Andererseits: Nicht nur in der Chorprobe, auch im Vorstand bleibt mancher Stuhl leer, der vor Beginn der Pandemie noch „bewohnt“ war.
Wer sein Amt niederlegt, ist raus – meistens
Die Zahl der Vorstandsmitglieder, die ihre Tätigkeit nach dem Ende der Einschränkungen nicht mehr aufnehmen wollen, hat erhebliche Ausmaße angenommen. Das gilt vor allem für Vorstandsmitglieder, die im Verein besondere Verantwortung getragen und besonders viel und verantwortungsvolle Tätigkeit geleistet haben. Gründe gibt es viele; es hat wenig Sinn, im Einzelfall darüber zu spekulieren. Erklärt ein Vorstandsmitglied einem anderen – vertretungsberechtigten – Vorstandsmitglied gegenüber, dass er sein Amt niederlege, hat das die sofortige Beendigung seiner Vorstandstätigkeit zur Folge. Bereut er den Schritt später und will er seine Tätigkeit fortsetzen, muss er im normalen Verfahren neu gewählt werden. Eine Ausnahme macht nur der sogenannte „bedingte Rücktritt“ („ich trete zurück, wenn sich hier nicht einiges ändert …“); das ist kein Rücktritt, der deshalb auch nicht rückgängig gemacht werden muss.
Besonders schwierig für den Verein ist der Rücktritt des Vorsitzenden oder der nach § 26 BGB vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieder. Nicht nur, weil die Arbeitskraft dieser Zurückgetretenen wegfällt und vielleicht nicht ersetzt werden kann; es geht auch darum, dass die rechtliche Handlungsfähigkeit des Vereins nicht verloren geht.
Der vertretungsberechtigte Vorstand hat viel mehr rechtlich-repräsentative Aufgaben, als sich viele im Verein Tätige vorstellen. Das gilt nach innen wie auch außen: In vielen Vereinen ist die Organisationsverantwortung sehr stark auf den Vereinsvorsitzenden zugeschnitten; er lädt zu den Sitzungen ein, er organisiert die Korrespondenz und den Umgang mit den Verbänden und Behörden, er sorgt dafür, dass Förderanträge rechtzeitig gestellt, die Steuererklärung rechtzeitig abgegeben und Verträge rechtzeitig abgeschlossen werden. Je kleiner der Verein, desto stärker ist die Vereinsarbeit auf den Vorsitzenden zugeschnitten. Das ist zwar schlecht und schadet dem Verein, weil es nicht nur darum gehen kann, dass der Vorsitzende auch einmal vertreten werden kann; der Vertreter muss auch in die Aufgabenstellungen des Vereins eingearbeitet und über die wesentlichen Vereinsangelegenheiten informiert sein.
Wer vertritt, muss auch vertreten können
Fällt der Vorsitzende nun gänzlich und endgültig weg (durch Tod, aber auch durch Rücktritt „ohne Wiederkehr“), so kann die Situation eintreten, dass der Verein nicht nur tatsächlich, sondern auch noch rechtlich handlungsunfähig wird. Es gibt leider immer noch Vorsitzende, die nach dem Motto handeln: „Nur wenn ich die Dinge selber mache, weiß ich, dass sie gut gemacht sind.“ Man spricht landläufig auch vom „Adenauer-Effekt“.
Gleichwohl: Die Situation kann eintreten; sie tritt auch in letzter Zeit nicht selten ein.
Was tun?
Zunächst wird man den Vorstand zusammenrufen und die Situation erörtern. Ein Blick in die Satzung zeigt, welche Vorstandsmitglieder vertretungsberechtigt und hoffentlich zum Vereinsregister angemeldet und dort eingetragen sind. Das wird leider ebenso häufig vergessen wie das Austragen nicht mehr aktiver Vorstandsmitglieder. Diese können dann noch lange im Namen und mit Bindungswirkung für den Verein handeln (auch zu dessen Nachteil!), bis sie schließlich ausgetragen werden.
Hat man (im Vorstand) festgestellt, dass es noch vertretungsberechtigte Vorstandsmitglieder gibt, die auch eingetragen sind, herrscht zunächst keine Not. Man kann dann in aller Ruhe überlegen, wie man mit dem Wegfall der vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieder umgeht; eine überstürzte Neuwahl oder sonstige Panikveranstaltungen sind also nicht geboten.
Auch ein Rücktritt des Kassiers oder Schatzmeisters kann für den Verein problematisch sein, auch wenn der Schatzmeister (wie häufig) nicht allein vertretungsberechtigt ist: Er verfügt über die Informationen und Daten, die für das finanzielle und organisatorische Vereinsleben wichtig sind, um Fristen und Termine einhalten zu können. Es sollte deshalb grundsätzlich in der Vorstandsarbeit – gerade in diesen beiden Funktionen – Vorsitzender und Kassier – dafür Sorge getragen werden, dass ein etwa kurzfristig notwendiger Nachfolger kompetent und vollständig über die notwendigen Informationen und Unterlagen verfügt. Das gilt in erster Linie für den Vorsitzenden und den Kassier, in zweiter Linie aber auch für alle anderen Vorstandsmitglieder, die wichtige und notwendige Tätigkeiten ausüben. Solche „Notfallunterlagen“ sollten stets geführt und aktualisiert werden und Gegenstand der gegenseitigen Kontrolle in Vorstandssitzungen sein.
Wie bleibt ein Verein handlungsfähig?
Was nun aber geschieht, wenn der Verein über kein vertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied mehr verfügt?
Für diesen Fall gibt es den § 29 BGB (gerichtliche bestellter Vorstand, Notvorstand). Er kommt zur Anwendung, wenn das einzige vertretungsberechtigte Vorstandsmitglied zurücktritt oder es ablehnt, irgendeine Vorstandstätigkeit zu entfalten. Das gibt es – gar nicht so selten – auch!
Hat der Verein nach diesen Grundsätzen also kein handlungsfähiges, vertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied, findet § 29 BGB Anwendung. Sind noch andere vertretungsberechtigte und eingetragene Vorstandsmitglieder vorhanden, erfolgt eine Notvorstandsbestellung nicht, weil der Verein noch rechtlich handlungsfähig ist.
In letzter Zeit ist nicht selten zu beobachten, dass Vereine neue Formen der Vorstandsarbeit erwägen, etwa die, dass der Vorstand aus mehreren gleichberechtigten und nur gemeinsam vertretungsberechtigten Vorstandsmitgliedern besteht. Fällt dann auch nur eines dieser Vorstandsmitglieder weg, ist der Verein nicht mehr ordnungsgemäß vertreten, da die Vorstandmitglieder nur gemeinsam rechtlich handeln können. Vor solchen Konstruktionen kann nur gewarnt werden.
Im Übrigen: allein das Fehlen eines vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieds reicht noch nicht zur Bestellung eines Notvorstandes durch das Amtsgericht aus. Das Gericht wird nur in dringenden Fällen tätig, nämlich dann, wenn ohne die Bestellung eines Notvorstandes alsbald zu besorgende, wichtige Aufgaben des Vereins nicht wahrgenommen werden können und Schaden droht. Wenn ein Verein ein vertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied noch rechtzeitig (etwa vor Klageerhebung zur Verjährungsunterbrechung) wählen kann, wird das Amtsgericht hierauf hinweisen und jedenfalls so lange keinen Notvorstand bestellen, bis feststeht, dass eine Wahl durch die Mitgliederversammlung nicht erfolgen kann. Oft sind ja auch Streitigkeiten im Verein und Fraktionsbildungen Ursache für die gegenseitigen Blockaden; die Amtsgerichte sehen es nicht als ihre Aufgabe und auch nicht durch § 29 BGB gedeckt an, wenn sie aufgerufen werden sollen, diese Streitereien zu schlichten und die Blockade aufzulösen.
Das Amtsgericht wird schließlich nicht von sich aus tätig. Vielmehr muss ein Beteiligter einen Antrag stellen, § 377 Abs. 1 FamFG. Dies kann jedes Vorstandsmitglied oder der Vorstand als Ganzes, aber auch jedes Vereinsmitglied, ebenso jeder Gläubiger, auch derjenige, der bei Auflösung des Vereins nach der Satzung das Liquidationsvermögen erhalten soll.
Es erscheint zweckmäßig, wenn möglichst mehrere Vereinsmitglieder in der geschilderten Fallkonstellation einen Antrag auf Bestellung eines Notvorstandes stellen, denn bei Wegfall eines Antragstellers erledigt sich das Bestellungsverfahren, auch wenn die dringende Notwendigkeit der Bestellung eines Notvorstandes fortbesteht.
Wer kann zum Notvorstand bestellt werden?
Das ist zunächst eine Geldfrage: Das Amtsgericht ist bei der Wahl eines Notvorstandes in seiner Entscheidung frei (pflichtgemäßes Ermessen); es kann ein Mitglied des Vereins als Notvorstand bestellen, wenn dieses einverstanden und zur Amtsausübung in der Lage ist. Ist dies nicht der Fall oder findet sich kein Vereinsmitglied, welches diese Aufgabe übernehmen würde (beispielsweise auch ehrenamtlich), so wird das Amtsgericht in aller Regel einen Steuerberater oder Rechtsanwalt oder sonst einschlägig Rechtskundigen bestellen, der dann nach seiner Gebührenordnung zu bezahlen ist. Die Vergütung bezahlt aber nicht das Amtsgericht, sondern der Verein. Es hat schon Fälle gegeben, in denen der Notvorstand die Auflösung des Vereins betrieben hat, um aus dem nach der Liquidation verbleibenden Vereinsvermögen seine Gebühren bezahlen zu können.
Schlussbemerkun
Vereine und Vorstände haben alle Veranlassung, es nicht zur Bestellung eines Notvorstandes kommen zu lassen. Unlust oder Ermüdung (nach der Corona-Zeit) sollten keinesfalls dazu führen, dass ein vertretungsberechtigter Vorstand seinen Verein in eine solche Lage bringt. Denn das bedeutet auch, dass er vorher in seiner Vereins-Personalpolitik einiges falsch gemacht hat. Gerade jetzt, nach der Pandemie, nachdem auch viele, vor allem ältere Vereinsmitglieder und Sänger:innen „das Handtuch geworfen“ haben oder verstorben sind, ist es die Aufgabe des Vorstandes, die Erneuerung der Vereinsarbeit zu betreiben und alle verfügbaren Kräfte zu mobilisieren.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten, engagierten Neustart!
Rechtsanwalt Christian Heieck
Weiherstraße 6, 72213 Altensteig
Telefon: 07453 1677
Email: kanzlei@rechtsanwalt-heieck.de
Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.