Nikolai Ott stellt sich zur Wahl als Nachfolger von Marcel Dreiling als Musikdirektor des Schwäbischen Chorverbandes.
Am diesjährigen Chorverbandstag stehe ich wieder zur Wahl für den Musikbeirat, diesmal offiziell als Nachfolger von Musikdirektor Marcel Dreiling. Seit vielen Jahren ist die Ausbildung von Chorleitern ein besonderes Anliegen des Schwäbischen Chorverbands, Marcel Dreiling hat diese Ausbildung in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten unermüdlich vorangetrieben und Generationen von C2- und C3-Absolventen zur Prüfung gebracht. Dafür gebührt ihm – neben vielen anderen Leistungen und unglaublich viel Herzblut, das er in sein Amt gegeben hat – ganz besondere Anerkennung.
Ich möchte diese Wege gerne fortsetzen. Seit mehreren Jahren begleite ich nun selbst die Chorleitungsausbildungen des Schwäbischen Chorverbands, erst als Dozent für Musikgeschichte, dann auch für die Chorleitung und seit dem letzten Jahr auch für das Modul „Gottesdienst“, in dem ich die kirchlichen Fächer Liturgik, Hymnologie und theologische Grundlagen unterrichte, das ich von Prof. Bernhard Leube übernommen habe.
Dass ich diese Fächer unterrichte, liegt gewissermaßen in meiner Biographie begründet, denn ich habe von 2012 bis 2016 Kirchenmusik in Tübingen studiert. Als solcher bin ich auch im Kirchenbezirk Tübingen-Land seit 2019 Bezirkskantor und somit auch zuständig für die Ausbildung nebenberuflicher Chorleiter und Organisten. Von 2016 bis 2019 habe ich zudem einen Master-Studiengang im Fach Dirigieren an der Musikhochschule Trossingen bei Prof. Michael Alber absolviert, in dieser Zeit habe ich viele Schulmusiker im Fach Chorleitung tutoriert.
Unser gemeinsames Anliegen, das Singen im Chor, steht und fällt meistens mit dem Chorleiter. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass wir als Chöre nur eine Zukunft haben, wenn sich Menschen für die Leitung von Chören qualifizieren lassen und sich stetig weiterbilden. Ich bin deshalb froh und dankbar, dass der Badische und der Schwäbische Chorverband sowie der Badenwürttembergische Sängerbund die Chorakademie Baden-Württemberg ins Leben gerufen haben, die dieses Anliegen professionell und mit vielen frischen Ideen unterstützt und fördert. Das Portfolio der Chorleitungsausbildung ist groß, neben der „klassischen“ Chorleitungsausbildung steht die Kinderchorleitungsausbildung seit geraumer Zeit im Fokus, nun kommt dank der Chorakademie eine Ausbildung für das „community singing“ hinzu.
Was derzeit noch fehlt, sind „post-grad“- Angebote, also Fortbildungen für Chorleiter, die bereits eine Ausbildung absolviert haben. Dafür möchte ich in naher Zukunft einen Testlauf starten.
Ausbildung ist das Fundament – es braucht noch mehr
Ausbildung allein reicht mir allerdings nicht. Ich wünsche mir, dass das Chorsingen wieder mehr gesellschaftliche Relevanz erfährt. Dazu sind in meinen Augen zwei Dinge notwendig: auf der einen Seite müssen gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen geschaffen sein, die unser Anliegen unterstützen.
Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass die Amateurmusik politisch wahrgenommen und gefördert wird. Die Pandemie hat gezeigt, wie prekär Chorleiter, Musiker und andere Freiberufler beschäftigt sind. Das muss sich perspektivisch ändern, wenn wir wollen, dass sich in Zukunft auch noch Menschen für diese Tätigkeiten interessieren und ihre (Frei-)Zeit dafür investieren.
Auf der anderen Seite müssen wir uns an der eigenen Nase packen: wir müssen als Chorsänger unsere Proben, Auftritte und Konzerte nicht nur als bloßes Hobby ansehen, sondern es auch als Teil gesellschaftlicher Teilhabe begreifen. Richard von Weizsäcker hat es präzise formuliert, als er sagte:
„Kultur kostet Geld. Sie kostet vor allem deshalb, weil der Zugang zu ihr nicht in erster Linie durch einen privat gefüllten Geldbeutel bestimmt sein darf. (…) Substantiell hat die Förderung von Kulturellem nicht weniger eine Pflichtaufgabe des öffentlichen Haushaltes zu sein als zum Beispiel der Straßenbau, die öffentliche Sicherheit oder die Finanzierung der Gehälter im öffentlichen Dienst. Es ist grotesk, dass wir Ausgaben im kulturellen Bereich ‚Subventionen’ nennen, während kein Mensch auf die Idee käme, die Ausgaben für ein Bahnhofsgebäude oder einen Spielplatz als Subventionen zu bezeichnen. Der Ausdruck lenkt uns in eine falsche Richtung. Denn Kultur ist kein Luxus, den wir uns leisten oder nach Belieben streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere innere Überlebensfähigkeit sichert.“
Wenn also das unsere Aufgabe sein soll, müssen wir sie auch wahrnehmen. Wenn wir unserer Sache politisch Gewicht geben wollen, müssen wir diesem Auftrag auch nachkommen und für Anlässe sorgen, zu denen Menschen sich begegnen und austauschen können. Dazu genügt es nicht, die historische Tradition einfach vor uns herzutragen. Sonst sind wir lediglich ein Anbieter einer netten Freizeitgestaltung.
In einer Welt, deren musisch-kulturelle Aktivität sich zunehmend im Anhören von aufgezeichneter Musik bewegt, ist es mir ein Anliegen, originäre Chormusik wieder mehr in den Fokus zu nehmen. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir – wenn ich es einmal so hart formulieren darf – oft dem Radio hinterhergesungen. Das ist gut so und hat auch seine Berechtigung, jedoch haben wir (ich allen voran) oft vergessen, dass ein Chor keine Rockband ist. Ohne Zweifel gibt es einen großen Anteil handwerklich wunderbar umgesetzter Chorarrangements beliebter Titel. Ich empfinde es aber auch zunehmend als eine Trittbrettfahrt auf dem Mainstream. Das ist nichts verwerfliches, denn jeder soll auf seine Kosten kommen, nur finde ich, dass wir damit auch Stücke und Komponisten vergessen, deren originäre Chorstücke viel zu kurz kommen. Damit verlieren wir auch ein Stück unserer Berechtigung.
Chorsingen hat Zukunft
Allen Unkenrufen zum Trotz glaube ich, dass das Chorsingen Zukunft hat. Zwar lösen sich viele Traditionsvereine in letzter Zeit auf, das ist beklagenswert und schmerzhaft. Dennoch: Es wächst wieder etwas und das muss und soll seinen Platz finden können. Digitalität und Aktualität spielen dabei eine größere Rolle denn je. Was also kommt auf uns zu? Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, es wird spannend…