Wenn junge Chöre Sprünge schaffen
Im vergangenen Jahr wurden für Chöre und Musikgruppen verschiedene Unterstützungsprogramme angeboten. Die SINGEN hat einige unter die Lupe genommen, die für die Chorarbeit Inspirationen liefern.
2021 ist vorbei, und nun schauen wir nach vorne: Wird die Chor-zene 2022 einen Neustart erleben? Und wenn ja, welcher Art? Zurück zum alten Leben? Projekte auf Sparflamme? Mindset-Wechsel und was ganz Neues? Schon im letzten Jahr haben sich viele Chöre überlegt, was sie unter den aktuellen Bedingungen erschaffen können. Vom interaktiven Online-Hörspiel bis hin zum Kindermusical, von gemeinsamen Konzerten mit regionalen Chören, um Kräfte zu bündeln, bis hin zu Mitsing-CDs, damit das Chorsingen das schlechte Image loswird, das es durch die Pandemie aufgedrückt bekam. Es ist vieles möglich.
Wie SängerKnaben in Calw das Image des Chorsingens vom Pandemie-Schatten befreiten
Singen ist gut für die Gesundheit. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen ist Chorsingen für die soziale Entwicklung wichtig. Doch auf einmal wurde mit der COVID-Pandemie das Singen gefährlich. Proben werden untersagt oder es wird mit Abstand und/oder gar mit Maske gesungen, viele Sänger:innen pausieren lieber. Ein schlechtes Image, das unerwartet kam und schwer zu beseitigen ist. Plötzlich wurde sogar im Musikunterricht das Singen untersagt – ausgerechnet dort, wo das kostengünstige, immer verfügbare Instrument „Stimme“ das beste Werkzeug zur musikalischen Bildung darstellt. Die Aurelius-Sängerknaben in Calw konnten und wollten es so nicht stehen lassen. Ihre Lösung? Eine Mitsing-CD. Die Knaben des Nachwuchschors haben mit einer professionellen Band Kinderlieder aufgenommen und eine CD produziert. Dank verschiedener Unterstützer, darunter der Bundesmusikverband Chor & Orchester e.V. und das Programm „Neustart Kultur“, konnte die Produktion finanziert und ein Honorar an die Band gezahlt werden. Außerdem wurden zum neuen Jahr bereits über 60 Schulen der Umgebung mit dieser CD ausgestattet. Sie soll als pädagogisches Werkzeug im Musikunterricht helfen, das Singen in der Schule zu fördern. Weil Singen und Bewegung besonders bei Kindern unzertrennlich sind, bekommen die Lehrkräfte auch Zugang zu Videos, die zum Nachmachen von geeigneten Choreografien einladen. Ein guter Nebeneffekt dieses Projekts: neue kleine Sänger wurden für den Chor gewonnen!
Wie Dschungelklänge in Oberriexingen neue Sänger:innen anlocken
Oberriexingen (LK Ludwigsburg) ist „Kinderchorland“, denn dort werden im Gesangverein Vulkania e.V. regelmäßig Kindermusicals aufgeführt. Doch dieses Jahr wird es außergewöhnlich: Durch die Unterstützung der Deutschen Chorjugend im Rahmen des Projekts Kinderchorland wird das Projekt von Fachberater:innen begleitet. Beim Probenwochenende wird es Stimmbildung für die Kinder und Jugendlichen geben. Die Förderung durch einen Sonderpreis des Schwäbischen Chorverbandes beinhaltet außerdem die Gestaltung von Flyern und Werbeplakaten. WIMBA heißt das Stück für Kinder von 6 bis 14 Jahren, und die Handlung findet im Dschungel statt. „Im Urwald weißt du nie so recht, was ist Täuschung, was ist echt.“ (In diesen aktuellen Zeiten der Unsicherheit überhaupt eine gute Frage). Doch das Projekt sorgt nicht nur für Lieder aller möglichen Genres und gute Laune: die Kinder- und Jugendchorarbeit des Gesangverein Vulkania e.V. hat dadurch an Öffentlichkeit gewonnen und es wurden bereits über zehn neue junge Sänger:innen in die Chorgruppen aufgenommen. In Zeiten, in denen in KiTas und Schulen kaum gesungen werden darf und das Glück des gemeinsamen Singens mit Gleichaltrigen teilweise an einer ganzen Generation vorbeigeht, sind solche Projekte für die Zukunft der Chorszene (und für die musikalische und überhaupt für die Entwicklung der Kinder!) extrem wichtig. Im Mai 2022 wird der WIMBA-Dschungel in Oberriexingen zum Leben erweckt werden!
Aus wenig viel machen: Die Musical Academy Tübingen
Wie eine Pandemie zwar individualisiert und doch zusammenführt:
Lockdowns, Abstände, Tests, Verordnungen… die Probenzeit war in den letzten zwei Jahren stark eingeschränkt. Wer wenig probt, hat auch wenig Programm – zu wenig für ein Konzert, aber man möchte so gerne trotzdem ein Ziel vor Augen haben und auftreten, sobald es die Chöre dürfen. Die Musical Academy Tübingen (kurz: MAT) hatte da eine Idee: sie konzipierte MAT meets… und kontaktierte Chöre ihrer Region, um gemeinsame Konzerte auf die Beine zu stellen. Die befreundeten Chöre (mit denen der Austausch genauso wertvoll empfunden wurde wie die Zusammenarbeit selbst) übten ihre eigenen Stücke, die MAT fügte passende Songs hinzu, im Sinne des ursprünglich geplanten, zu kurz geratenen Chorkonzertes. So konnten beide Chöre Auftritte erleben, die einzeln nicht möglich gewesen wären. Außerdem konnten die pandemiebedingten logistischen und organisatorischen Hürden gemeinsam überwunden werden. Da bei wenigen Auftritten auch finanzielle Probleme die Chöre plagen, half eine Förderung des Bundesmusikverband Chor & Orchester e.V. Dank dieser konnten Werbemittel erstellt und eine technische Grundausstattung erworben werden, die für die gemieteten Proben- und Konzerthallen geeignet war (deren Miete auch die Förderung abdecken konnte). Diese Grundausstattung steht nun zur Verfügung, um auch im neuen Jahr neue gemeinsame Projekte zu konzipieren und weiteren Chören zum Neustart zu verhelfen.
Mindset ändern! Musikalische Arbeit im digitalen Raum nicht nur mangels besserer Alternative
Wenn etwas die Chorwelt spaltet, dann ist es sicherlich das online Proben und überhaupt die musikalische Arbeit im digitalen Raum. Für manche ist es ein absolutes Übel, eine Notlösung, die man so schnell wie nur irgend möglich wieder vergessen will. Für andere ist es eine Methode, die, auch wenn sie nicht mehr von einer Verordnung gefordert wird, als zusätzliches Werkzeug der Probenarbeit durchaus geeignet ist. Und schließlich gibt es dann noch Chöre wie den jungen Kammerchor Mannheim, der aus zwei Grundannahmen ein ganz besonderes Projekt erschaffen hat, und darüber, in doppeltem Sinn, „ziemlich glücklich“ ist.
Erstens: Junge Menschen, die mit Chormusik nicht in Berührung kommen würden, sollte man abholen, wo sie sich befinden. Und das ist unter anderem… im digitalen Raum.
Zweitens: Was wäre, wenn wir die Brille, durch die wir diese digitale musikalische Arbeit anschauen, einfach ablegen, ein digitales Angebot nicht mehr als defizitär ansehen, sondern als ein Konzept für sich, völlig unabhängig von jeglicher pandemiebedingten Pflicht? Das Ergebnis dieser Gedanken ist ein interaktives Hörspiel, in dem Chorstücke eine eigene Rolle verkörpern. Das Hörspiel heißt „Ziemlich Glücklich“ und ist im Internet zu erleben (www.ziemlichgluecklich.de). Sobald die Geschichte startet, rückt der:die Zuhörer:innen ins Zentrum des Geschehens, in dem er:sie selbst entscheidet, wie sie weitergehen soll. Ziel des Projektes ist, Chormusik digital erlebbar zu machen, nicht nur weil es nicht anders geht, sondern ganz bewusst, weil es neue Möglichkeiten und Räume eröffnet. Eine Förderung des Bundesmusikverband Chor & Orchester e.V. wurde für theaterpädagogische Online-Workshops verwendet, für die Erstellung von virtuellen Choraufnahmen und schließlich für die künstlerische und technische Umsetzung des Hörspiels als interaktives Browser-Game. Probieren Sie es aus!
Jetzt Gelder für Projekte beantragen:
Haben Sie eine Idee, wie Sie die Chorszene mit Ihrem eigenen Chor weiterbringen können? Dann beantragen Sie eine Förderung! 2022 gibt es wieder einige Ausschreibungen (siehe Info-Kasten). Eine solche Hilfe kann nicht nur Lücken füllen, sondern verrückte Ideen zum Leben erwecken und langfristig wirken, damit aus einer Zeit, die manchmal Individualisierung und Isolierung erfordert und gemeinsames Singen als Gefahr einstuft, ein Neustart für die Chorwelt wird. Und wie jeder effiziente Neustart besteht auch dieser aus vielen kleinen Schritten und vielen kleinen Projekten, die das gemeinsame Ziel verfolgen.