Am 10. März hätte Werner Gneist sein 125. Geburtstagsfest
Gneist kam am 10. März 1898 in Ulm zur Welt, wuchs aber in Breslau auf und wurde dort auch zum Volksschullehrer ausgebildet. In den 1920er Jahren schloss er sich der Singbewegung an und begann, eigene Lieder zu schaffen. Damals wohnte er, verheiratet und Vater von drei Kindern, in Bunzlau. Da er sich im Dritten Reich weigerte, der NSDAP beizutreten, wurde er als Lehrer mehrfach strafversetzt und 1944 zur Wehrmacht eingezogen, um als Nachrichtensoldat an der Ostfront zu dienen.
Die Nachkriegszeit verbrachte der gebürtige Ulmer dann wieder in Württemberg, ab 1948 in Kirchheim unter Teck. Er unterrichtete dort als Musiklehrer am Seminar und an der Freihof-Realschule. Nebenbei schrieb er noch Konzertkritiken für den „Teckboten“. Am 19. August 1980 ist er schließlich in Kirchheim gestorben. Sein musikalischer und literarischer Nachlass ruht heute im Archiv der deutschen Jugendbewegung in Burg Ludwigstein bei Witzenhausen. Eine stattliche Zahl seiner Werke, darunter ein „Kleines Chorbuch“ (um 1950) und ein „Kleines Liederbuch“ (1963), wurde ab 1947 bei Bärenreiter veröffentlicht.
Wohlstand, Frohsinn, Freude ?
Gneists bekanntestes Werk, das wohl jeder Deutschsprachige der Nachkriegszeit schon im Kindergarten, spätestens aber in der Grundschule gelernt hat, ist der Kanon:
Viel Glück und viel Segen
Auf all deinen Wegen
Gesundheit und Wohlstand
Sei auch mit dabei.
Spätestens jetzt, in der dritten Zeile, werden die jüngeren Leser:innen kurz innehalten. Ihnen ist da ein anderer Text geläufig: „Gesundheit und Frohsinn“ oder „Freude“ heißt es inzwischen in den Liederbüchern. Eine Textänderung, die der Liedschöpfer selbst nicht vorgenommen, die er aber akzeptiert hat. Den Generationen der Nachkriegszeit, für die „Wohlstand“ etwas Selbstverständliches geworden ist, scheint dieser Wunsch im Lied zu materialistisch. Freude und Frohsinn sind da unverfänglicher. Aber was hat es mit dem Begriff „Wohlstand“ hier auf sich?
Gneist schrieb das Lied um 1928, in einer Zeit, in der große Teile der Gesellschaft in Not lebten oder ein solches Leben befürchten mussten. Einem anderen (und auch sich selbst) „Wohlstand“ zu wünschen, meinte damals kein Leben in Saus und Braus, sondern einfach nur ein Auskommen, mit dem man sich die größten Alltagssorgen vom Hals halten konnte.
Der Geburtstag – ein junges Kind im Kreis der Feste
Manch einer wundert sich vielleicht auch, dass der Geburtstagskanon „Viel Glück“ ein vergleichsweise junges Entstehungsdatum hat. Man hätte hier wohl eher an ein volkstümliches Lied aus dem 18. oder 19. Jahrhundert gedacht. Aber das Feiern des individuellen Geburtstags ist noch nicht sehr alt. Statt den Tag seiner Geburt feierte man bei uns früher eher den Namenstag, vor allem in katholischen Gebieten. Allerdings wurden an diesem Tag mehr die Namensheiligen selbst geehrt als die profanen Träger ihres Namens. So gibt es auch kaum „Namenstagslieder“, über die hier berichtet werden könnte.
Das Feiern des Geburtstags war früher zunächst eine Sache für fürstliche Herrschaften. Die Untertanen waren als Individuen zweitrangig, der Tag ihrer Geburt uninteressant. Das änderte sich erst langsam mit der Wertschätzung des Einzelnen ab der Renaissance. Und mit der modernen Verwaltung. Napoleons „Code Civil“ legte 1804 fest, dass künftig der genaue Tag der Geburt einer jeden Person in einem amt-
lichen Register festgehalten werden musste. Der Geburtstag wurde so in Europa ein wichtiges amtliches Mittel zur Identifizierung eines Menschen. In anderen Regionen und Kulturen ist das noch heute nicht so wichtig, weshalb dort viele ihr Geburtsdatum gar nicht kennen.
Vom Kinderfest zum Erwachsenenfest
Ein weiterer Grund für die Etablierung des Geburtstages lag in dem Bedürfnis des Bürgertums, sich selbst, das eigene Leben, zu feiern. Neben den alten Kirchenfesten, die für alle galten, war der Geburtstag ein ganz persönliches Ereignis, das jeden und jede einmal im Jahr ins Zentrum einer Festivität rückte. Vor allem die Volkserzieher der Aufklärung und des Biedermeier legten Wert darauf, dass Kinder in ihren Bildungseinrichtungen, den Kindergärten, Schulen und Familien, ihren Geburtstag begingen. So sollte das Selbstbewusstsein des Nachwuchses gefördert werden. Diese Festgewohnheit der Kinderzeit hat sich dann mit dem Erwachsenwerden der Jugend bald zu einem Fest auch für Erwachsene etabliert. In den unteren Volksschichten, beim Kleinbürgertum, der Arbeiter- und Handwerkerschaft, ging diese Entwicklung allerdings langsamer voran.
Geburtstagslieder gibt es heute in großer Zahl und es kommen ständig neue dazu. Das „Ständchen“ gehört wie die Party, der Kuchen, der Blumenstrauß und das Geschenk seit Beginn des 20. Jahrhunderts selbstverständlich mit zu diesem Tag.