Der Neustart und seine Herausforderungen
Wir hoffen alle, dass die vergangenen drei Jahre mit ihren Einschränkungen für die Chorarbeit wie die Vereinsarbeit der Vergangenheit angehören und dass uns der bevorstehende Winter neben den Problemen mit der Energieversorgung keine neuen Einschränkungen durch Corona beschert.
Wir haben auch feststellen müssen, dass Corona uns auch so Probleme hinterlassen hat. Das wird immer wieder deutlich bei den vielen Beratungsfragen, die nach dem Neustart an mich im Rahmen der Erstberatung der Vereine des SCV herangetragen werden.
Lehren aus der Vergangenheit
Dabei stellt sich heraus, dass sich Unterlassungssünden der Vergangenheit jetzt besonderes bemerkbar machen und auswirken.
Das Geschäftsführende Präsidium des SCV hat deshalb beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die diese Probleme in den Blick nehmen und den Vereinen und den Chören Hilfe leisten soll beim Bewältigen dieser Probleme. Beim Chorverbandstag des SCV am 09.10.2022 war dies auch Thema eines Workshops.
Vor allem sind folgende Sorgen und Mängel zutage getreten
Es wird zu viel Bürokratie beklagt, die von den Vereinen bewältigt werden muss, zu viel Bürokratie auch, die in den Vereinen selbst bisher praktiziert wurde. Zu viele Vorschriften belasten die Arbeit der Ver-
einsvorstände; 6,5 Stunden bürokratische Arbeit pro Woche hat der Normenkontrollrat Baden-Württemberg in seinem Bericht „Entbürokratisierung bei Vereinen und Ehrenamt“ als Durchschnittswert ermittelt.
Nach der Pandemie stellen viele Vereine fest, dass Vorstandsposten nicht mehr wiederbesetzt werden können, nachdem durch den Ausfall von ein bis drei Mitgliederversammlungen die Kontinuität der Bereitschaft, Vorstandsämter zu übernehmen, unterbrochen scheint. Das Gleiche scheint sich bei der Besetzung der Chöre und deren Singfähigkeit zu ereignen; manche Chöre beantragen das Ruhen ihrer Mitgliedschaft im SCV oder betreiben ihre Auflösung, weil kein singfähiger Chor mehr vorhanden ist und/oder eine Chorleitung nicht mehr existiert.
Besonders häufig ist dies festzustellen bei Vereinen, die auf Jugendarbeit in der Vergangenheit verzichtet haben. Gleichzeitig wird festgestellt, dass viele jugendliche Sängerinnen und Sänger eigene Wege gehen, indem sie kleine Ensembles bilden, die auf Vereinsstrukturen und Bürokratie verzichten – mit allen Vor- und Nachteilen. Die Abkehr von überkommenen Strukturen ist überdeutlich.
Wir müssen also Wechselbeziehungen feststellen: Wechselbeziehungen zwischen dem Interesse junger Sängerinnen und Sänger an der Mitarbeit in Chor und Verein einerseits, zu viel Bürokratie (extern und intern) in den Vereinen andererseits. Wir müssen auch feststellen, dass zwischen der Überalterung in vielen Vereinen und der fehlenden Jugendarbeit eine deutliche Wechselwirkung besteht; beides wirkt beim Rückgang oder der Einschränkung der Singfähigkeit ebenso zusammen wie bei der Besetzung von Vorstandsämtern.
Wichtig: Weiterbildung
Trotz vieler Informations- und Weiterbildungsangebote wird immer wieder fehlende Information und Unsicherheit beklagt: Der Datenschutz und seine Erfordernisse, die Künstlersozialversicherung, die GEMA, sind immer noch von Unsicherheit wegen fehlender Informiertheit gekennzeichnet. Förderprogramme, Ehrenamtspauschale, Übungsleiterpauschale sind nicht selten unzureichend bekannt und bewusst in den Vorständen.
Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass die Vorstände häufig personell überbesetzt sind und es zusätzlich weitere Gremien gibt, die bürokratischen Aufwand durch Mitbestimmungsbefugnisse mit sich bringen. Teilweise sind die Vorstände so in der Satzung festgelegt, dass die Funktionsträger (Vorsitzender, Stellvertreter, Schriftführer und Kassier) von Beisitzern überstimmt werden können; nicht selten sind auch Chorleiter, Notenwarte etc. Mitglied des Vorstandes.
Verschlankung der Vorstände
Es ist deshalb eine Flexibilisierung und Verschlankung der Vorstände wichtige Aufgabe der Vereine; die Vereinsregister lassen heutzutage die Bildung von Vorstandsteams ohne Festlegung der Funktion zu und auch eine flexible Vorstandszahl in der Satzung („bis zu vier Vorstandsmitglieder“). Das Gesetz fordert nur einen Vorstand (§ 26 Abs. 1 BGB); sieht die Satzung ein Vorstandsteam beispielsweise mit bis zu vier Vorstandsmitglieder vor, kann der Vorstand selbstverständlich auch – wenn nicht genügend Kandidaten gefunden werden – aus zwei Personen bestehen. Im Übrigen: Kann der Vorstand nicht vollständig besetzt werden, ist dies – jedenfalls vereinsrechtlich – kein „Beinbruch“. Solange ein vertretungsberechtigter Vorstand existiert und ins Vereinsregister eingetragen ist, ist der Verein als juristische Person des Privatrechts handlungsfähig.
Fokus auf die Jugendarbeit
Die Kinder und Jugendlichen werden teilweise zu wenig in den Blick des Vereins genommen; sie könnten durch geeignete Maßnahmen (Beitragsfreiheit, kreative Angebote und Aktivitäten) in deutlich größerem Maße für den Verein gewonnen werden als bisher.
Die Inanspruchnahme der Fort- und Weiterbildungsangebote des SCV und der Chorakademie kann viel an Unsicherheit entfallen lassen und Anlass geben, Änderungen in der Vorstandsarbeit vorzunehmen. So muss nicht stets der gesamte Vorstand über die Frage der Erfordernisse der Datenschutz-Grundverordnung beratschlagen; es genügt ein Vorstandsmitglied, welches sich speziell mit diesen Themen befasst (und weiterbilden lässt).
Aus Unsicherheit wird häufig mehr als erforderlich von Vereinsmitgliedern eine Einwilligungserklärung zu Art. 6 DS-GVO verlangt, obwohl in vielen Fällen eine solche Einwilligung gar nicht erforderlich ist, da der Verein personenbezogene Daten zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen den Mitgliedern gegenüber oder zur Wahrnehmung seiner Vereinsaufgaben verarbeitet und auch ohne Einwilligung verarbeiten darf. Apropos Satzung: Im Rahmen meiner Beratungstätigkeit erhalte ich Kenntnis von vielen Vereinssatzungen, die – historisch gewachsen – unnötig kompliziert und „überfrachtet“ sind und das Vereinsleben in ihrer Handhabung belasten. Unerfreulichstes Beispiel hierzu: Für bestimmte Entscheidungen des Vereins (Auflösung, Satzungsänderung o. ä.) ist erforderlich, dass alle oder ein hoher Quotient der Vereinsmitglieder bei der beschließenden Versammlung anwesend sein müssen. Solche Bestimmungen belasten die flexible Vereinsarbeit oder machen sie manchmal unmöglich.
Die Satzung kann und sollte deutlich schlanker werden – in vielen Fällen. Ein Blick in den Anhang zu § 60 der Abgabenordnung zeigt, wie wenig – auch unter dem Gesichtspunkt der Gemeinnützigkeit – an Satzungsbestimmungen erforderlich ist. Alles Weitere kann in einer Geschäftsordnung geregelt werden, die nicht das etwas schwerfällige Verfahren der Anmeldung jeder Änderung der Satzung beispielsweise zum Vereinsregister erforderlich macht. Die Geschäftsordnung wird nicht vom Vereinsregister geprüft und kann durch einfachen Beschluss des Vorstandes oder der Mitgliederversammlung (je nach Zuständigkeit gemäß Satzung) geändert werden.
Der SCV stellt seinen Mitgliedern auf seiner Homepage sowohl eine Mustersatzung als auch eine Mustergeschäftsordnung zur Verfügung.
Geschäftsverteilungsplan:
Auch wenn immer wieder darauf hingewiesen wird: In vielen Vereinen hat sich die Etablierung eines Geschäftsverteilungsplans für den Vorstand noch nicht durchgesetzt. In diesem wird geregelt, welches Vorstandsmitglied für welche Aufgaben verantwortlich ist. So ist es nicht erforderlich, dass alle Vorstandsmitglieder über das Thema „GEMA und Urheberrecht“ Bescheid wissen oder – wie gesagt – über das Thema „Datenschutz“. Auch die Veranstaltungsplanung kann bei einem Vorstandsmitglied konzentriert werden, welches sich auch in besonderer Weise mit den zu beachtenden Vorschriften befasst.
Außerdem ergibt sich durch einen durchdachten und auch praktizierten Geschäftsverteilungsplan eine Haftungserleichterung für die Vorstandsmitglieder, insbesondere dann, wenn die einzelnen Vorstandsmitglieder regelmäßig über ihre Tätigkeit im Vorstand berichten. Die Verantwortung jedes Vorstandsmitglieds für seine Weiterbildung sollte Allgemeingut in der Vorstandsarbeit werden, ebenso wie die Weiterqualifizierung des Chorleiters durch den Besuch entsprechender Fortbildungsveranstaltungen.
Die Sorgen um Meldepflichten gegenüber der Künstlersozialversicherung können als Entlastung der Vereinsarbeit wegfallen, wenn der Verein nicht mehr als drei Veranstaltungen pro Kalenderjahr mit bezahlten Künstlern durchführt.
Die Schlanke Satzung
Oft sind die Satzungen so überfrachtet und verkrustet, dass es sich empfiehlt, über eine Satzungsneufassung nachzudenken. Es ist schon deshalb sinnvoll, weil bei jeder Satzungsänderung das Vereinsregister und das Finanzamt prüfen, ob die Satzung jetzt den aktuellen Anforderungen noch ent-
spricht, auch über die konkret geplante Satzungsänderung hinaus. Bis dahin bleibt die Satzung unbeanstandet, weil sie Bestandsschutz genießt.
Schließlich: Viele bürokratische Neuerungen verwirren und belasten die Vorstandsarbeit zusätzlich. Beispiele dafür sind das – in der Sache sicher unbedingt erforderliche! – Kinderschutzgesetz mit der Erfordernis einer Vereinbarung mit der zuständigen Behörde und der Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses durch bestimmte Verantwortliche für die Jugendarbeit im Verein. Auch das Transparenzregister hat die Vereine mit Mehraufwand belastet, obwohl das Gesetz gar nicht für Vereine geschrieben wurde. Sie gelten aber ebenso als „Unternehmen“ wie große Hedgefonds und Aktiengesellschaften; auch hier ist der Gesetzeszweck berechtigt, nämlich die Vermeidung oder Eindämmung von Geldwäsche, die im Verein in aller Regel nicht vorkommt.
Datenschutz und weitere Herausforderungen
Auch die Datenschutz-Grundverordnung wurde nicht für Vereine geschrieben. Die Praxis der Bußgeldverhängung zeigt im Übrigen auch, dass es die großen Unternehmen sind, die die sozialen Medien betreiben, und deren Kontrolle durch datenschutzrechtliche Bestimmungen sicher erforderlich ist und einem gesellschaftlichen Bedürfnis entspricht.
Steuerliche Fragen schließlich belasten viele Vereine ebenfalls. Und nicht alle Vereine haben in ihren Reihen einen kundigen und wohlmeinenden Steuerberater, der ihnen die Angst vor der persönlichen Steuerhaftung nimmt. Wenn ein Verein also keinen Steuerberater hat oder meint, ihn sich nicht leisten zu können, sollte jedenfalls eine kundige Person das Amt des Kassiers oder Schatzmeisters innehaben und das Prinzip beherzigen, einen guten und transparenten Kontakt zur Finanzverwaltung zu praktizieren.
Schließlich: Wenn es nicht mehr anders geht und „das Kind im Brunnen liegt“: Bevor man an den Antrag auf Ruhen der Mitgliedschaft im SCV oder gar an die Auflösung des Vereins denkt, sollte man als Verein überlegen, ob nicht eine Fusion mit einem anderen oder anderen Vereinen vorzuziehen ist, wobei als bürokratisch einfachere Möglichkeit die bloße Kooperation mit anderen Vereinen in Betracht kommt (durch einen Kooperationsvertrag); dies hat den Vorteil, dass die kooperierenden Vereine ihre Identität behalten, was allgemein als wünschenswert und notwendig angesehen wird, zumal in der Zeit der großen und runden Jubiläen, die zur Zeit häufig stattfinden.
Es sollte möglich sein, auch mit Hilfe dieser Hinweise die Arbeit in Chor und Verein, insbesondere im Vorstand, zu erleichtern und – das ist das Thema – zu „entbürokratisieren“. Wenn im Verein die bestehenden bürokratischen Hemmnisse abgebaut werden und wenn der Gesetzgeber sich endlich bewusst wird, was zu einer wirklichen Entlastung der Vereine von bürokratischer Überfrachtung erforderlich ist, stünde eigentlich einem optimistischen und offensiven Vereinsleben nichts mehr im Wege.