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SINGEN 2024-10, Thema

„Wenn Männerchöre überleben wollen, müssen sie den Weg der Qualität gehen“

Sandra Bildmann
1. Oktober 2024
Titelbild: Der gastgebende Männerchor „Harmonie Lindenholzhausen“ beim „Harmonie Festival 2024“ mit seinem Chorleiter Jürgen Faßbender.
Harmonie Lindenholzhausen

Chorleiter Jürgen Faßbender über sein Spezialgebiet 

Sie sind das älteste Gebilde gemeinschaftlich organisierten Singens, sie kämpfen mit Vorurteilen und ihrem Mitgliederschwund. Sie haben einen einzigartigen Sound und sind für viele unersetzbar: Männerchöre.

Jürgen Faßbender blickt auf über 40 Jahre Erfahrung als Chorleiter von Jugend-, Frauen- und gemischten Chören. Sein Schwerpunkt aber liegt auf den Männerchören. Er hat eine lange Zeit selbst in semiprofessionellen Ensembles gesungen. Derzeit leitet er zwei gemischte und sechs Männerchöre. Die SINGEN hat mit ihm gesprochen.

Das Chor-Repertoire ist unerschöpflich. Haben Sie ein Herzensstück oder eine Number one? 

Es gibt so viele Number ones, da kann ich mich nicht für eine entscheiden. Es kommt auf das Genre an, auf die Besetzung, auf den Chor.  Was ich gerade letztens gemacht habe, ist „Ohtul“, ein Stück für gemischten Chor von Pärt Uusberg, einem jungen estnischen Komponisten, der mir sehr gut gefällt. Für Männerchor geht mir eine Rilke-Vertonung durch den Kopf: „O gäb‘s doch Sterne“ von Alwin M. Schronen. 

Was schätzen Sie daran besonders, was macht den Reiz für Sie aus? 

Für mich ist die Verbindung zwischen Text und Musik immer ganz wichtig. Hat der Text eine lyrische, eine literarische Qualität, berührt mich der Text als solcher schon? Dann: Wie ist die Umsetzung, wie schafft es der Komponist, die Atmosphäre des Textes zu spiegeln und in Stimmung zu setzen? 

Sie leiten derzeit sechs Männerchöre. Warum liegt Ihr Fokus auf dieser Besetzung? 

Ich setze mich schon seit Jahrzehnten mit Herzblut in vielfältigen Funktionen mit diesem Genre auseinander, das heißt, ich mache sehr viele Fortbildungen zum Thema Männerchöre, leite welche sowohl im semiprofessionellen als auch im Laien-Bereich. Sie liegen mir einfach am Herzen, weil ich vom Klang sehr begeistert bin, von der Literatur und wohl auch, weil ich selbst in einem Männerchor sozialisiert worden bin. Wenn es einem Männerchor gelingt, obertonreich zu singen, dann entsteht ein ganz faszinierendes Klangspektrum.  

Gibt es etwas, das typisch ist für alle Männerchöre? 

Ich empfinde es so, dass Gemeinschaft oft stärker ausgeprägt ist als in anderen Chören, weiß aber nicht, ob man das verallgemeinern kann. Qualität und Geselligkeit schließen sich aber keinesfalls gegenseitig aus. Und das ist im übrigen auch bei gemischten Chören weit verbreitet. Ich habe es beim Landesjugendchor erlebt, dass alle abends nach der Probe oder nach dem Konzert zusammen gesessen und gesungen haben. Literatur, bei der niemand mehr Noten in der Hand hat, sondern die jeder Chorsänger kennt. Praktisch das ganze Repertoire, was der Chor halt so drauf hat. Und wenn ein Stück nicht alle kannten, haben sie die Noten auf dem Handy geteilt, sodass alle mitsingen konnten. 

Ist denn Ihr Eindruck, dass die Männer, die sich für einen Männerchor entscheiden, das aus musikalischen Gründen oder dann doch mehr aus gesellschaftlichen tun? 

Ich glaube, dass der Schwerpunkt ganz eindeutig bei der Musik und ihrer Qualität liegen muss. Man sieht ganz deutlich im Moment, dass Chöre, bei denen Musik die untergeordnete Rolle spielt, immer mehr abnehmen. Wir erleben zurzeit deutschlandweit ein erschreckendes Sterben von Männerchören. Wenn Männerchöre überleben wollen, müssen sie – glaube ich – diesen Weg der Qualität unbedingt gehen. Die Leute sind flexibler und mobiler geworden. Es ist nicht mehr ganz so wichtig, dass man im eigenen Ort im Chor singt. Die Leute, die sich dazu entscheiden, einen großen Teil ihrer Freizeit in einen Chor zu investieren, suchen sich den Chor aus, bei dem für sie alles stimmt. 

Nehmen wir mal das Klischee, ein Männerchor ist ein angestaubter Haufen, der nicht mehr zeitgemäß ist und nur noch alte Formen bewahrt… 

Es gibt natürlich Männerchöre, die von der Literatur her im 19. Jahrhundert stehen geblieben sind. Es ist aber ganz wichtig, zu zeigen, dass wir im 21. Jahrhundert leben, dass die Musik sich weiterentwickelt hat und dass es unglaublich viele tolle Komponisten gibt, die zeitgenössische Werke für Männerchor geschrieben haben. Und damit meine ich nicht irgendwelche Schlager oder Popstücke mit Klavierbegleitung. Mir geht es vielmehr um die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Literatur. Ich denke an das Zitat von Gustav Mahler: ‚Tradition ist nicht das Aufbewahren der Asche, sondern das Weitertragen der Glut.‘  

Die Frage ist ja immer auch nicht nur, was ich präsentiere, sondern wie… 

Ganz genau, das ist immer ein Gesamtpaket. Die Zeiten sind vorbei, dass man mit Liederabenden Leute locken kann. Ich kann mich noch genau erinnern, als ich als junger Dirigent mit 20 Jahren angefangen habe. Dann ist man mit seinen Chören auf Sängerfeste gefahren und da musste man angeben, welche zwei Stücke man singt und wie viel Liter Bier man trinkt. Das will keiner mehr. Diese Zeiten sind, glaube ich, endgültig vorbei. Man muss heutzutage als Männerchor wirklich attraktiv sein, auch für sein Publikum, das heißt, man muss schauen, dass man Konzertformate entwickelt, die beispielsweise mit besonderen Programmen, mit besonderen Themen oder auch mit besonderen Orten zusammenhängen. Man muss schauen, dass man den Chor auch für Nachwuchs, für junge Leute attraktiv macht. Das funktioniert meines Erachtens nicht darüber, dass man irgendwelche Popsachen singt, sondern dass man Ziele formuliert, wo man hin möchte: Konzerte, Wettbewerbe, Konzertreisen, junge Leute sehr früh in Verantwortung einbinden und sie mit ihrem eigenen Instrument konfrontieren, das heißt: gute Stimmbildung machen, dass sie nicht nur Konsumierende sind, sondern sich als Bestandteil des Klanges erleben, der unter ihrer Beteiligung entsteht. 

„Man wird nur dann ernst genommen, wenn man immer bereit ist, sich zu verbessern.“

Worin sehen Sie persönlich die Notwendigkeit, einerseits der Wettbewerbskultur und andererseits der internationalen Vernetzung? 

Das Wichtigste daran ist der Aspekt des Forums. Ich schätze es nicht so sehr, wenn Chöre einfach in ihrem eigenen Saft schmoren. Man muss sich stellen und schauen: Was ist so los auf der Welt, in Deutschland, in meinem Sängerbund, was singen die anderen? Es ist essenziell, dass man sich traut und auch mal ein paar andere Leute darauf schauen, also beispielsweise in Form von Coaching, einer Bewertung oder vielleicht auch mal durch einen Wettbewerb.  

Weshalb ist der Austausch so wichtig? 

Wenn ich nie etwas anderes gehört oder gesehen habe, dann bin ich zu sehr zufrieden mit dem, was ich mache. 1982 habe ich beim Deutschen Chorwettbewerb in Köln den Kammerchor Stuttgart gehört. Da war ich platt. Ich habe im Sessel gesessen und hatte Tränen in den Augen, weil ich noch nie so etwas gehört hatte und das ist dann natürlich auch eine Motivation für die eigene Klangvorstellung. Ich glaube, man wird nur dann ernst genommen, wenn man immer bereit ist, sich zu verbessern und sich zusammen zu entwickeln. Aus meiner Erfahrung dauert es etwa fünf Jahre, bis ein Chor so singt, wie ich mir das vorstelle. 

Welche sind die Meilensteine, die in diesen fünf Jahren Zeit brauchen? 

Das Vertrauen. Dann Stimmbildung und das Entwickeln einer Klangvorstellung. Das bedeutet, dass man vielleicht nicht mehr so singt, wie man sein ganzes Leben gesungen hat. Das ist kein einfacher Prozess. Und es braucht auch Zeit, sich auf neue Dinge einzulassen – zum Beispiel ein Stück in grafischer Notation. Die Leute haben gesagt: ‚Das sieht ja aus wie ein Schaltplan! Was soll man denn da machen?‘ Und dann? Haben sie sich damit auseinandergesetzt und gemerkt, was da für ein tolles Stück bei rauskommt. Mit einem Männerchor habe ich mal ein elfstimmiges Stück mit Obertönen und einem Text von den australischen Ureinwohnern von einer australischen Komponistin gesungen. Es war ihnen völlig fremd und nachher haben sie das Stück geliebt, weil es einzigartig für sie war. Das sind die schönen Momente. Dafür braucht es die Bereitschaft der Chorsänger, aus ihrer Komfortzone rauszugehen. Dafür zu sorgen, ist dann die Aufgabe der Chorleiter. 

Wo sehen Sie den Männerchor in 20 Jahren? 

Ich glaube, in 20 Jahren wird es viel weniger Männerchöre geben. Momentan geht das so rapide. Ich würde fast sagen: 50 Prozent. 

Lieber Herr Faßbender, vielen Dank für das Gespräch! 

Jürgen Faßbender, geb. 1961, verschrieb sich nach dem Germanistik- und Musikstudium ganz der Chormusik und leitete über 30 Jahre lang viele namhafte Chöre, darunter zwischen 2009 und 2023 den hessischen LJC. Er gewann zahlreiche internationale Chorwettbewerbe und ist Mitglied des Bundesmusikausschusses des Hessischen Sängerbundes, der Literaturkommission des Deutschen Chorwettbewerbes und des Fachverbandes Deutscher Chorleiter. Seine vielfach ausgezeichnete Arbeit und umfassenden Literaturkenntnisse machen ihn zu einem international gefragten Juror, Publizisten, Gastdirigenten und Workshopleiter. 2012 wurde er in den World Choir Council berufen.
Chorleiter Jürgen Faßbender.

Foto: Jürgen Faßbender

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„Wenn Männerchöre überleben wollen, müssen sie den Weg der Qualität gehen“
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