Wie Kindern das Singen spielend leicht gelingen kann
Seit 2014 unterrichte ich an der Grundschule Stauferschule in Lorch Musik mit der Ward-Methode. Die ersten 20 Minuten des Musikunterrichts sind damit vorgegeben, sieben kurze Einheiten aus Stimmbildung, Solmisation und rhythmischen Übungen wechseln sich ab, die Reihenfolge ist immer gleich. Klingt vielleicht trocken, doch die Kinder lieben es:
„Machen wir wieder eine Stunde, wo du kein unnötiges Wort sagst?“ fragt einer der Jungs fast jede Woche in der zweiten Klasse. „Ok“ sage ich, „das gilt dann auch für euch“. Damit kann ein zwanzigminütiges Üben musikalischer Grundkompetenzen beginnen, fast so, wie sich ein Instrumentalist einspielt. Das Instrument Stimme ist immer parat, es muss nicht ausgepackt und gestimmt werden und es kann auch nicht vergessen werden.
Wie definiert man musikalisch?
Wann bezeichnen wir ein Kind als musikalisch? Eine Frage, die ich kurz und unvollständig und so beantworten möchte: Wir bewerten das Tongedächtnis, also die Fähigkeit, Melodien nachzusingen oder Tonfolgen zu imitieren und die Fähigkeit, Rhythmen zu erkennen und imitieren. Nach dieser Definition würde vermutlich die Mehrzahl der Kinder im Grundschulalter als unmusikalisch gelten. Nach einem Jahr Unterricht mit der Ward-Methode sieht das ganz anders aus. Da würde vermutlich der Scout, den ein Knabenchor in die Schule schickt, um musikalische Talente aufzuspüren, begeistert die ganze Klasse zu Schnupperstunden einladen.
Was ist bei der Ward-Methode anders?
Einfache Übungen, die das Hören lehren, sind die Basis musikalischer Bildung, musikalischer Alphabetisierung. Das ist der Zauber der Ward-Methode, sie macht aus brummenden Kindern, die keine zwei Töne unterscheiden können, nach einem, maximal zwei Jahren fröhlich singende Kinder mit hellen, klaren Stimmen, die vom Singen nicht genug kriegen können.
Ein Beispiel aus der Praxis:
Dienstagmorgen, 07:30 Uhr: Ich bin schon im Musikraum, denn die Tafel muss vorbereitet werden, und sobald sich die Türen des Schulhauses öffnen, ist es vorbei mit der Ruhe.
07:45: Die Zweitklässler stürmen den Musikraum und fangen schon mal an. Eine greift sich den Ward-Stab und zeigt an einem Diagramm Töne, die andern singen, natürlich viel zu tief. Ich gebe den richtigen Ton beiläufig ein und sofort wird er aufgenommen. Nun ist das Do ein f. Die Kinder trudeln bis 08:00 Uhr (und natürlich auch danach) ein, bis dahin haben die ganz Eifrigen schon einige Lieder angestimmt und die Stufen 1-6 solmisiert. Singend verlassen die Kinder das Klassenzimmer und sind, wenn man Gehirnforschen glauben darf, jetzt gut gerüstet fürs weitere Lernen von Deutsch und Mathe. Singen aktiviert das Gehirn, macht es wendig und aufnahmebereit.
Der Zauber der Ward-Methode, was macht ihn aus?
Die Ward-Methode setzt beim Entdecken der eigenen Singstimme an. Ein einfaches NU, gekoppelt mit einer Bewegung der Arme, ausgehalte Töne höher als f1. Da klingen die meisten Stimmen schnell gut, irgendwann klingen alle Stimmen gut. Bald wollen alle ein NU alleine singen, das ist sozusagen der erste Soloauftritt. Und bald wollen alle Kinder Solo singen, denn mit dem Vertrauen in die eigene Stimme wächst der Spaß am Singen.
Berechenbarkeit und Kleinschrittigkeit geben den Kindern das Gefühl: Ich kann das! Und wenn nicht, dann lerne ich das. Musikalische Begabung ist nichts, was man hat oder nicht hat, Musikalität kann zu einem großen Teil erlernt werden. Das spüren die Kinder, und das ist vor allem für diejenigen ein Ansporn, die von zu Hause nicht gefördert werden können, die keinen Instrumentalunterricht bezahlt bekommen und die niemand zum Kinderchor bringt.
Hilfreiche Methode in vielfältiger Arbeit
Für Kinder, die der deutschen Sprache noch nicht mächtig sind, ist es ein Anknüpfungspunkt, da können sie mithalten. In jeder Stunde ergibt sich die Möglichkeit, auch schwächere Kinder zu loben. Ein knappes „sehr gut“ oder ein Daumen nach oben, das ist für manche Kinder ein rares Erlebnis im Schulalltag, und das macht Mut, weiter eifrig mitzumachen. Und das macht es dann auch dem Lehrer leicht, alle Kinder mitzunehmen. Die Aktivierung der Kinder wird von Pädagogen, die eine Ward-Stunde zum ersten Mal sehen, immer sehr bewundert.
Lehrerzentrierter Frontalunterricht ist heute (Gott sei Dank) im Unterricht der Grundschule die Ausnahme. Und so ist die Ward-Methode ein wirklicher Methodenwechsel. Frontal, lehrerzentriert und immer gleich, wie eine Liturgie läuft eine Ward-Einheit ab. Das hat etwas Verlässliches, man muss nicht erst Anweisungen hören und umsetzten, kann gleich anfangen, ohne Erklärung. Der Lehrer ist zwar das Zentrum, das alle vereint, aber er leitet nur an, er bündelt die Energie.
Bildung ist ein Grundrecht, musikalische Bildung auch?
Eine 2012 veröffentlichte Studie von Regina Bojack-Weber, „Singen in der Grundschule: Eine Untersuchung zur Singfähigkeit und zum Singverhalten von Grundschulkindern“, kommt zu dem Ergebnis, dass circa ein Drittel der Grundschüler am Ende der Grundschulzeit, also nach vier Jahren Schule und drei bis fünf Jahren Kita, gut singen kann. Diesem Ergebnis folgt dann noch der Hinweis, dass die gut singenden Kinder in der Regel außerschulische musikalische Angebote wahrgenommen haben.
Man stelle sich die Übertragung des Sachverhaltes auf die Fächer Deutsch oder Mathe vor! Leider findet diese Studie noch immer wenig oder keine Beachtung bei all denen, die für den Musikunterricht an staatlichen Schulen Verantwortung tragen.
Die Stadt Düsseldorf macht seit 2006 vor, wie sängerische, musikalische Rekultivierung gehen kann. Dort haben sich die Kulturtreibenden unter dem Dach des Musikvereins zusammengeschlossen und die „SingPause“ ins Leben gerufen. Externe Kräfte gehen zu „Singpausen“ in den Unterricht der Grundschule, unterrichten mit der Ward-Methode und üben Lieder. Ein absolutes Erfolgsmodel, das in NRW inzwischen viele Nachahmer findet. Auch in Baden-Württemberg findet das Konzept der Singpause immer größere Beachtung.
Genau genommen ist dieser Erfolg aber auch ein herber Verweis darauf, dass unser Bildungssystem nicht in der Lage zu sein scheint, Kindern das Singen beizubringen. Dass musikalische Bildung keine Frage des elterlichen Engagements und Geldbeutels sein sollte, darüber sind wir uns mit Sicherheit alle einig.
Die Ward-Methode ist ein über 100 Jahre lang erprobtes Mittel, der elitären Privatisierung musikalischer Bildung entgegenzuwirken.
Weitere Informationen zur Ward-Ausbildung der Stiftung „Singen mit Kindern“ unter: