Wie es den Chören mit den neuen Möglichkeiten im Sommer und Herbst 2021 geht
Im September-Heft 2020 der Zeitschrift SINGEN haben Chorleiterinnen und Chorleiter darüber berichtet, wie es ihnen in der Pandemie und den ersten Proben nach dem Lockdown ging. Seitdem hat sich einiges getan. Die Chöre dürfen wieder fast normal proben, Konzerte und Veranstaltungen sind wieder erlaubt.
Bei Anne-Regina Sieber ist die Freude darüber deutlich zu spüren. „Ach, wir haben schon wieder ein ganz tolles Projekt gemacht. Es war so schön!“ Zusammen mit dem Kammerchor Cantabile sind sie und ihr Sängerkranz bei „Deutschland singt!“ aufgetreten – eine Kooperation, die ohne Corona so nie zustande gekommen wäre, denn normalerweise singt jeder Chor für sich. Doch durch Corona waren beide Chöre stark verkleinert, sodass keiner alleine hätte auftreten können. Unterschiede im Repertoire oder im Niveau spielten keine Rolle, im Gegenteil: „Jeder hat seine Talente eingebracht und es war wunderbar harmonisch. Das fand ich unwahrscheinlich schön“, schwärmt Sieber. Momente der Rührung scheint es gerade in jedem Chor zu geben. Nach eineinhalb Jahren zum ersten Mal wieder nicht nur in echt proben zu können, sondern auch weitestgehend auf Abstand verzichten und Konzerte geben zu können, ist etwas, wonach sich viele lange gesehnt haben. „Es war toll, endlich wieder live Musik machen zu können“, erinnert sich Andreas Schulz. Er und sein Chor hatten im Oktober ihr erstes Konzert seit langem gegeben – ohne Abstand und mit Orchester. Vor einem Jahr noch völlig undenkbar.
Kirchenproben statt Gartenproben
Auch Jörg Thum ist für diese neuen Möglichkeiten sehr dankbar, selbst wenn er für seine Chöre strengere Coronaregeln festgelegt hat. Als hauptberuflicher Chorleiter leitet er zehn verschiedene Chöre. Ihn hat die Pandemie hart getroffen. Regelmäßige Proben, egal unter welchen Bedingungen, waren für ihn existenziell bedeutend. „Ich bin total stolz auf meine Sängerinnen und Sänger, dass wir das geschafft haben, dass wir in der ganzen Coronazeit nur eine einzige Woche keine Chorprobe hatten.“
Doch das war nicht immer leicht. Er und seine Chöre haben überall geprobt: zunächst digital, später in Parkhäusern, Turnhallen, Mensen, Fabrikhallen, Gärten – immer mit Abstrichen: „Es war eigentlich immer eine Notlösung. Wir haben nie hinterher gesagt: ‚Ach, ist eigentlich ganz toll hier.‘“ Umso schöner ist es für Chöre und Chorleiter jetzt, wieder mit geringerem Abstand in Kirchen proben zu können. „Man hat eine bessere Akustik, man hat ein Klavier dabei und die Disziplin ist auch eine andere“, erklärt Anne-Regina Sieber. Auch sie hat während der Coronazeit in Gärten und großen Hallen geprobt und probt inzwischen wieder in Kirchen. Gerade bei Proben, die wieder auf ein Ziel wie etwa „Deutschland singt!“ hinführen, sei die Disziplin bedeutend gewesen, denn die Proben hätten viel intensiver sein müssen, als es im Garten möglich gewesen wäre. Aber auch die Gartenproben hatten etwas für sich. „Es hat dem Chor und dem Zusammenhalt unglaublich gutgetan“, erzählt Sieber. „Jeder hat seinen Garten anders hergerichtet. Wir haben das immer verbunden mit einem Kaffee. Jeder hat etwas zum Essen mitgebracht, einen kleinen Snack oder Trinken.“ Nach wie vor schwärmen ihre Sängerinnen und Sänger davon und obwohl die Probe jetzt wieder in regulären Räumen stattfindet, hat sich der Sängerkranz in diesem Jahr gleich wieder im Garten getroffen: dieses Mal zum Grillen. Ebenfalls etwas, das ohne Corona vermutlich nicht stattgefunden hätte.
Zusammenhalt und soziales Miteinander
Schon immer wurden Zusammenhalt und das soziale Miteinander in Chören hoch geschrieben. Doch er habe sich verändert, meint Jörg Thum. „Das Zusammensein ist extrem wertvoll. Zusammen singen, zusammen lachen, zusammen reden. Das weiß man inzwischen noch mehr zu schätzen, weil man es eben lange Zeit nicht mehr hatte.“ Bei der ersten Probe nach dem letzten Lockdown habe es so manch ein Freudentränchen im Auge der Sängerinnen und Sänger gegeben.“ Ich glaube, wenn ich alleine gewesen wäre, hätte ich losgeheult vor Glück, weil es einfach total schön war, wieder alle meine Sängerinnen und Sänger zu sehen und auch zu hören und den Klang zu spüren. Das war schon ein bewegender Moment und ich mag‘s eigentlich auch gar nicht mehr hergeben,“ erzählt er bewegt. Dennoch findet er die Maßnahmen richtig. Sie erlaubten auf der einen Seite ein wenig Kultur, während sie auf der anderen Seite immer noch die Gefahr, die von Corona ausgeht, berücksichtigten.
Schwäbischer Chorverband als Vermittler
Gerade diese Mischung befürwortet auch Marcel Dreiling, der Musikdirektor des Schwäbischen Chorverbandes, „denn Singen ist ja plötzlich zum Buhmann der Nation geworden“, dabei habe es doch so viele andere, positive Aspekte, betont er. Eine wichtige Aufgabe des SCV in der Pandemie sei es deshalb gewesen, immer wieder auf die Politik zuzugehen und Vermittler zwischen ihr und den Vereinen zu sein, sei es durch Weiterleitung finanzieller Hilfen oder praktische Hilfe wie die Übersetzung der Verordnungen in ein klar verständliches Hygienekonzept. „Alle haben nach dem Hygienekonzept des SCV geschaut und unsere Geschäftsstelle hat da wirklich hervorragende Arbeit geleistet. Das kann ich sagen ohne Eigenlob, weil ich da nicht dazu beigetragen habe“, sagt er lachend, aber auch ein kleines bisschen stolz. Tatsächlich war der SCV in der Coronazeit für viele Chorleiterinnen und Chorleiter sowie Vereinsfunktionäre eine große Hilfe. „Die Angebote und vor allem auch das Interesse des SCV waren sehr wichtig für uns. Es tut einfach gut, wenn jemand da ist, der sich interessiert und fragt: Wie geht’s euch? Was für Erfahrungen habt ihr gemacht?“, erzählt Anne-Regina Sieber.
Unklare Perspektiven
Ihr Chor wie auch die Chöre von Jörg Thum und Andreas Schulz haben die Pandemie bisher gut überstanden. Inwieweit sie jedoch schon wieder in die Zukunft planen, ist sehr unterschiedlich. Andreas Schulz ist mit seinen Chören bereits wieder voll eingestiegen, plant Konzerte und sogar Reisen, etwa eine Chorbegegnung in der Partnergemeinde in Kärnten. „Ich habe immer ganz normal weiter geplant und wenn es dann wirklich nicht geht, wird‘s halt kurzfristig abgesagt. Aber die Perspektive muss da sein“, meint Schulz. Doch nicht alle trauen sich in dieser Zeit, so weit im Voraus zu planen, große Projekte oder gar Reisen in Angriff zu nehmen. Zu unberechenbar sind nach wie vor die Maßnahmen. „Man weiß nicht, was in der nächsten Woche passiert, was erlaubt ist, was man machen kann“, meint Anne-Regina Sieber. Optimistisch ist sie aber trotzdem und so schauen alle vier Chorleiterinnen und Chorleiter positiv nach vorne.