März ist Frühlingsanfang und die hohe Zeit der Sänger in Vogel- und Menschenwelt
In unserer Reihe zu tierischen Sängern haben wir hier schon über Hunde (SINGEN 2/24), Katzen (2/23) und Frösche (4/23) berichtet. Vögel spielten bislang nur am Rande eine Rolle, obwohl ihnen eigentlich der erste Rang zusteht.
Dem Schwan als einem Symbol der Sangeswelt wurde bereits in SINGEN 11/22 ein Beitrag gewidmet. Er verdankt sein Erscheinen auf Vereinszeichen älterer Chöre aber nicht seinem (bescheidenen) Gesang, sondern der antiken Mythologie. Gänse und Enten, zu denen die Schwäne gehören, dienen in der Musikikonographie sogar eher als Spottfiguren. So z. B. auf einer Sänger(innen)karte um 1910, die eine singende Gans mit den Zeilen versieht:
„Du singst, wie jener Vogel singt,
Der durch die Sümpfe watet,
Und den man um Martini rum
Zum leck‘ren Mahle bratet.“
Wenn es um schönen, angenehmen Gesang geht, geben wir anderen gefiederten Freunden als Gänsen deutlich den Vorzug, z. B. der Amsel. Sie steht ja schon in dem berühmten Frühlingslied für Kinder „Alle Vögel sind schon da“ an erster Stelle: „Amsel, Drossel, Fink und Star und die ganze Vogelschar.“ Die Amsel wird in diesem Lied übrigens unter die Zugvögel gerechnet, was sie damals auch noch war! Heute bleibt sie als „Kulturfolger“ über den Winter hier. Ein auf einem Lorbeerzweig singendes Amselmännchen finden wir als Sinnbild für Sänger z. B. auf dem Vereinsabzeichen des Männergesangvereins Gerbach.
Rotkehlchen und Goldkehlchen
Legt der eine Chor sich ein Vogelmotiv als Bildsymbol zu, tut der andere das mit seinem Namen. Unter „Rotkehlchen“ finden wir bei der online-Recherche nicht nur den hübschen Vogel mit der orangeroten Brust, wir finden unter diesem Namen natürlich auch Chöre. Und da die Farbe Rot in unserer Kultur eine politische Bedeutung hat, verwundert es nicht, dass die „Rotkehlchen“-Chöre öfters diesem Spektrum zugeordnet sind. Ein Berliner Chor namens „Rotkehlchen“ singt z. B. neben „herkömmlichen Kampfliedern“ auch „Friedenslieder“, wie man online erfährt.
„Goldkehlchen“ dagegen ist kein Vogelname. Goldkehlchen nennt man u. a. Menschen mit schöner (und kommerziell erfolgreicher) Stimme. Aber auch Chöre mit diesem Namen gibt es, z. B. die „Hamburger Goldkehlchen“. Sie sind ein reiner Männerchor, aus einer Laune heraus gegründet. Eigentlich können sie – nach eigener Aussage – gar nicht singen, aber sie tun es, und mit großer Resonanz.
Gesangverein Kehlkopf
Fast so beliebt wie der oben zitierte Liedtext des Hoffmann von Fallersleben war im ausgehenden 19. Jh. ein Kinderbuch von Rudolf Baumbach: „Der Gesangverein Brüllaria“. Mit herrlichen Illustrationen von Ludwig Bechstein schildert es ein fröhliches Sängerfest, an dem eine bunte Palette an Tierchören mitwirkt. Der kraftstrotzende Vereinsname „Brüllaria“ gehört dabei natürlich nicht den Vögeln, sondern den Fröschen. Die Vögel nennen sich „Gesangverein Kehlkopf“. Und das, obwohl sie ja gar nicht mit ihrem Kehlkopf singen! Während bei uns Menschen die Stimmbildung im Kehlkopf stattfindet, dient dieser bei Vögeln nur der Atmung. Der Gesang der Vögel entsteht in tieferer Region, im Syrinx genannten Stimmkopf.
Vielleicht kommen daher auch die vielen Rekorde und Höchstleistungen im Reich der Töne. Hier einige Rekordhalter: Am lautesten singt der Zaunkönig, am höchsten das Wintergoldhähnchen, am längsten die Nachtigall (7 Stunden), am vielfältigsten der Star und (subjektiv gesehen) am schönsten die Amsel. Die meisten Sänger unter den Vögeln sind übrigens männlich. Und wenn sie mit der Syrinx ihr Bestes geben, tun sie es nicht selten fürs weibliche Geschlecht.
Der Komponist Olivier Messiaen (1908-1992), der angeblich hunderte Vögel allein am Gesang unterscheiden konnte, nannte die Gefiederten „die größten Künstler unter den Lebewesen“. Er notierte ihre Melodien und stellte sie für sein Klavierwerk „Catalogue d’oiseaux“ zusammen. Aber auch andere Musiker ließen sich von den Vögeln inspirieren, z. B. Leo Delibes, Ludwig van Beethoven, Georg Friedrich Händel, Jean Philippe Rameau, um nur einige zu nennen.
Lyrebird – ein Gesang mit Kettensägen-Imitation
Einen letzten gefiederten Sänger dürfen wir hier nicht vergessen, den Leiervogel oder – wie er in seiner australischen Heimat genannt wird – den Lyrebird. Er beeindruckt sowohl durch seine unglaublichen Stimmkünste als auch durch sein phantastisches „Kostüm“, in dem er seine Auftritte absolviert. Seine prächtigen Schwanzfedern bilden nämlich die Form einer Lyra, die bei uns das Symbol der Dichtkunst und Musik ist. Dieser in den Wäldern hausende Geselle beeindruckt durch ein unglaublich breites Repertoire an Tönen und Lauten, mit denen er nicht nur die Stimmen anderer Vögel, sondern alle möglichen Alltagsgeräusche imitiert: von der Kettensäge und dem Kofferradio bis hin zu fröhlich schreienden Kindern und ihren schimpfenden Eltern. Was immer er hört und interessant findet, versucht er nachzumachen. (Auf YouTube kann der Leser unter dem Begriff Lyrebird zahlreiche Beispiele finden.)
Und zuletzt noch ein Hinweis, der unsere Beachtung verdient: Die im Titel genannten „Hohlkehlchen“ gibt es tatsächlich auch. Es sind Menschen, die ihren Kehlkopf durch Krankheit verloren haben und sich dennoch zum Singen treffen. Sie haben ihrem Chor diesen Namen gegeben und erhalten viel Zustimmung für ihren Einsatz.