Denn hier ist spezielles Wissen und Können gefragt, das endlich einen größeren Stellenwert in der Aus- und Weiterbildung braucht
„Für den Seniorenchor kannst du auch irgendeinen C-Musiker nehmen. Der kann da nicht viel falsch machen.“ Dieser Satz, den ich im Rahmen der Befragungen für meine Dissertation zum Thema „Seniorenchorleitung“ gehört habe, hat mich im Nachhinein sehr traurig gemacht. Umso wichtiger ist es vielleicht nun, eine Lanze zu brechen und die Arbeit mit älteren Sängerinnen und Sängern nicht als etwas Banales oder Triviales abzutun. Als Leitung eines Seniorenchores muss man nicht nur in Bezug auf das Musikalische ausgebildet sein, sondern auch zusätzliches Hintergrundwissen und besondere menschliche Kompetenzen mitbringen; das ist mehr als „irgendeiner“ kann.
Nur weil ein Chor vielleicht „alt“ ist, heißt es bei Weitem ja nicht, dass die Arbeit anspruchsloser als die Arbeit mit jüngeren Ensembles ist. Durch meine eigene musikalische Praxis in Altenheimen und die Proben mit Seniorenchören habe ich trotz der – wie ich finde – soliden Chorleiterausbildung an der Musikhochschule anfangs feststellen müssen, dass ich zu dem Zeitpunkt zwar das chorleiterische „Handwerkszeug“ bereits beherrschte, mir aber viel Erfahrung und (musikgeragogische) Kenntnisse fehlten. Durch die Arbeit mit Älteren konnte ich Vieles dazulernen, musste aber auch einige lehrreiche Erfahrungen (oder auch Fehler) machen, von denen ich erst später profitieren konnte. Ich kann folglich nicht unterschreiben, dass man einfach „irgendwen“ vor einen Seniorenchor stellen kann und es dann schon automatisch funktionieren würde. Sicherlich gibt es viele Chöre mit einem hohen Altersdurchschnitt und Mitgliedern, die durch ihre meist lebenslange Chorerfahrung musikalisch sehr versiert sind; wenn man dort mit etwas Einfühlungsvermögen, einer Grundmotivation und menschlichem Geschick agiert und zudem musikalisch ausreichend „fit“ ist, mag das sicherlich ohne Probleme funktionieren.
Auch ein „Seniorenkammerchor“ ist gewiss nicht der realistische Maßstab für die allgemeine Seniorenchorarbeit, die uns aufgrund des demografischen Wandels perspektivisch erwarten wird. Durch die kontinuierliche chorische Praxis mit regelmäßigen Stimmtraining kann man zwar einige altersbedingte Einschränkungen wettmachen, langfristig werden allerdings sowohl Chorangebote für Menschen, die im Alter (neu) mit dem Singen (wieder) beginnen, als auch Singgruppen für demenziell Veränderte an Präsenz und Bedeutung gewinnen. Vor allem diese Gruppen verlangen Einiges an Kenntnissen und konzeptionellen Hintergrundwissen ab, durch die das Angebot an Qualität – in vielerlei Dimensionen – gewinnen kann.
In dem „10-Punkte-Plan“ im Schlusskapitel meiner Dissertation, der als eine Art Sammlung politischer oder verbandlicher Forderungen verstanden werden kann, fordere ich neben der Wertschätzung der Chorarbeit mit Älteren, der Publikation geeigneter Seniorenchorliteratur und der Schaffung von Netzwerken unter anderem eine Revision der Ausbildung sowie mehr Fort- und Weiterbildungsangebote. Es wäre sehr wichtig, dass musikgeragogische Inhalte und explizit auch die Disziplin „Seniorenchorleitung“ in den Ausbildungen für das Haupt- und Nebenamt verankert werden. Vor allem angehende Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker sollten (theoretische) Grundlagen zum Thema „Singen im Alter“ kennen, um nicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden oder gar alle möglichen „Fehler“, die andere schon „erprobt“ haben, ebenfalls selbst zu machen. Auch den Chorleitenden, die bereits im Beruf stehen und mit der älteren Klientel arbeiten, könnten Fortbildungen helfen, mit eventuellen Schwierigkeiten besser umgehen zu können.
Wichtige Weiterbildungen im Bereich Seniorenchorleitung
Über „kubia“ („Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und Inklusion“ Remscheid) wurden bereits ein Workshop „Seniorenchorleitung“ (2015) und eine „Arrangement-Werkstatt Seniorenchor“ (2017) angeboten. Der C3-Lehrgang „Chorarbeit mit Senioren“ der Landesmusikakademie NRW in Heek, bei dem dieses Jahr die ersten Zertifikate verliehen wurden, ist hoffentlich ein Pilotprojekt, das anderen Ausbildungsstätten ein Beispiel sein kann, um selbst solche Weiterbildungen anzubieten. Dass nun auch Kirchenmusikverbände und Hochschulen Interesse an dem Thema „Seniorenchorleitung“ zeigen, ist sicherlich ein erster wichtiger Schritt, um diese Inhalte mittelfristig in den musikpädagogischen und künstlerischen Studiengängen zu verankern. Modularisierte grundlegende Seminare und die Möglichkeit, sich darauf aufbauend mit musikgeragogischen Inhalten vertiefend zu beschäftigen, wäre eine sinnvolle Ergänzung im Spektrum der Hochschulausbildung.
Wenn ich ein paar Wünsche frei hätte, fände ich es toll, wenn in den Aus- und Fortbildungen musikgeragogische Themen einen größeren Stellenwert bekämen. Das setzt voraus, dass die Chorarbeit mit älteren Menschen auch eine entsprechende Wertschätzung erführe. In puncto „Chorbücher“ gibt es derweil endlich einige Projekte, um „Seniorenchorliteratur“ zu veröffentlichen – das ist der richtige Weg, weil dort ein großer Bedarf vorhanden ist. Zu guter Letzt wären musikgeragogische Stellen im Hochschulbereich, um die Lehre und vor allem auch die Forschung weiter voran zu bringen, eine gute Investition in die Zukunft.
Es ist unerlässlich, dass rechtzeitig auf den demografischen Wandel reagiert wird, um allen Altersgruppen ein zufriedenstellendes Chorsingen zu ermöglichen; natürlich ist das „Chorsingen im Alter“ nur eines von vielen anstehenden Themen (neben zum Beispiel Inklusion oder Migration). Ich denke aber, dass die geragogischen Perspektiven in der kommenden Zeit häufiger im Zentrum musikpädagogischer Diskussionen stehen werden und es wichtig wäre, schon heute mit dem Weiterdenken zu beginnen. Wie oft ist es nicht schon passiert, dass auf die wichtigen Themen erst zu spät reagiert wurde?
Prof. Dr. Kai Koch
Prof. Dr. Kai Koch (*1986) ist Studienrat im Kirchendienst und Leiter der Schulchöre am Evangelischen Trifels-Gymnasium in Annweiler. Er studierte Schulmusik, Chemie, Orgel und Chorleitung in Detmold, Paderborn, Münster und Berlin, 2017 veröffentliche er seine Dissertation „Seniorenchorleitung. Empirische Studien zur Chorarbeit mit älteren Erwachsenen“ beim Lit-Verlag. Er ist Dozent im Bereich „Singen mit Senioren“ bei der Weiterbildung Musikgeragogik an der Fachhochschule Münster und gründete 2016 das Netzwerk „Singen im Alter“.