SCJ-Musikdirektor Andreas Schulz, der evangelische Kirchenmusik studiert hat, über den weltlich-geistlichen Spagat der Musik zur Advents- und Weihnachtszeit
Zwischen Mitte September und Anfang November ist die musikalische Planung für Advent und Weihnachten an der Reihe. Es gilt, alle kleineren und größeren Auftritte zu planen, die saisonal in diese Zeit fallen, und musikalisch zu bestücken. Das sind unter anderem Adventssingen und Auftritte bei Weihnachtsmärkten, musikalische Umrahmungen von Weihnachtsfeiern, Singen im Altenheim, Adventskonzerte oder Weihnachtskonzerte, aber auch Mitgestaltung von Advents- und Weihnachtsgottesdiensten, musikalische Begleitung von Krippenspielen oder weihnachtlichen Singspielen. Für jedes Format müssen die passenden Lieder gefunden werden. Und da fangen die Schwierigkeiten an:
„Alle Jahre wieder kommt das Christuskind“ – ist das ein geistliches oder ein weltliches Lied? Geht es da wirklich um die Geburt Christi? Kann ich das in einem Gottesdienst singen? Oder geht es in diesem Lied eher um das volkstümliche Christkind, welches an Weihnachten die Geschenke unter den Baum legt, aber mit dem neugeborenen Jesus eigentlich überhaupt nichts zu tun hat? Oder ist „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ das passendere Lied, weil eigentlich der Weihnachtsmann die Geschenke bringt und nicht das Christkind? Vermeintlich einfacher ist es da, im Gottesdienst an Heiligabend das Lied „Ich steh an deiner Krippen hier“ zu singen.
Die Schwierigkeit der Liedauswahl liegt nicht allein in der Frage, ‚Brauche ich etwas Weltliches oder etwas Geistliches bzw. irgendeine Einstufung dazwischen?‘, sondern auch in der zeitlichen Einordnung in der Advents- und Weihnachtszeit. Für manche besteht da wahrscheinlich kein Unterschied, aber kann man am zweiten Adventssonntag schon „O du fröhliche“ oder „Stille Nacht, heilige Nacht“ singen? Auch andersherum: Sind „Freue dich, Welt“ (original: „Joy to the world“) oder „Tochter Zion“ eine Option für den Weihnachtsgottesdienst? Auch im weltlichen Liederschatz trifft man auf zeitliche Schwierigkeiten, kann man „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ nur am 23. Dezember singen?
Letztendlich ist die Diskussion eine ähnliche, wie die, ob Schokoladenweihnachtsmänner und Lebkuchen im September schon in den Kaufhausregalen stehen sollten. Die einen finden das völlig in Ordnung, für die anderen haben diese Dinge eine feste zeitliche Zugehörigkeit und die ist nicht im September. Ich persönlich bin eher der Typus, für den Lebkuchen in die Adventszeit gehören und damit sind für mich auch die Lieder inhaltlich fest zugeordnet und die Adventslieder gehören in den Advent und die Weihnachtslieder zu den Weihnachtstagen.
Kirchliche Feiertage mit weltlicher Relevanz
Diese Diskrepanz im Verständnis der Weihnachtslieder hat seine Grundlage im unterschiedlichen Verständnis, was Weihnachten bzw. die Adventszeit bedeuten.
Advent und Weihnachten haben ihren Ursprung in der christlichen Tradition, wie auch die Fastenzeit und Ostern oder auch Pfingsten. Dass diese kirchlichen Feiertage auch weltliche Relevanz haben, sieht man unter anderem an den gesetzlichen Feiertagen Ostermontag, Pfingstmontag und 1. und 2. Weihnachtsfeiertag. Dass diese christlichen Feste schon längere Zeit auch eine nichtreligiöse Komponente hatten, kann man daran erkennen, dass diese Feste auch heute noch in glaubensfernen Familien existieren und gefeiert werden, aber dazu sind Rituale und Bräuche notwendig, die auch ohne christlichen Kontext funktionieren. Das ist beim Pfingstfest am wenigsten gegeben. Es gibt hier und da regionale Bräuche, aber keine weit verbreiteten überregionalen. Anders ist es schon bei Ostern, da ist das Suchen der Ostereier, die der Osterhase versteckt hat, weit verbreitet und in den Familientraditionen verankert. Und deshalb kommen heute auch die Familien an Ostern zusammen, egal ob sie den religiösen Kontext oder nur ein Familienfest feiern.
Dagegen hat Weihnachten sehr viel mehr Bräuche und Gewohnheiten, die nichts (mehr) mit dem religiösen Hintergrund dieses Festes zu tun haben: Geschenke verschenken, der Weihnachtsbaum, der Adventskalender, der Adventskranz und das Weihnachtsessen – um nur einige zu nennen. Interessanterweise gehört nach wie vor bei einigen, die von sich sagen würden, dass sie nicht religiös sind, der Weihnachtsgottesdienst mit zur Tradition, allein der Atmosphäre wegen, oder als Pendant bei Kindern die Teilnahme am Krippenspiel, auch wenn sie sonst nicht viel mit Kirche zu tun haben.
Dass zu Festtagen passende geistliche Musik geschrieben und gesungen wurde, ist schon fast selbstverständlich. Aber auch zu verweltlichten Feiertagen wurden weltliche Lieder gesungen und komponiert, im Umfang aber ihrer weltlichen Bedeutung entsprechend. So wird man so gut wie keine „weltlichen Pfingstlieder“ finden. Zu Ostern gibt es vor allem ein paar Kinderlieder. Zu Weihnachten ist die Auswahl fast unerschöpflich, wobei auch da die Kinderlieder in der Anzahl die Nase vorn haben. Auch gibt es aus neuerer Zeit unzählige Pop-Songs, die Weihnachten in der einen oder anderen Form besingen, mir ist aber kein Pop-Song bekannt, der Ostern besingt.
Vom Basteln, Backen und Lieben
Worum geht es dann aber an Weihnachten, wenn nicht um die Geburt Jesu? Das kann man unter anderem sehr gut an den Liedern erkennen. Während in der Zeit von Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts mit Liedern wie „Morgen, Kinder, wird’s was geben“ oder „Kling, Glöckchen, kling!“ („…bring euch viele Gaben…“) vor allem die Geschenke für die Kinder im Vordergrund standen, kamen dann im letzten Jahrhundert auch gemeinsame Aktivitäten während der Adventszeit hinzu, „… basteln, stricken, rascheln, hämmern…“ in „Vorfreude, schönste Freude“ oder gemeinsames Backen wie in „Oh es riecht gut“ oder „In der Weihnachtsbäckerei“. In den weihnachtlichen Pop-Songs geht es dann um Liebe, Familie und gemeinsam eine gemütliche Zeit zu verbringen, wie z.B. in „Driving home for Christmas“ oder „Last Christmas“.
Und das ist es auch, wie Weihnachten heute verstanden wird: ein Mix aus Fest der Liebe, Fest der Familie, Geschenke für Kinder und Erwachsene, Frieden und Christi Geburt. Und das sehr individuell für jede:n in seinem/ihrem persönlichen Mix. Genauso sieht auch das Angebot an Liedern aus und da für eine Gruppe, wie z.B. einen Chor, die richtige Auswahl zu treffen, die jede:n abholt, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Im chorischen Bereich nimmt die Schwierigkeit mit abnehmendem Alter zu. Oft ist in unseren „erwachsenen“ Vereinschören die Gemeinschaft der Singenden noch recht homogen, mit christlichen Wurzeln, aktiv oder ausgetreten. Aber schon bei den Jugendchören und Kinderchören wird es um einiges diverser.
Zunehmende Diversität in Chören
Die wohl anspruchsvollste Chorgattung in Sachen Diversität sind Schulchöre, vor allem an Grundschulen, denn da kommen zu mehr oder weniger gläubigen Christen und Atheisten noch andere Religionszugehörigkeiten hinzu, die zum Teil Weihnachten mitfeiern, als Fest in der Familie mit Geschenken, zum Teil aber gar nicht feiern.
Aber ich bin überzeugt: Mit etwas Fingerspitzengefühl des Chorleiters oder der Chorleiterin und einer Portion Toleranz lässt sich sicher ein Weihnachtsprogramm zwischen Winterliedern und Weihnachtslieder finden, das alle Kinder mitsingen können und gerne singen!
Es gibt keine andere Zeit im Jahr, die so eng mit Liedern verknüpft ist, wie die Advents- und Weihnachtszeit. Wir hören im Kaufhaus und auf dem Weihnachtsmarkt passende Musik, die Radiosender spielen extra weihnachtliche Lieder, es wird in Familien gesungen, in denen sonst vielleicht nicht mehr gesungen wird. Die Menschen hören mehr Musik, vor allem gesungene.
Nutzen wir das aus, indem wir Veranstaltungen mit Chormusik anbieten und auch indem wir Menschen einladen, speziell in dieser Zeit bei und mit uns zu singen! Vielleicht bleiben diese dann auch über Weihnachten hinaus in unseren Chören.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein friedvolles, liebevolles und tolerantes Fest der Familie und, wenn Sie mögen, ein gesegnetes Christfest!
Der Autor ist Musikdirektor der Chorjugend im SCV.