Bruno Seitz über den Umgang mit GaFöG
2026 tritt das Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) in Kraft. Und viele Vereine sorgen sich um ihren musikalischen Nachwuchs. Kooperationen mit den Schulen sind da naheliegend. Aber was gibt es dabei zu beachten und wie geht man eine solche Kooperation am besten an? Bruno Seitz ist Leiter der Musikschule Metzingen, Dirigent, als Präsidiumsmitglied in vielen Gremien auf Landesebene aktiv – und somit auch am Runden Tisch „Ganztag“ beteiligt. Erst Mitte Februar hielt er für den SCV ein Online-Seminar mit dem Titel „Chancen für Vereine in der Ganztagesschule“. Also jemand, der voll im Thema ist und sich bestens auskennt. Die SINGEN sprach mit ihm über seine Erfahrungen mit Kooperationen im Ganztagsbetrieb.
Eine große Chance
Die große Chance, sich als ehrenamtlicher Verein im Ganztag zu engagieren liegt klar auf der Hand: der Kontakt zum musikalischen Nachwuchs. Es ist heutzutage vielerorts sehr schwer, überhaupt noch an die Kinder heranzukommen. Auch Seitz kennt dieses Problem: „Dass man mit einem kleinen Flyer zur Schnupperprobe einlädt und dann 20 Kinder kommen, ist leider eher die Ausnahme. Für viele Eltern ist das zwar teurere Angebot in der Musikschule oft attraktiver als das Ehrenamt, weil sie nicht auch noch Würstchen beim Vereinsfest braten müssen.“
Dass Kinder und Jugendliche also über den Ganztag überhaupt erstmal einen Zugang zur Musik bekommen, ist ein großer Vorteil – vor allem auch für sozial benachteiligte Kinder oder Familien mit Migrationshintergrund, die sonst eher keine Berührungspunkte mit dem örtlichen Chor oder Musikverein hätten. Hier wird ein niederschwelliger Zugang zur Musik geschaffen und man ist als Verein immerhin namentlich bekannt, sollten Familien weitergehendes Interesse an musikalischen Angeboten auch außerhalb der Schule haben.
Was man allerdings nicht glauben sollte: nur weil im Betreuungsangebot innerhalb der Ganztagsschule 20 Kinder im Kinderchor singen, hat man diese Kinder später auch im eigenen Chor. Es ist durchaus möglich, dass sogar kein einziges Kind den Übergang in den Verein schafft. Oft fehlen die Übergänge bzw. Anknüpfungspunkte zwischen Kinderchor und großem Chor.
Seitz gibt zu bedenken: „Dieses Problem gibt es mittlerweile auch unabhängig vom Ganztag. Das kenne ich aus meinen eigenen Musikvereinen: Da kommt von den Älteren kaum jemand auf die Idee, mal auf die Jungen zuzugehen und mit ihnen zu sprechen. Gleichzeitig wundert man sich dann aber, dass keiner von den Jugendlichen lange bleibt und sich im Verein etabliert. Da fehlen einfach die Übergänge von der Jugendkapelle zur Stammkapelle bzw. vom Kinderchor zum großen Chor.“
Eine Chance ist eine Kooperation im Ganztagsbetrieb also allemal. Aber ist sie wirklich die eine große Chance in Sachen Nachwuchssorgen? Seitz ist da eher skeptisch: „Dass Kinder heute viel weniger in Vereine gehen, liegt meiner Meinung nach nicht an der Ganztagsbetreuung, sondern daran, dass sich viele Menschen einfach nicht mehr an einen Verein binden und diesem einen Teil ihrer Freizeit opfern wollen.“ Wir müssen uns also Fragen, wie das Ehrenamt in Zukunft aussehen soll. Seitz findet: „Kinder und Jugendliche sind grundsätzlich gerne ehrenamtliche tätig, aber wollen sich einfach nicht mehr über Jahre an eine Aufgabe binden. Und dafür brauchen wir neue Lösungen.“
Was jedoch ein weiterer Pluspunkt ist: Vernetzung. Seitz erklärt: „Wenn man als Musikschule oder Verein so in den Ganztagsbetrieb eingebunden ist, dass dieser Betrieb vielleicht sogar teilweise von den außerschulischen, ehrenamtlichen Partnern abhängig ist, wird die Kommune in Zukunft wohl kaum finanzielle Mittel im Haushalt für eben diese Partner streichen.“ Das gilt aber natürlich nur, wenn die Kooperation auch reibungslos funktioniert. Und um das gewährleisten zu können, ist wiederum ein enormer organisatorischer Aufwand erforderlich.
Bevor man also in blinden Aktionismus verfällt, sollte man sich als Verein gut überlegen, was man eigentlich möchte, was man überhaupt leisten kann und wie die konkreten Voraussetzungen vor Ort sind. Tatsächlich gibt es nämlich auch einige Hürden zu meistern, die einer präzisen Planung bedürfen.
Voraussetzungen und Herausforderungen
Jede Kommune muss für sich entscheiden, ob sie überhaupt einen Ganztag will und wenn ja, in welcher Form – also in offener oder gebundener Form und an drei, vier oder fünf Tagen mit sieben oder acht Zeitstunden (siehe auch SINGEN 01.2025, S. 6-7). Und innerhalb dieses Modells gibt es dann Zeitfenster – in der Regel zwischen 8.00 und 16.00 Uhr –, in denen Vereine ein Angebot machen können, z. B. einen Kinderchor.
Dann muss man sich als Verein die Frage stellen: Haben wir überhaupt jemanden, der bspw. um 15.00 Uhr Zeit hat, in die Schule zu gehen? Können wir das überhaupt leisten? Das wird in Fällen schon schwierig sein. Das Angebot muss nämlich verlässlich sein, d. h. im Krankheitsfall brauche ich außerdem eine Person, die einspringen kann. Der Verein muss sich also vergegenwärtigen, ob es schon bestehende Strukturen gibt, auf die man für ein Angebot im Ganztag zurückgreifen kann, oder ob ganz neue Strukturen geschaffen werden müssen. Seitz sagt: „Wenn man erst noch jemanden suchen muss, um überhaupt etwas anbieten zu können, wäre ich sehr vorsichtig.“
Denn auch aus finanzieller Sicht sollte man sich das als Verein gut überlegen: Im Ganztag dürfen keine zusätzlichen Entgelte bei den Teilnehmenden erhoben werden, d. h. die Lehrkräfte für den Kinderchor innerhalb des Ganztags müssen vom Verein – oder der Kommune – bezahlt werden. Zwar haben die Schulen gemäß § 4a Schulgesetz die Möglichkeit, monetarisierte Stunden beim Land zu beantragen (also eine gewissen Anzahl an Stunden ausbezahlt zu bekommen, um so außerschulische Partner wie Vereine bezahlen zu können). Die Mittel sind aber für eine Lehrkraft als Fachkraft für eine ganze Klasse gerechnet. In kleineren Gruppen, wie sie für die musikalische Arbeit oft nötig sind, reichen die Mittel dann nicht aus, um Fachkräfte aus Musikschulen und Vereinen ausreichend zu finanzieren.
Inwiefern die Kommunen bei Ganztagsangeboten überhaupt mit Vereinen und Ehrenamtlichen zusammenarbeiten können und wollen, ist übrigens überall anders. Bevor man sich an die Planung macht, sollte man deshalb unbedingt Kontakt mit der Kommune aufnehmen und so Erwartungen und Möglichkeiten ausloten. „Für Betreuungsangebote im Ganztag brauchen die Kommunen natürlich ausgebildete Leute mit Nachweisen: Stichwort Schutzkonzept, polizeiliches Führungszeugnis, pädagogische und soziale Richtlinien“, erklärt Seitz. Das gilt dann natürlich auch für mögliche Aushilfskräfte, sollte die eigentliche Kinderchorleitung mal krank sein.
Hinsichtlich der Qualifizierung des Lehrpersonals werden von Seiten des Kultusministeriums übrigens keine Vorgaben gemacht. Seitz ergänzt: „Über den Landesmusikverband versuchen wir allerdings eine Schulung für den Umgang mit (auch schwierigen oder verhaltensauffälligen) Kindern aufzubauen. Damit sollen die Ehrenamtlichen vor allem davor geschützt werden, auszubrennen. Wer aber jetzt schon starten möchte, dem würde ich empfehlen mit den Koordinationsstellen der Kommunen (sofern vorhanden) Kontakt aufzunehmen. Das sind häufig Erzieher:innen oder Schulsozialarbeiter:innen, die den Ganztag organisieren. Und diese können wiederum auch Ehrenamtliche für die bevorstehende Aufgabe schulen.“
Fazit
Seitz fasst noch einmal zusammen: „Wer als ehrenamtlicher Verein ein Angebot im Ganztag platzieren möchte, muss sich gut überlegen, ob die personellen und finanziellen Mittel vorhanden sind, um ein solches Angebot zu stemmen. Und dann sollte man zuallererst einmal Rücksprache mit der Kommune und der Schule halten. Welche Formen der Ganztagsbetreuung gibt es überhaupt und sind ehrenamtliche Angebote überhaupt erwünscht bzw. möglich?“
Hat man allerdings eine entsprechende Lehrkraft in den bestehenden Vereinsstrukturen, kann gerade ein Kinderchor im Ganztag wirklich eine sehr große Chance für den Verein sein, findet Seitz: „Singen können alle – da braucht man keine Vorkenntnisse, Instrumente und mehrere Lehrkräfte für verschiedene Instrumente.“ Ein weiteres Plus sei die Bewegungsfreiheit, die man beim Singen hat. „Man darf nicht unterschätzen, dass Kinder in der 1. Klasse nachmittags um 15.00 Uhr einfach durch sind. Die können sich nicht mehr ruhig hinsetzen und konzentriert Blockflöte lernen.“
Ansonsten sieht Seitz die Rolle des Ehrenamts im Ganztag vor allem im Rahmen der Ferien. Die Ganztagsbetreuung gilt nämlich das ganze Jahr über – mit nur vier Wochen Ferienzeit, das heißt also insgesamt müssen zehn Ferienwochen bespielt werden. „Da kann man als Chor oder Musikverein dann schon mal eine Ferienfreizeit anbieten.“
Seitz plädiert aber eindringlich dafür, die momentan im Verein vorhandenen Formate für Nachwuchssänger:innen aufrechtzuerhalten und nicht im Ganztag aufgehen zu lassen. „Eventuell müssen die Zeiten etwas angepasst werden, natürlich sollte der Kinderchor nicht gerade um 16.15 Uhr starten, wenn die Kinder bis 16.00 Uhr in der Schule sind. Aber um 18.00 Uhr sind die Kinder dann wieder soweit ausgeruht und fit, dass sie noch in die Chorprobe können.“
Weiterführendes Informationsmaterial des Landesmusikverband Baden-Württemberg.