewinnen. Industriell hergestellt, war Zucker auf einmal preiswert. Bonbons wurden ab jetzt von Konditoren in Förmchen gegossen und verkauft. Aus Konditoreien wurden ab 1850 Fabriken, aus den Süßigkeiten eine Massenware. Die Hersteller standen deshalb bald unter Konkurrenzdruck und mussten um ihre Kunden werben. Als neue Zielgruppen entdeckte man da neben den notorischen Naschkatzen die von Heiserkeit geplagten Rednerberufe (z. B. Schullehrer) und natürlich die Sänger.
Fabrikanten und Sänger im Ländle
Etliche der frühen Bonbon-Fabrikanten kamen aus Württemberg. 1849 kreierte z. B. in Waiblingen ein Bäcker namens Kaiser erste Karamellen gegen Husten. Sie wurden ab 1889 in einer Fabrik hergestellt und sind als „Kaiser´s Brust-Caramellen“ bekannt geworden. Auf der Verpackung und in den Reklameanzeigen, die gern in Sängerzeitungen, Liederfestheften und Vereinsfestschriften veröffentlicht wurden, pries man die „schleimlösende Eigenschaft“ der Bonbons mit dem „Geschmack der drei Tannen“.
Ein weiteres Unternehmen war Weckerle & Behringer, seit 1891 in Feuerbach. Ihre als „NON PLUS ULTRA SAENGER-PASTILLEN“ angepriesenen Bonbons bestanden aus „feinstem Lacritzextracten-Gummi mit Veilchengeschmack“. Der Dosentext versprach dem konsumierenden Sänger „einen hellen, reinen Ton“. „Zum Schutze vor Imitationen“ sollte der Käufer darauf zu achten, die Pillen nur in der Originaldose zu erwerben. Plagiate und Fälschungen gab´s also damals schon.
Reklame mit Kultstatus
Im badischen Tumringen (bei Lörrach) fabrizierte die Firma Wybert ab 1921 ihre Pastillen „Für Sportsleute Sänger Raucher“. Auch dieses Erzeugnis besaß bereits eine längere Tradition: 1846 hatte der Basler Arzt Emanuel Wybert die Rezeptur für ein „Hustenmittel mit Süßholz-Extrakt und wohltuender Menthol-Note“ von einer Studienreise aus Amerika mitgebracht und in der schweizerischen Grenzstadt realisiert.
Die Sänger waren nicht nur umworben, mit ihnen wurde auch geworben, z. B. auf Bildern, Klebemarken und Plakaten. Dabei brachte es die Bildreklame für die „Pastilles Geraudel“ sogar zu einiger Berühmtheit, der französische Hersteller ließ sie von bedeutenden Jugendstilkünstlern gestalten. Auf einem Werk des Eugene Oge (um 1887) sieht man Franz Liszt am Klavier, wie er einer hustenden Sängerin zuzischt: „Si vous toussez prenez des Pastilles Géraudel (Wenn Sie husten, nehmen Sie Geraudel Pastillen).
Wichtig: Nehmt den Husten nicht so schwer
Ein anderes Produkt ist sogar nach einem berühmten Sänger benannt: „Caruso“. Die Pastillen des Herstellers in Kaltenkirchen sollen dem legendären Tenor (1873-1921) einen durch Heiserkeit gefährdeten Auftritt in Hamburg gerettet haben, weswegen er sich bei der Firma mit einer Postkarte bedankte und die Verwendung seines Namens für die Bonbons erlaubte. Manche Reklame der vergangenen Jahrzehnte aus der Funk- und Fernsehwerbung hat fast schon Kultstatus erreicht, so der „Ra-Ra-Ra“ krächzenden Papagei der „Rachengold“-Werbung. Weithin bekannt auch die Reklame mit dem „Hustinettenbär“ (ab 1966). Sein einprägsames Lied – „Nehmt den Husten nicht so schwer, jetzt kommt der Hustinettenbär“ – nach der Melodie des Volksliedes „Horch, was kommt von draußen rein“ – wurde übrigens von dem Frankfurter Kammersänger Heinz Hagenau gesungen und ist ein echter Ohrwurm.
Kein Wunder bei so viel Reklame mit Sängern, dass sich diese ihrerseits von Markenprodukten inspirieren lassen, z.B. bei der Namenswahl: ein Projektchor von der Schwäbischen Alb nennt sich selbstbewusst „Rachengold“.
Kaufen oder selber machen
Mit Bonbons zur Stimmpflege hat so mancher Fabrikant ein Vermögen verdient, und noch immer werden damit jährlich Milliardenumsätze erzielt. Laut einer Umfrage gaben im Jahr 2020 über vier Millionen der über 14-jährigen Deutschen an, regelmäßig mehrmals pro Woche Kräuter- und Hustenbonbons zu konsumieren.
Bonbons kann man übrigens leicht selber anfertigen. Im Internet gibt es dafür viele Rezepte. Wichtig dabei ist lediglich, statt Zucker einen Ersatzstoff zu verwenden. Als aromatische Zutat kann man nach eigenem Geschmack selbst zusammengestellte Kräuter (als Sud) hinzufügen. Welche das sind, ist dabei gar nicht so wichtig. Die wohltuende Hilfe liegt nämlich weniger in den Zutaten als vielmehr im Vorgang des Schluckens! So wird die Kehle befeuchtet und die lästige Dauerreizung gemildert.
Und wenn einen Stimmprobleme dazu zwingen, mit Singen eine Zeit lang zu pausieren, muss das für die eigene musikalische Betätigung keineswegs eine verlorene Zeit sein. Man kann sich z. B. Gesangsstücke anhören, sich mit ihrer Interpretation beschäftigen und seine musiktheoretischen Kenntnisse auffrischen.
Alles Gute zum Neuen Jahr, und bleiben Sie gesund!