Der Gesamtvorstand muss deshalb unbedingt und eindeutig und schriftlich im Rahmen eines Geschäftsverteilungsplans die von jedem Vorstandsmitglied übernommenen Verpflichtungen regeln und stets, insbesondere nach Neuwahlen, aktualisieren. Das ist die erste Stufe der Enthaftung der durch den Geschäftsverteilungsplan nicht zuständigen Vorstandsmitglieder. Die zweite ist, dass die Vorstandsmitglieder, die nicht für die Erledigung von Steuer- und Finanzangelegenheiten zuständig sind, die Tätigkeit der anderen Vorstandsmitglieder, insbesondere des Finanzvorstandes (Schatzmeister:in, Kassier:in) überwachen, ebenso delegierte Aufgaben wie beispielsweise Buchführungs- und Buchhaltungstätigkeiten, die dem/der Kassier:in/Schatzmeister:in zugearbeitet werden. Findet diese Überwachung und Kontrolle nicht statt, bleibt es bei der persönlichen Mit- und Gesamthaftung der übrigen, vertretungsberechtigten Vorstandsmitglieder. Sie müssen spätestens eingreifen, wenn Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen erkennbar werden, wie Verfügungen, Mahnungen oder Vollstreckungsandrohungen. Dann muss der gesamte, vertretungsberechtigte Vorstand zur Haftungsvermeidung (im Sinne einer gesamtschuldnerischen Haftung!) Missstände unverzüglich aufspüren und zur Abhilfe sorgen.
Dies tut er/sie auch im eigenen Interesse, da bei der gesamtschuldnerischen Haftung das Finanzamt nicht verpflichtet ist, zunächst den Verein in Anspruch zu nehmen, erst dann die haftenden Vorstandsmitglieder; es/sie ist auch nicht daran gehindert, einzelne Vorstandsmitglieder oder alle in (anteilige) Haftung zu nehmen. Zunächst wird allerdings – wenn Steuern nicht bezahlt oder Erklärungen nicht abgegeben werden – ein Haftungsbescheid gegen den Verein erlassen werden. Das Finanzamt muss einen solchen Haftungsbescheid gegen Vorstandsmitglieder nicht erlassen und wird dies selbstverständlich dann nicht tun, wenn der Verein aufgrund des Haftungsbescheides seinen Steuerpflichten genügt. Ist allerdings der Verein zahlungsunfähig oder droht Zahlungsunfähigkeit, ist der Verein aufgelöst oder gar im Register gelöscht oder wurde über das Vermögen des Vereins das Insolvenzverfahren eröffnet, kann das Finanzamt die zum Zeitpunkt der Pflichtverletzungen tätigen Vorstandsmitglieder im oben genannten Sinne in Anspruch nehmen. Das gilt auch für den Fall, dass einem Verein die Gemeinnützigkeit entzogen wird. Wie bekannt, kann dies auch rückwirkend (bis zur Grenze der steuerrechtlichen Verjährung, also von vier Jahren) entzogen werden mit der Folge, dass in der gesamten Zeit der entzogenen Gemeinnützigkeit sämtliche Steuern nachträglich festgesetzt werden können. Ist der Verein in diesen Fällen nicht mehr leistungsfähig, haften die Verantwortlichen (s.o.) persönlich und gesamtschuldnerisch.
Nicht vertieft werden soll an dieser Stelle, dass die Pflichtverletzungen, die hier geschildert wurden, auch ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder der Steuerverkürzung (§ 371 AO) nach sich ziehen können.
Beihilfe zur Steuerhinterziehung
Gefälligkeits-Zuwendungsbestätigungen für Sachspenden oder tatsächlich nicht erbrachte Leistungen oder fehlerhafte sogenannte „Durchgangsspenden“, die nicht für den Verein bestimmt sind, sondern der Verein aufgefordert wird, diese direkt weiterzureichen, können unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe zur Steuerhinterziehung haftungsträchtig und im schlimmsten Fall strafbar sein.
Der verantwortliche Vorstand tut deshalb weder sich noch dem „Spender“ bzw. der „Spenderin“ einen Gefallen, wenn er solche Bestätigungen ausstellt. Wird dadurch die vom Spender/von der Spenderin zu bezahlende Steuer verkürzt, nützt es dem Vorstandsmitglied nichts, wenn die Finanzverwaltung vom „Spender“/von der „Spenderin“ die unrichtig festgesetzte Zuwendung kassiert und die Steuerentlastung zurückfordert.
Manche:r frisch gewählte Kassier:in/Schatzmeister:in findet bei seinem/ihrem Amtsantritt eine unordentliche und auch fehlerhafte Buchführung und Buchhaltung vor oder stellt gar Fehler seines/ihres Vorgängers/Vorgängerin fest, die als Pflichtverletzung im Sinne von § 34 AO gewertet werden müssen. Der/die „Neue“ kann sich selbst in Haftung bringen, wenn er/sie Fehler seines/seiner Vorgängers/Vorgängerin deckt, nicht meldet oder nicht durch unverzügliche Kontaktaufnahme mit dem Finanzamt beseitigt.
Es ist wiederholt vorgekommen, dass ein:e Kassier:in/Schatzmeister:in gebeten wurde, steuerrechtliche Pflichtverletzungen zu begehen. Er/Sie sollte sich unbedingt nicht darauf einlassen und notfalls das Vorstandsamt zur Verfügung stellen und darf sich auch nicht auf eine etwaige Entlastung durch die Mitgliederversammlung berufen; diese entlastet ihn/sie in steuerrechtlichen Angelegenheiten eben gerade nicht.
VI.
Ein „Gruselkabinett“? Ja und nein. Die Finanzbehörden sind durch die Rechtsprechung und das Bundesfinanzministerium gehalten, die Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen durch die Vereinszuständigen streng zu kontrollieren und Verstöße zu ahnden. Das ist das Gegenstück zur steuerlichen Besserstellung der Vereine gegenüber anderen Unternehmen im Wettbewerb.
Man kann – uns sollte – im Vorstand von allen zu Gebote stehenden Möglichkeiten Gebrauch machen, um diese Haftung zu minimieren oder auszuschließen. In Betracht kommen:
- Sicherstellung der Wahl eines geeigneten Vereinsmitglieds
(wenn die Satzung nur Vereinsmitglieder als Vorstandsmitglieder zulässt) für das Amt von Kassier:in/Schatzmeister:in und Unterbreitung entsprechender Vorschläge an die Mitgliederversammlung. Hier muss sich der aktuelle Vorstand schon vor der Mitgliederversammlung Gedanken machen und geeignete Kandidat:innen ausfindig zu machen versuchen.
- Ordnungsgemäße und geeignete Organisation des Vereins,
vor allem die Verteilung der Aufgaben durch einen stets aktuellen Geschäftsverteilungsplan.
Dieser hat nichts mit der Geschäftsordnung des Vereins oder des Vorstandes zu tun, sondern ist eine Verantwortungsverteilung innerhalb der Vorstandschaft. Die Geschäftsverteilung muss unbedingt – nicht zuletzt zu Beweiszwecken – schriftlich erfolgen. Sodann müssen die jeweils übertragenen Verpflichtungen – das gilt nicht nur für den/die Kassier:in – angemessen kontrolliert und überwacht werden. Man kann die Überwachung der Einhaltung der Verpflichtungen, insbesondere der steuerlichen, auch extern vergeben, etwa an eine:n Steuerberater:in. Zugegeben: Das kostet Geld, das aber nicht selten gut angelegt ist.
- Abschluss einer Haftpflicht- bzw. D&O-Versicherung.
Eine solche Versicherung wird vom Verein für seine Organe abgeschlossen. Beim Schwäbischen Chorverband ist es so, dass im Rahmen des Gesamtvertrages zwischen dem DCV und der ARAG eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung und eine D&O-Versicherung eingeschlossen ist. Letztere schützt den handelnden Vereinsvorstand vor Haftungsinanspruchnahme, erstere den Verein vor Inanspruchnahme durch die Finanzverwaltung aufgrund eines Fehlers des zuständigen oder des untätig gebliebenen Vorstands, wenn deren Verschulden sich auf einfache Fahrlässigkeit beschränkt. Das Gleiche gilt für den Fall des Delegations- oder Überwachungsverschuldens. Die beiden Versicherungssparten sind die jüngsten im Versicherungskatalog der ARAG; es bestehen noch sehr wenige Erfahrungen mit dem Umgang des Versicherers mit diesen Schadensbildern; in jedem Falle ist es ein guter Rat, sich im Hinblick auf die Steuerhaftung nicht auf den Schutz einer Vermögensschaden- oder D&O-Versicherung zu verlassen.
- Die Inanspruchnahme der Dienste eines Steuerberaters/einer Steuerberaterin oder Anwalts/Anwältin.
Die Beratung durch eine:n in Vereinsrechtsangelegenheiten erfahrene:n Steuerberater:in oder Rechtsanwalt/Rechtsanwältin ist in Zweifelsfragen sinnvoll und kostet weniger als eine Haftungsinanspruchnahme, die auf diese Weise vermieden werden kann. Im Übrigen ist nochmals zu betonen, dass ein guter, konstruktiver Kontakt des Vereins und seiner Verantwortlichen mit der Finanzverwaltung – von der Satzungsgestaltung bis zur Selbstanzeige – immer zu empfehlen ist. Ggf. ist der Gang zum Finanzamt unter Mitwirkung eines Steuerberaters/einer Steuerberaterin bzw. Rechtsanwalts/einer Rechtsanwältin in Erwägung zu ziehen. Von diesem/dieser können Sie auch weiterführende Informationen erhalten, beispielsweise darüber, dass ab dem Jahr 2024 geänderte Steuerformulare für den Bereich der Gemeinnützigkeit Gültigkeit haben. Diese können Sie auf der Homepage des Bundesministeriums der Finanzen unter dem Stichwort „Steuerformulare“ abrufen. Sie sind ab sofort anwendbar – und anzuwenden.
Die letzte Folge des Themas aus den SINGEN-Ausgaben 05/24 und 06/24.
Rechtsanwalt Christian Heieck
Weiherstraße 6, 72213 Altensteig
Telefon: 07453 1677
Telefax: 07453 9554596
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Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.