„Mit Leier und Schwert“ lautet der Titel einer Gedichtsammlung des Lyrikers Theodor Körner, der in den Befreiungskriegen 1813 als Angehöriger des Lützowschen Freikorps gefallen ist. Mit einer Leier in der einen und einem Schwert in der anderen Hand – so stellten sich die Deutschen seit der Romantik auch gern ihre altgermanischen Vorfahren vor. Es ist ein Idealbild, das wir auf vielen Zeugnissen der Sängerschaft wiederfinden, z. B. auf den ersten Preismedaillen des Schwäbischen Chorverbandes (Sängerbundes). In einer Beschreibung von 1851 heißt es, man sehe dort „als Hort des deutschen Gesangs einen altdeutschen Barden mit Harfe (Leier) in der Linken und dem Schwerte in der Rechten“.
Gesang als psychologisches Mittel
Ferner haben die Germanen – so Tacitus – den Gesang auch als psychologisches Mittel im Kampf eingesetzt, zu ihrer eigenen Ermutigung und zur Abschreckung des Gegners: „Sie haben aber auch noch solche Lieder, durch deren Anstimmen … sie ihren Mut entflammen; und außerdem sagen sie durch deren bloßen Klang den Ausgang des bevorstehenden Kampfes voraus.“
Die magere Überlieferungssituation ändert sich erstmals 1846, als in Oberflacht im Landkreis Tuttlingen ein alamannischer Friedhof aus dem 6. Jahrhundert Gegenstand archäologischer Untersuchungen wird. Die Grabbeigaben dort waren durch ein feuchtes, für die Konservierung von organischem Material günstiges Bodenmilieu hervorragend erhalten. Unter den vielen freigelegten Grabstätten war die
Nr. 31 die interessanteste; sie ist als das „Sängergrab von Oberflacht“ in die (Wissenschafts-) Geschichte eingegangen.
Mit Leier und Schwert auf Blüten gebettet
Die Ausgräber fanden in der hölzernen Grabkammer einen Sarg mit den Gebeinen eines um das Jahr 610 verstorbenen jüngeren Mannes. Er lag dort auf Laub und Blüten gebettet, in seiner rechten Armbeuge ein Langschwert und eine sechssaitige Leier, gefertigt aus Eiche und Ahorn. Diese und weitere schön gearbeitete Beigaben, die den Toten als Angehörigen der damaligen Oberschicht zu erkennen geben, lassen uns etwas von jener Lebensweise erahnen, der wir in den mittelalterlichen Heldenepen begegnen.
Der Fund von Oberflacht hat seinerzeit in der Fachwelt Aufmerksamkeit erregt, von der Sängerschaft ist er aber zunächst (merkwürdigerweise) nicht sonderlich beachtet worden. Das hat sich erst 1950 geändert, als in Oberflacht ein örtlicher „Sängervater“ einen Findling mit erklärender Bronzetafel als „Sängermahnmal“ stiftete. Es steht am einstigen Fundort des Grabes, umgeben von einem Hain, den der Oberflachter „MGV Alemannia“ angelegt hat.
Spektakulärer Fund aus Trossingen
Das Oberflachter Sängergrab sollte nicht das einzige seiner Art bleiben. Etwas mehr als anderthalb Jahrhunderte später, im Winter 2001/2002, wurde in der nur wenige Kilometer entfernten Musikstadt Trossingen ein weiteres Sängergrab geborgen, dessen Inhalt das vorige Beispiel noch übertreffen sollte. Es gehörte einem ca. vierzigjährigen Adligen (d. h. Anführer einer großen Sippe), der im Spätsommer des Jahres 580 n. Chr. gestorben ist. In der Grabkammer fand man neben gedrechselten Möbeln, fein gearbeitetem Hausrat, diversen Waffen und Reiterzubehör als spektakulärste Beigabe eine in allen Bestandteilen sehr gut erhaltene Leier. Das Instrument lag – wie in Oberflacht – zusammen mit einem Schwert im Bett des Toten.
Bei diesem Instrument, das sich heute im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz
befindet, sind die Details so gut erhalten, dass es ohne Probleme nachgebaut werden kann. Mehrere dieser Nachbildungen sind heute auch in Gebrauch. Zu den Besonderheiten dieses Instruments gehört auch die prächtige Dekoration in Form feinster Ritzverzierungen. Auf dem Resonanzdeckel erkennt man zwei aufeinander zuschreitende Gruppen von je sechs bewaffneten Männern. Auf der Rückseite ist der Resonanzkörper mit schlangenförmigen Flechtbandornamenten dekoriert.
Verräterische Gebrauchsspuren
Und ein letztes Detail des Instruments soll nicht unerwähnt bleiben: Seine erkennbare Abnutzung! Sie verrät uns: Die Leier war nicht nur Zierde und Statussymbol, sie ist tatsächlich bespielt worden. Es bleibt jetzt der eigenen Phantasie überlassen, wie der ritterliche Herr des Hauses einst mit dieser Leier vor seinen Zuhörern fremde und eigene Abenteuer besungen hat.
Die Alamannen sind schließlich im 7. und 8. Jahrhundert im emporstrebenden Fran-
kenreich aufgegangen. Sie übernahmen dessen Kultur und Religion, das Christentum. Damals wurden bei uns die ersten Klöster errichtet. Mit der Klosterkultur wiederum kamen neue Formen der Musik und der Literatur, und mit ihnen die ersten schriftlichen Überlieferungen von Gesängen in unserem Raum.