Besondere Konzertformate von Vereinen aus dem SCV
Auch die Chöre im SCV sind kreativ und versuchen, durch verschiedene Impulse Menschen für das Singen zu begeistern. Die SINGEN hat vier Ideen herausgegriffen und stellt sie anhand einer beispielhaften Umsetzung eines SCV-Mitgliedschores vor.
Mottokonzerte
Die 1990er-Jahre hatten viel zu bieten als Jahrzehnt: musikalisch, modisch und gesellschaftlich. Musikalisch waren da die Loveparade mit Techno und Rave, der Hard-Rock der Guns N’Roses, die Spice Girls, die Backstreet Boys, der Punk und und und. In Deutschland dominierten die Charts „Verdammt, ich lieb‘ Dich“ von Matthias Reim, Céline Dion mit „My heart will go on“ und „Time to say goodbye“ von Sarah Brightman und Andrea Bocelli.
Vielfältiges Programm
Unter anderem diese Stimmung wurde Ende April mit „A Tribute to the 90s“ vom Liederkranz Mögglingen neu aufgegriffen. Mit seinen knapp 60 Sängerinnen und Sängern aus verschiedenen Chören hatte der Liederkranz schon einmal ein ähnliches Programm zu den 80ern sowie ein selbst geschriebenes Queen-Musical aufgeführt. Zusätzlich waren bereits drei Mal der Moderator Jochen Stöckle von SWR1 sowie weitere Mitglieder von „Pop und Poesie“ dabei. Der musikalische Leiter des Liederkranzes Mögglingen, Patrick Schwefel, sagt dazu: „Für einen musikalischen Abend ist so eine Bandbreite an Musik extrem spannend, weil wir sehr viel Unterschiedliches abdecken können.“ Somit muss man sich nicht auf einen Stil festlegen und kann viele verschiedene Interessen einfangen. Wichtig sei an einem solchen Abend der „rote Faden“, aber mit Abwechslung.
„Zugpferd“ für neue Mitglieder
Die Vorbereitungszeit für solch ein großes Konzert liege von den ersten Songideen bis zum eigentlichen Konzert bei etwa eineinhalb Jahren. Die Reaktionen aus dem Chor seien dabei durchweg positiv gewesen, wie Schwefel sagt. Ein solches Projekt sei zudem ein echtes „Zugpferd“ für die Mitgliedergewinnung. Zwar habe man eine ordentliche „Delle“ durch die Corona-Pandemie gespürt, aber dieses Projekt habe viele wieder zusammengebracht. „Eher etwas Großes zu organisieren – und das dann ‚g’scheit‘ – als viele kleinere Konzerte übers Jahr verteilt, funktioniert schon seit Jahren ganz gut. Auch etwas Unkonventionelles probiere ich gerne mal aus“, berichtet Schwefel.
Viele Sänger:innen querbeet
Der Liederkranz besteht allerdings nicht nur aus einem einzigen Chor. Mit integriert sind weitere Chöre wie ein Kinderchor, die „Kids Voices“, und die „Teen Voices“, Jugendliche ab Klasse 5. Außerdem gibt es die „Good Voices“ mit allen Interessierten ab 16 Jahren, die Rock und Pop singen, sowie die „Golden Voices“, die überwiegend deutschsprachige Lieder und Schlager im Programm haben. Finalisiert werden die Chöre durch das Ensemble „Romantic in Concert“, wo auch die beiden Chorleiter Patrick Schwefel und Rolf-Peter Barth spielen und singen.
Neue Innovationen für das Publikum
Wichtig sei es bei einem solchen Konzert, so die Vereinsvorsitzende Sabine Kuhn, „dass alle Ausschussmitglieder und Sängerinnen und Sänger sowie Dirigent an einem Strang ziehen und jeder sein Bestes gibt, um ein tolles Konzert zu erleben.“ Der Chor versuche zudem, sich bei den Aufführungsorten immer Neues für das Publikum einfallen zu lassen. Dieses Jahr sei es eine Cocktailmaschine als Zusatz bei der Bewirtung.
SINGEN-Fazit:
Ein großes Konzert im Jahr kann weniger stressig sein, muss aber nicht zwingend im Interesse des Chores liegen. Darüber hinaus kosten Profis Geld, die durch entsprechend hohe Eintrittsgelder oder per Fundraising generiert werden müssen.
Neue Konzertorte
Ein Konzert in einer Gaststätte oder Bar? Ungewöhnlich, aber wieso eigentlich nicht? Das dachte sich der Chor „Ohrwurm“ des Liederkranzes Wiernsheim, der ebenfalls das Motto „80er-Jahre“ wählte. In diesem Fall wurde eine Band engagiert, die sich hauptsächlich mit jener Musik befasste. Neu war in diesem Zusammenhang vor allem der Konzertort.
Kooperationen
Das Repertoire des Chores gehe aber weit über die 80er hinaus, so der Chorleiter Thomas Ungerer. Der Chor, der aus 24 Sänger:innen zwischen 40 und 70 Jahren bestehe, sei zwar viel im Rock/Pop unterwegs, aber auch klassische A-cappella-Werke würden aufgeführt. Zudem habe es bereits eine Kooperation mit einem kleinen Sinfonieorchester, dem Kirchenchor aus Ditzingen oder der Musikschul-BigBand gegeben. „Unsere Konzerte folgen immer einem Motto. Manche passen besser in eine Kirche, andere in eine Halle“, so Ungerer. Bei den Mottokonzerten werde der Chor immer aktiv miteinbezogen, dabei sei auch das positive Verhältnis und Vertrauen zwischen Chor und Dirigent hervorzuheben.
Idee aus dem Chor
Das Motto der 80er sei eine Idee aus dem Chor gewesen. Nach zwei ruhigeren Konzerten sollte es jetzt mehr „Party“ sein, bei dem die Chormitglieder explizit aufgefordert wurden, Stücke auszusuchen. Unterstützt wurde der Chor musikalisch von der Band „MiReNa“ und dem Jugendchor „Chor & the Gang“. Inhaltlich stützten zwei Moderatoren die Musik, die als Zeitzeugen auftraten und ihre jeweilige Sicht auf die 80er erzählten, was von einer Powerpoint-Präsentation visuell unterstrichen wurde.
Neuer Ort – mehr Erfolg?
Eine Gaststätte bietet die Möglichkeit die alten Konzertorte, die vielleicht nicht immer für alle ansprechend sind, zu verlassen und eine neue Klientel anzusprechen. Menschen, die bisher nicht aktiv zu einem Chorkonzert gingen, können nun erleben, wie es sich in einer gemütlichen und geselligen Umgebung anfühlt. Außerdem lässt sich das Programm auch auf eine neue Klientel zuschneiden, insbesondere mit Hits der 80er und 90er. Das Konzert in der Gaststätte sei beim Publikum sehr gut angekommen. Alle Beteiligten von Chor und Publikum hätten „einen Riesenspaß“ gehabt und es werde definitiv wiederholt, so Ungerer. Dank seiner vielfältigen Social-Media-Aktivität, darunter der „Kaffeemühlen-Rap“ auf YouTube und dem regulären Instagram-Kanal, konnte der Chor in den letzten Jahren in Kombination mit seinen Konzerten zudem einige neue Mitglieder gewinnen.
SINGEN-Fazit:
Kooperationen, große wie kleine – egal ob Band, Jugendchor oder Streichquartett – sorgen für mehr Stimmung, in der Regel für größere Begeisterung beim Publikum und mehr Reichweite. Neue Konzertorte können dazu dienen eine neue Klientel gezielt anzusprechen und den eigenen Kreis an Fans und/oder Mitgliedern zu erweitern.
Öffentliche Mitsingkonzerte
Mitsingkonzerte gibt es in vielerlei Formaten. Dass der heimische Verein im ländlichen Raum in den meisten Fällen kein Geld für ein großes Orchester, wie es beispielsweise bei Mendelssohns „Elias“ erforderlich ist, zur Verfügung hat, ist naheliegend. Allerdings geht es auch wesentlich einfacher:
„Remseck singt“
Unter diesem Motto lud der Liederkranz Neckargröningen in den letzten Jahren alle Interessierten zum gemeinsamen Singen ein. Ein Projekt mit diesem Konzept findet vier bis fünf Mal im Jahr statt und ist für jede:n offen. Der Eintritt ist frei, um Spen-
den wird gebeten. Inzwischen kommen zu „Remseck singt“ regelmäßig zwischen 200 und 300 Personen. Der Chorleiter, Klaus „Eddy“ Ackermann, begleitet die Stücke am Klavier. (Ausgeschriebene) Noten gebe es nicht, der Text werde via Beamer an eine Wand projiziert. Die Veranstaltung findet immer drinnen statt. Das sei für den Prozess mit dem Beamer am einfachsten und man sei bei schlechtem Wetter gewappnet, erläutert Ackermann, das Publikum positioniere sich an Stehtischen. Für ältere Menschen gebe es zudem entsprechende Sitzgelegenheiten.
Evergreens, Charts und Schlager
Bei der Programmplanung bereite er die Stücke meist in transponierter Form vor, sodass sowohl Männer als auch Frauen in einer angenehmen Tonlage mitsingen könnten, erzählt Ackermann. Wichtig sei außerdem, die Hauptbestandteile, wie bekannte Riffs bzw. Patterns oder Übergänge, bestmöglich am Klavier umzusetzen, damit die Stücke gut erkannt würden und zum Mitsingen animierten. Er suche dabei Lieder aus, die „die meisten Leute kennen“. Heißt: „Eine gute Mischung aus Evergreens (wie Beatles, Queen, 80er, 90er etc.), aktuellere Lieder aus den Charts (der letzten 20 Jahre wie Pink, Ed Sheeran, Coldplay etc.) und deutsche Lieder (Schlager, Die Ärzte, Toten Hosen, etc.).“ Wichtig sei bei der Umsetzung, dass von Anfang an der Spaß vermittelt werde, insbesondere durch ihn, betont Ackermann. „Fehler“ könne es nicht geben, da es um „Spaß, Energie und eine gute gemeinsame Zeit“ gehe. Sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, sei obendrein bedeutend.
Auch für Fortgeschrittene
Liedvorschläge für das nächste Treffen sind dabei ausdrücklich erwünscht. Er versuche auch kleine Choreographien beim Mitsingkonzert. Für erfahrenere Chorsänger:innen (bzw. alle, die möchten) habe er zudem öfter Überstimmen parat. „Dann üben wir das kurz ein und bauen es mit der eigentlichen Melodie zusammen. So entsteht das Gefühl eines großen Chores, Erfahrene werden dadurch auch abgeholt und der Song wird noch voluminöser“, erklärt der Chorleiter.
Seiner Erfahrung nach könne jeder Mensch lernen zu singen. Es brauche oftmals nur eine „motivierende Anleitung“. „Und wenn mal ein falscher Ton dabei ist, wird davon auch kein Weltuntergang herbeigeführt“, findet Klaus Ackermann und berichtet stolz, dass durch das Mitsingkonzert einige Sänger:innen sowie neue Fans gewonnen wurden, die dann teilweise sogar Chormitglied wurden.
SINGEN-Fazit:
Mitsing- oder Mitmachkonzerte können eine tolle Möglichkeit sein, um Groß und Klein durchaus niederschwellig zum Singen zu animieren und dadurch ggf. einen Zuwachs zum heimischen Chor zu erhalten.
Chorwerkstatt und Werkstattkonzerte
Direkt nach dem Probenwochenende ein Konzert? Für manche (Projekt-)Chöre ist das ganz normal. Auch BigBands oder Orchester nutzen sogenannte Werkstattkonzerte. Ein Beispiel: Der Junge Kammerchor Ostwürttemberg (JKO), ein Projektchor, der zweimal pro Jahr eine Probenwoche mit anschließenden drei Konzerten gestaltet, hat sich bereits zweimal bei einem Werkstattkonzert bewiesen. Das sieht dann so aus: Der Chor gibt am Ende der Probenwoche in der Musikakademie ein Konzert, bei dem die Zuhörer:innen einen Einblick in das aktuelle Programm erhalten können. Die eigentlichen Konzerte finden erst eine Woche später statt.
Was gilt es zu beachten?
Aus Chorleitungsperspektive lässt sich sagen, dass hier nicht nur Stücke genutzt werden sollten, die schon gut funktionieren. So kann sich der Chor nahbarer präsentieren und dem Publikum auch Besonderheiten vor dem Stück ankündigen. Auch gilt es, die Stimmgesundheit des Chores miteinzuberechnen. Wer nach einer anstrengenden Probe manchmal abgesungen ist, kann sich ungefähr vorstellen, wie es den Sängerinnen und Sängern nach einer Woche geht. Tonale Extremlagen sind in diesem „Zustand“ von Seiten des Chores nicht gerne gesehen. Eine Probenwoche ist natürlich nur ein Ausnahmefall, ähnliche Risiken können aber auch für ein anstrengendes Probenwochenende gelten.
Kein Konzert, sondern „öffentliche Generalprobe“
Für Maddalena Ernst, eine von zwei Chorleiter:innen des JKO, stellt das Werkstattkonzert eine Art „öffentliche Generalprobe“ dar. Diese zeichne sich jedoch durch eine weitere „eigene Ebene“ aus. Man probe zwar nicht mehr, habe aber dennoch als Überschrift eine Art „work in progress“, wie sie sagt. Dieser sei auch entscheidend für die Programmauswahl. Man dürfe nicht die reine Konzertebene als Anspruch haben. Der Unterschied zu anderen Konzerten sei insbesondere, dass die Rückmeldung des Publikums etwas näher und nahbarer sei und gleichzeitig das Publikum einen ganz eigenen Einblick in die Probenarbeit erhalte. Das Publikum bekomme keine „fertigen Tonträger“, so Ernst.
Chorwerkstatt als Übung
Sehr ähnlich verhält es sich bei der „Chorwerkstatt“ des Jungen Kammerchors Böblingen. Dessen ursprüngliche Idee war, vor einem ausgewählten Publikum neu einstudierte Literatur live in Konzertatmosphäre „auszuprobieren“ und Routine zu bekommen. Dies führte laut Chorleiter Clemens König dazu, dass auch immer wieder solistisch gesungen wurde und die Chormitglieder die Bühnenerfahrung nutzen konnten, um für „Jugend musiziert“ gewappnet zu sein. Als Chorleiter könne er bei der Chorwerkstatt zum einen testen, ob die Stücke beim Publikum gut ankommen, zum anderen, ob genügend Abwechslung in der Programmplanung zu hören ist, insbesondere was Tempi und Dynamik angeht. In dieser lockeren und „besonderen Atmosphäre“, wie König es nennt, könne zudem der Förderverein auf seine Arbeit hinweisen und auf sich aufmerksam machen. Dies habe bereits öfter dazu geführt, dass neue Mitglieder gewonnen werden konnten.
SINGEN-Fazit:
Egal ob Jugendchor oder Seniorenchor – eine Chorwerkstatt bzw. ein Werkstattkonzert können eine gute Möglichkeit sein, in einer entspannten Atmosphäre Ungewohntes auszuprobieren, dem Publikum neue Stücke zu präsentieren und den Chor nahbarer zu machen.