Warum jetzt? Warum jetzt nicht!
Der Chorverbandstag ist das höchste Gremium des Schwäbischen Chorverbandes. Hier werden die Weichen für das künftige Handeln des Verbandes gestellt. Hier ist die Meinung der Vertreter:innen der Vereine nicht nur gefragt und erwünscht, sondern wichtig, denn es geht nicht um die Entwicklung eines undefinierten Konstrukts, sondern an diesem Chorverbandstag ganz konkret um die Frage: Wird es in Zukunft noch einen Chorverband geben? Wie wird er aussehen? Was erwarten wir davon? Die Strukturreform soll und wird das Fundament der Neuordnung des Schwäbischen Chorverbandes und seiner Regionalchorverbände. Damit stellen sich die Mitglieder des Verbandes den Herausforderungen, die auf sie zukommen, und gestalten sie aktiv mit.
Was ist die Strukturreform?
Im Grunde genommen ist die Strukturreform des Schwäbischen Chorverbandes und seiner Regionalchorverbände ein wichtiger Schritt, um die Amateurchormusik auf der Gemarkung des ehemals württembergisch-hohenzollerischen Gebietes fit für die Zukunft zu machen. Dabei geht es nicht nur um eine Neustrukturierung der einzelnen regionalen Gebiete, sondern um eine Reform des gesamten Systems. Derzeit sind 24 Regionalchorverbände im Schwäbischen Chorverband organisiert. Dabei sind nicht nur geographische Größe und Ausrichtung sowie Anzahl der vertretenen Vereine sehr unterschiedlich. Der Verband Region Kocher etwa hat 124, der Hermann-Hesse-Chorverband 25 Vereine. Der Eugen-Jaeckle-Chorverband hat über 4.000 Sängerinnen und Sänger, der Hermann-Hesse-Chorverband knapp 700. Neben diesen Zahlen zeigt sich auch ein signifikanter Unterschied in den Serviceangeboten. In einem weiteren Schritt sollen hier also nicht nur neue Gebiete, sondern zukünftig auch generell vergleichbare Strukturen in den Regionalgebieten des Schwäbischen Chorverbandes geschaffen werden. Der Grundstein für diese Ideen wurde bereits auf dem Chorverbandstag am 4. Oktober 2020 gelegt. Hier wurde das Präsidium beauftragt, die Überlegungen einer Strukturreform weiter zu führen und in einen breitgefächerten Dialog mit Regionalchorverbänden und Vereinen zu treten.
Neuordnung und Strukturstärken: Was bedeutet das?
Das ist wohl die meist gestellte Frage zu diesem Thema. Zum einen geht es darum, eine sinnvolle Verwaltungsgröße zu finden. In der aktuellen Zuordnung besteht eine erhebliche Differenz zu den politischen Verwaltungsgrenzen in Baden-Württemberg: Der Schwäbische Chorverband hat weder die Bildung des Landes Baden-Württemberg 1952 in den Grenzen seiner Regionalchorverbände nachvollzogen, noch die Kreisreform von 1972. Diese beiden „verpassten“ Reformen und die damit einhergehende Zuständigkeit von mehreren Ämtern für einen Regionalchorverband haben zur Folge, dass es den Landkreisen bzw. den Landrät:innen relativ leicht möglich ist, die Regionen gegeneinander auszuspielen und Zuständigkeiten abzulehnen.
Zudem wird es in vielen Regionalchorverbänden immer schwieriger ehrenamtliche Posten zu besetzen oder die Professionalisierung weiter auszubauen. Das Präsidium erwartet sich durch die Neugliederung und die Reduzierung der Anzahl der Regionalchorverbände eine Straffung der Organisation, den Abbau von Doppelstrukturen, die Entlastung des Ehrenamts und einen besseren Einsatz der Mittel. So werden bestehende wichtige Elemente gestärkt.
Warum ist es wichtig jetzt zu starten?
Die nun schon viele Jahre bestehende Struktur hat Vorteile: Es ist die Tradition, die trägt, es ist die Basisnähe aufgrund der Kleinräumigkeit, es ist die regionale Identifikation und letztendlich auch das Beziehungsgeflecht, in dem man sich auskennt – man weiß, wo man daheim ist und wen man ansprechen muss.
Auf der anderen Seite ergeben sich aus der derzeitigen Struktur aber auch Nachteile: Weniger aus der grundsätzlichen Unterteilung, sondern eher aus der Unterschiedlichkeit hinsichtlich Größe und damit auch Leistungsfähigkeit. ein Beispiel: Der Schwäbische Chorverband kann für die Vereine keine einheitlichen Angebote über die Regionalchorverbände anbieten, zudem werden in den Regionalchorverbänden unterschiedliche Beiträge verlangt und es besteht ein hoher Personalbedarf: 24 Regionalchorverbände bedeutet: 24 Vorstände, 24 Musikdirektoren der Regionalchorverbände, 24 Jugendvorstände, und eigentlich wäre es wichtig 24 gut ausgestattete Geschäftsstellen zu haben.
Die Corona-Pandemie hat viele Entwicklungen beschleunigt, viele Probleme verstärkt und Herausforderungen auf allen Ebenen offengelegt. Strukturen, die vor den Einschränkungen der Corona-
Pandemie bereits Risse zeigten, drohen nach über eineinhalb Jahren langsam einzustürzen. Andere Strukturen haben sich hingegen als Stützen der Chorgemeinschaft erwiesen. Diese Zeit hat alles an den Rand der Belastungsgrenze, oder auch darüber hinaus gebracht. Es hat aber auch gezeigt, wie wichtig es ist, stabile, gut vernetzte und dennoch flexible Partner an seiner Seite zu haben, die informieren, Probleme und Sorgen aufnehmen und eine starke Stimme auch gegenüber der Politik haben. Die Corona-Hilfe mag von vielen als ein Tropfen nach dem Gießkannenprinzip auf den heißen Stein wahrgenommen worden sein, aber für viele Vereine war es doch eine Hilfe in schweren Zeiten. Auch das Gefühl wahr-
genommen zu werden, Ansprechpartner zu haben und bei den Verodrnungen des Landes berücksichtigt worden zu sein, ist Verdienst eines starken Netzwerkes, von dem der Schwäbische Chorverband ein wichtiger und starker Partner ist.
Diese neue Erfahrung in Verbindung mit Beobachtungen und Anmerkungen seit einigen Jahren, hat die Gremien des Schwäbischen Chorverbandes dazu gebracht, sich mit der Frage der Strukturreform auseinander zu setzen. Erste Überlegungen gab es bereits im Januar 2020 bei einer Tagung der Verantwortlichen Funktionäre der Regionalchorverbände und des Präsidiums des Schwäbischen Chorverbandes. Nach vielen Gesprächen und Diskussionen wurde das Thema im Rahmen des Chorverbandstags am 4. Oktober 2020 den Delegierten der Vereine vorgestellt, mit dem Ergebnis, dass die Arbeiten weiter gehen sollen. Seither gab es Gespräche mit Vertreter:innen von Regionalchorverbänden und vier virtuelle Konferenzen, auf denen das Thema mit Funktionären und Interessenten der Vereinen lebhaft diskutiert wurde. Es geht nicht darum Strukturen zu zerstören, sondern sie sinnvoll zu verstärken und zu stützen.
Nicht immer wird die Strukturreform positiv wahrgenommen. Daher ist es dem Schwäbischen Chorverband besonders wichtig, nicht nur transparent über die weiteren Schritte zu informieren, sondern mit seinen Mitgliedern in einen aktiven Dialog über die genauen Ziele zu gehen und die Entscheidungen auf eine breite Basis zu stellen. Jede:r ist eingeladen, sich an diesem Prozess zu beteiligen, seine/ihre Meinung zu sagen und mitzugestalten. Vor allem bei der Gestaltung der Regionen ist nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch lokales Wissen unabdingbar.
Was verbirgt sich hinter der Vereinheitlichung der Standards? Was sind das überhaupt?
Bislang existieren keine einheitlichen Standards, also Vorgaben, welche Leistungen die einzelnen Regionalchorverbände für ihre Mitglieder bzw. den Gesamtverband erbringen. Hier kommt wieder das Thema der lokalen Unterschiede zum Tragen. Angebote für Vereine hängen letztlich von der personellen und finanziellen Leistungsfähigkeit der einzelnen Regionalchorverbände ab, führt aber in der Konsequenz dazu, dass die Qualität der Unterstützung der Chöre letztendlich vom Zufall des Ortes abhängt, in dem ein Chor ansässig ist. Am Ende schwächt dieses Problem den Schwäbischen Chorverbandes insgesamt.
Um diesem Problem entgegen zu treten, wurde zunächst eine Bestandsaufnahme gemacht: Über die Jahreswende 2019 / 2020 hat die Geschäftsstelle des Schwäbischen Chorverbandes bei allen Regionalchorverbänden eine Umfrage gestartet. Abgefragt wurde, ob es bei den Regionalchorverbänden eine Geschäftsstelle gibt, wie diese besetzt ist und ob sie feste Sprechzeiten hat. Zudem wurde gefragt, ob es Vorständetagungen für die Vereine gibt, ob eine eigenständige Chorjugend existiert, ob Projekte im Bereich Nachwuchsarbeit durchgeführt werden (und insbesondere die C1- Ausbildung), ob es Weiterbildungen für die Sänger:innen gibt und ob die Vereine Unterstützung bekommen, wenn es dort einmal brennt.
Mit den Verantwortlichen der RCV wurden folgende Bereiche definiert und besprochen, bei denen Standards sinnvoll erscheinen:
Satzungen / Ordnungen / Vertretungen
Organisation
Kinder- und Jugendchorarbeit
Thema Zukunftssicherung
Thema Bildung
Thema Veranstaltungen
Was geschieht als nächstes?
Auf dem Chorverbandstag am 10. Oktober 2021 in Plochingen steht das Thema erneut auf der Tagesordnung. Hier werden die Delegierten über den aktuellen Stand informiert. Danach soll, mit Beschluss des Gremiums, die Struktur im intensiven Dialog aller beteiligten weitergeführt werden. Ziel ist es, das Projekt zum 175. Jubiläum des Schwäbischen Chorverbandes 2024 zu einem Abschluss zu bringen.