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SINGEN 2023-11, Thema

„Der Königsweg ist eine Mischung“

Sandra Bildmann
1. November 2023
Foto: unsplash

Vokalpädagogin Annette Mangold über chorische und solistische Stimmbildung in Vokalensembles

 

Stimmbildung – also das Kennenlernen der eigenen Stimme und der bewusste Umgang mit ihr unter professioneller Anleitung – ist die Basis für langfristig gesundes Singen. Oftmals irrtümlich mit Gesangsunterricht gleichgesetzt, ist Stimmbildung also nicht nur für Profisänger:innen zentral, sondern auch für Amateure. Dennoch bietet nicht jedes Ensemble seinen Mitgliedern begleitend zur Chorprobe Stimmbildung an. Die SINGEN hat die Vokalpädagogin Annette Mangold nach ihrer Einschätzung gefragt: welchen Mehrwert Stimmbildung bringt, welche möglichen Modelle ein Chor ausprobieren kann und worauf man bei der Einführung eines Stimmbildungsangebots achten sollte.

 

Der Liederkranz Beispieldorf hat sich kürzlich dazu entschieden, zukünftig während der Chorprobe Stimmbildung durch eine:n professionell ausgebildete:n Stimmbildner:in anzubieten. Was sagen Sie dazu? 

 

Eine ganz hervorragende Idee. Am Ende werden alle davon profitieren. Das ist nicht nur für professionelle Vokalensembles hilfreich und notwendig, sondern für jeden Chor, das hilft immer! 

 

In welchen Aspekten ist es besonders zielführend? 

 

Es geht darum, dass jede:r Chorsängerin lernt, gut mit seiner Stimme umzugehen. So wie jedes andere Musikinstrument, ist auch die Singstimme ein Instrument, das geübt werden will. Wenn ich anfange zu singen und die an der Stimmgebung beteiligten Systeme nicht in ein gutes Zusammenspiel bringe, kann das zu Schwierigkeiten führen. Eine systematische Herangehensweise ist ein Wohlfühlprogramm für die individuelle Stimme. 

 

Ohne Angst machen zu wollen: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Risiken, wenn man auf Stimmbildung verzichtet? 

 

Wenn ich die Atmung, Stimmgebung, Artikulation und Resonanzräume nicht in ein gutes Zusammenspiel bringe, mache ich mir das Singen sehr schwer. Dadurch habe ich unter Umständen nicht nur halb so viel Spaß dabei, sondern es kann anstrengend werden, die Stimme kann ermüden und es kann sein, dass man nach einer Probe heiser ist und seine Möglichkeiten nicht voll ausschöpft. Die Freude und der Spaß beim Singen sind am größten, wenn ich es richtig mache. 

 

Singen wird oft mit Sport verglichen. Auch ein:e Sportler:in muss trainieren, kann aber die Leistungsfähigkeit mit 25 Jahren selten noch im Alter von 75 abrufen. Welchen Anteil hat Stimmbildung auf dem Weg, die Leistungsfähigkeit möglichst lange hochzuhalten? 

 

Einen extrem hohen. Auch beim Sport ist es so, dass man nie nur spezifische Übungen für eine Sportart macht. Beim Fußball zum Beispiel wird nicht nur schnelles Rennen trainiert, sondern auch Kraft und Ausdauer. Das ist beim Singen das gleiche. Da ist es zum Beispiel wichtig, dass man über eine gute Atemfunktion und Körperspannung verfügt. So kann man seine Stimme ganz anders zum Klingen bringen und fit halten. 

 

Wie wichtig ist das Bewusstsein, dass es sich um ein Körperorgan handelt, das man – wenn es kaputt ist – nicht einfach nachkaufen kann und das mit der körperlichen Gesamtkonstitution wächst und auch an Fähigkeiten einbüßt? 

 

Vielen ist tatsächlich nicht so bewusst, dass die Stimme ein körpereigenes Instrument ist. Wenn ich sie zum Klingen bringe, hat das ganz viel mit mir selbst zu tun. Dabei führen oft verschiedene Faktoren zu Hemmungen, Abwehrreaktionen oder Skepsis, gerade wenn die Leute nicht wissen, was sie mit Stimmbildung erwartet.  Viele Menschen befürchten eine Beurteilung ihrer Stimme und das führt gerade bei Amateurchören häufig zu großer Unsicherheit und Angst. Wichtig ist, dass man in ein Ausprobieren und in einen ausgewogenen Entspannungszustand kommt. Zum Beispiel: Was passiert, wenn ich die Bauchdecke loslasse und in den Bauch atme? Beim Ausprobieren merken viele ‚Oh, das geht ja doch ganz leicht! Ich kann ja locker in die Höhe singen! Aber eben nur, wenn ich keine zu hohe Anspannung habe.‘ 

 

Ausprobieren kann natürlich auch in die falsche Richtung führen. Trotz Heiserkeit am Ende startet ja die nächste Chorprobe stimmlich wieder bei Null. Besteht die Gefahr einer Sorglosigkeit? 

 

Eigentlich sollte genau das nicht passieren. Nach der Stimmbildung ist es eher so, dass die Menschen feststellen: ‚Ich habe etwas ausprobiert und es geht viel leichter, ich konnte viel länger durchhalten und bin nicht heiser.‘ Wenn wir nach der Chorprobe merken, dass wir beansprucht und belastet gewesen sind, dann ist es wichtig, dass ich meiner Stimme etwas Gutes tue. Denn Gesang ist das komplizierteste Muskelzusammenspiel, über das wir im Körper verfügen und damit mit dem Hochleistungssport absolut vergleichbar. Dabei ist es wichtig, dass ich meiner Stimme nicht nur vor der Belastung etwas Gutes tue – wie zum Einsingen oder Warmmachen –, sondern auch danach. Ich kann über feine Stimmgebungsübungen wie Glissandi und Summen die beanspruchte Muskulatur wieder in einen Normalzustand bringen. 

 

Viele sitzen nach der Chorprobe verständlicherweise gemütlich zusammen und trinken ein Bier oder einen Wein. Wäre es dann klüger, einen Tee zu trinken? 

 

Da wage ich kein Urteil. Die Flüssigkeiten kommen nicht an den Stimmbändern vorbei. Aber auch oberhalb des Kehlkopfbereichs befindet sich Schleimhaut, die Auswirkungen auf das Stimmbandniveau hat. Natürlich hat alles, was wir zu uns nehmen, einen Einfluss. Nach dem Singen macht das in so geringen Mengen jedoch nicht wirklich etwas aus. Vor der Probe oder dem Auftritt spielt es eine viel größere Rolle: Milchprodukte zum Beispiel regen die Schleimproduktion an und sind eher nicht zu empfehlen. 

 

Das Bewusstsein eines ökonomischen, ressourcenschonenden und nachhaltigen Einsatzes der Stimme ist also elementar, wenn man möglichst lange gesund singen möchte… 

 

Ganz genau. Deswegen spreche ich gerne von ‚Stimm-Bildung‘. Wenn ich weiß, was auf welches System wie wirkt und wenn ich weiß, mit welcher Übung ich was wie erreiche, bin ich dem nicht mehr so ausgeliefert. Wenn ich die Zusammenhänge kenne, kann ich ganz anders reagieren. 

 

Gibt es Tipps und Tricks, wie man mit einfachen Mitteln zur Stimmgesundheit beitragen kann? 

 

Das ist schwierig. Denn was dem einen hilft, ist für den anderen vielleicht gar nicht so wichtig. Für die Soprane zum Beispiel ist wichtig zu wissen, dass ab einer bestimmten Höhe keine klare Vokalunterscheidung mehr möglich ist. Es kann also helfen, den Sopranen zu sagen, dass sie sich auf einem schönen Schwa-Laut lieber der sauberen Intonation widmen und die Artikulation dem Alt und Bass überlassen sollen. Allgemein wichtig ist auch das Bewusstsein darüber, wann wir unsere Stimme entlasten können – zum Beispiel in Form eines HöflichkeitsGähnens und Rachen-Weitens wenn ich ein paar Takte Pause habe. 

 

Sie sprechen die unterschiedlichen Bedürfnisse der Stimmgruppen an. Inwieweit ist denn Stimmbildung in Chören für den gesamten Chor, Registergruppen oder Einzelpersonen sinnvoll? 

 

Eine chorische Stimmbildung dient dazu, alle an der Stimmbildung beteiligten Parameter warmzumachen, in Einklang zu bringen: Atmung, Haltung, Tonus und Artikulation. Die Übungen müssen so gestaltet sein, dass für alle etwas dabei ist, egal, was sie an jenem Tag zuvor erlebt haben. Wer den ganzen Tag körperlich gearbeitet hat, hat komplett andere Voraussetzungen wie jemand, der vor dem Computer saß. Wer viel gesprochen hat, hat andere Voraussetzungen als jemand, der nur lesend und schreibend tätig war. Bei einer chorischen Stimmbildung kann ich nur einen Mittelweg finden. Wenn ich hingegen Einzelstimmbildung anbiete, kann ich individuell auf die Personen eingehen. Mit einer Register- oder Stimmgruppe können spezifische Schwierigkeiten der gesungenen Literatur überwunden werden. 

 

In der Regel finden Einzel-Stimmbildungseinheiten während der Chorproben statt, so dass aber nur etwa fünf Personen für jeweils circa 15 Minuten zum Zug kommen. Wie sinnvoll ist dieses Modell? 

 

Der Königsweg ist eine Mischung aus beidem. Meine Erfahrung ist, dass sich viele Leute zunächst nicht in die Einzelstimmbildung trauen, danach aber doch sagen: ‚Das hat mir ganz viel gebracht. Könnte ich nächste Woche nicht nochmal kommen?‘ Man kann mit den individuellen Stimmbildungstipps viel mehr anfangen, weil man weiß, worauf man bei sich selbst achtet. Das können kleine Sachen an der Haltung, Körperspannung oder Atmung sein. In einer Viertelstunde kann jemand fundiert Ausgebildetes mit Erfahrung enorm viel bewegen. 

 

Nun könnte ein Chorvorstand argumentieren: Wir leisten uns Stimmbildung – aber im Plenum! Wir bezahlen doch nicht unseren Sänger:innen den Gesangsunterricht… 

 

Könnte man sagen. Auf der anderen Seite ist der Verein froh und stolz, wenn er ein tolles Konzert auf die Beine gestellt hat und das ist immer eine Gemeinschaftsleistung. Die positiven Wirkungen von Singen sind mittlerweile hinreichend bekannt. Es gibt genug Untersuchungen, die belegen, dass sich der Herzschlag der Chorsänger synchronisiert, die Immunglobuline zunehmen und die Abwehrkräfte vor und nach dem Chorsingen deutlich andere sind. Ein Chor gewinnt an Attraktivität, wenn man den Chorsänger:innen Einzelstimmbildung anbieten kann. Wenn sich – gerade jüngere Leute – überlegen, ob sie in Chor A oder in Chor B gehen, dann spielt es unter Umständen eine Rolle, wenn ich weiß: ‚Dort wird nicht nur erwartet, dass ich beim Sommerfest einen Kuchen backe und Würstchen verkaufe, sondern habe persönlich einen Mehrwert.‘ Dann ist das eine gute Investition. Und: Wenn ich in einem Sportverein bin, ist es auch selbstverständlich, dass ich einen Jahresbeitrag zahle. Wenn mir der Chor Stimmbildung ermöglicht und ich merke, dass mir das guttut, dann sind auch viele bereit, einen Teil davon selbst zu übernehmen. 

 

Nun denkt ein Chorvorstand über professionelle Stimmbildung nach, hadert aber vielleicht noch aufgrund der Unsicherheit, ob das Angebot seitens der Mitglieder gut angenommen wird und sich auszahlt. Ein Fall für eine Schnupperprobe? 

 

Da wäre die Möglichkeit, an einer örtlichen Musikschule nachzufragen. Dann haben wir gleich Synergien und eine Vernetzung und kriegen vielleicht langfristig auch dortige Gesangsschüler als Nachwuchs für den Chor. Eine gute Möglichkeit ist beispielsweise, dies im Rahmen einer Wochenendprobe oder eines Chorwochenendes auszuprobieren. 

 

Sprich: Ein Chor nutzt die längeren Probenzeiten, um eine:n Pädagog:in kennenzulernen und herauszufinden, ob man zusammenpasst? 

 

Genau. Die Entscheidung würde ich aber erst treffen, wenn die Person schonmal die Chorprobe besucht und das Einsingen gemacht hat. Wenn man sich noch gar nicht kennt, kann das sonst schwierig sein. Denn, was man ansprechen muss: Auf dem Markt tummeln sich auch Leute, die sich nach einem Wochenendkurs als Vocal Coach fühlen, deren Arbeit aber defizitär ist. Hier sollte man mit Sorgfalt vorgehen. 

 

Muss man nicht auch unterschieden, um was für einen Chor es geht? Habe ich den Gesangverein Beispieldorf mit einem Durchschnittsalter von 60 oder einen Pop-Chor mit Sänger:innen zwischen 18 und 45? 

 

Natürlich. Das ist ein riesiger Unterschied. Beim Pop-Chor geht es auch stark um die Verbindung von Bewegung und Stimmführung, rhythmische Akzente durch Bewegungsimpulse. Ein Jugendchor braucht eine vollkommen andere Stimmbildung als ein Seniorenchor. Fremdsprachige Lieder erfordern eine ganz andere Diktion und somit eine andere Vorbereitung auf die Artikulation. Ein Kammerchor hat stimmlich vollkommen andere Anforderungen als ein großer Chor mit 30 Personen pro Stimme. Man muss immer individuell schauen, worauf es einem ankommt. 

 

Was halten Sie denn aus fachlicher Sicht von der Überlegung, einmalig für ein Projekt eine ausgebildete Stimmpädagog:in dazuzuholen mit dem Gedanken: ‚Jetzt bekommt jede:r ein bisschen Unterricht und dann passt das wieder‘? 

 

Das kann durchaus beim ein oder anderen einen gewissen nachhaltigen Effekt haben, muss aber nicht. Das ist ein bisschen vergleichbar mit dem Instrumentalspiel. Das wäre so als sage ich: ‚Du bekommt jetzt drei Geigenstunden und dann musst du Geige spielen können.‘ Da ist die Frage: Was ist mein Anspruch? 

 

Ein Chor sagt: ‚Wir wollen natürlich eine gute Qualität im Chor. Aber es ist unser Hobby und muss nicht perfekt sein… 

 

Es geht nicht darum, eine Perfektion zu erreichen. Aber über Stimmphysiologie sollte ich durchaus ein bisschen Bescheid wissen. Der Aspekt des Richtig- oder Falschmachens ist viel wichtiger. Wenn ich einen Chor zur Hochatmung anleite, hat das nichts mit Perfektion zu tun, sondern ist einfach falsch. 

 

Professionelle Stimmbildung kann also auch als Kompetenzerweiterung für den Chor gesehen werden, die den/die Chorleiter:in entlastet? 

 

Das ist ein wichtiger Aspekt, aber ich würde noch weitergehen: Es ist für den Chorleiter eine tolle Unterstützung, aber auch eine Fortbildung. Er wird nicht nur entlastet, sondern lernt, wie Stimmbildung wirken und was sie bewirken kann. Das spielt in der Chorleitungsausbildung zwar auch eine Rolle, aber der Chorleiter hat andere Kernaufgaben. So ist das einerseits eine Entlastung, aber andererseits eine ergänzende Unterstützung. 

 

Annette Mangold.

Foto: privat

Annette Mangold, wurde in Konstanz geboren und lebt in Stuttgart. Nach ihrer Ausbildung zur Logopädin an der Uni Tübingen und ihrem privatem Gesangsstudium arbeitete sie u.a. an der Uni-HNO-Klinik Tübingen und in der Schweiz. Sie ist freiberuflich als Logopädin, Vokalpädagogin, Dozentin, Sängerin, Stimmbildnerin, Stimmtherapeutin, und Musikpädagogin tätig und hat das Gesangspädagogischen Zertifikats des Bund Deutscher Gesangspädagogen (BDG).
Mangold ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Interview, Pädagogik, Singen, Stimmbildung
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