Das Agnus Dei ist nicht nur ein österliches Thema
Naschkatzen, die dieser Tage beim Bäcker an der Theke stehen, werden dort außer von süßen Osterhasen auch von leckeren, aus Biskuitteig gebackenen Osterlämmern angelacht.
Das Vorbild der österlichen Lämmer, deren Tradition viel weiter zurückreicht als die der Osterhasen, ist das „Agnus Dei“, das „Gotteslamm“. Den praktizierenden Christen aller Konfessionen ist es aus der Bibel und aus dem Gottesdienst geläufig, die Sängerinnen und Sänger wiederum kennen es aus der geistlichen Chorliteratur, z.B. aus Messen und Oratorien. Dort gehört der Agnus-Gesang oft zu den besonders ergreifenden Momenten der Liturgie bzw. der Aufführung. Der Gebets- und Liedtext der dreimaligen Anrufung lautet:
„Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis.“ (Lamm Gottes, das du hinweg nimmst die Sünde der Welt, erbarme dich unser.) Die dritte Anrufung endet mit der Bitte: „dona nobis pacem“ (gibt uns Frieden).
Vom Opferlamm zum Osterlamm
Kurz zum geschichtlichen Hintergrund des Lamm-Motivs: Bereits im Alten Testament ist die Rede von einem Opferlamm, das zur Sühne für menschliche Schuld geopfert wird. So sollen die Hebräer vor dem Auszug aus Ägypten auf Gottes Geheiß ein Opferlamm geschlachtet haben. Zum Gedenken an dieses Ereignis war es im Judentum dann Brauch, zum Passahfest ein Sühne-Lamm zu schlachten und zu verzehren. Auch Jesus und seine Jünger feierten ihr letztes gemeinsames Passah-Fest in Jerusalem mit einem solchen Ostermahl.
Es war dann Johannes Baptista (der Täufer), der zuerst seinen Verwandten Jesus von Nazareth mit einem Passah-Lamm gleichsetzte. Im Evangelium des Johannes Evangelista heißt es, der Täufer habe beim Herannahen Jesu einmal ausgerufen: „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt“ (Joh. 1,29). Damit wurde Jesus als Gottes-und Opferlamm bezeichnet. Der am Kreuz geopferte und an Ostern auferstandene Christus wurde in der Folgezeit als Agnus Dei bezeichnet und in der Kunst oft als Lamm dargestellt.
Bildbrote und schöne Opfergesänge
Das Gotteslamm ist also schon in der frühen Christenheit zum Sinnbild für den Erlöser geworden. Aber nicht nur in geistlichen Kunstwerken und volkstümlichen Ausdrucksformen wie dem Bildgebäck findet es ein reiches Leben. Auch in der Musik hat das in der Liturgie fest verankerte Agnus Dei unzählige Spuren hinterlassen. Eine kleine, schöne Zusammenstellung daraus hat Harry Christophers mit dem Chor „The Sixteen“ einstudiert und auf einer CD mit dem Titel „Agnus Dei“ herausgegeben. Dort sind einige der schönsten Vertonungen seit der Renaissance zu finden. Die zeitliche Reihe beginnt mit Palestrina (Missa Papae Marcelli), Tallis (Missa puer natus), Monteverdi (Messa a 4 voci da capella), Scarlatti (Missa breve), J. S. Bach (Messe in h-Moll), und reicht bis hin zur Moderne, zu Britten (Missa Brevis in D), Poulenc (Mass in G Dur), Sheppard (Missa Cantate) und Barbers Agnus Dei. Die meisten Stücke stammen verständlicherweise aus Messen, aber auch aus Händels Oratorium „Messiah“ finden wir ein Beispiel: „Behold the Lamb of God“.
Das Lamm Gottes in der Bilderwelt
Ein bedeutendes Beispiel für eine theologisch (im Sinne des Messopfers) konzipierte Darstellung des Gotteslammes sehen wir übrigens auf dem Cover der oben genannten CD. Es ist eine Tafel aus dem Genter Altar des Jan van Eyck (um 1432). Hier erscheint das Gotteslamm als Opfertier mit einem Messkelch auf einem Altartisch, umgeben von Propheten des Alten Bundes, von Kirchenlehrern des Neuen Bundes und von allerlei sonstigen himmlischen Heerscharen.
Unter den vielen Verwendungsformen der Agnus-Dei-Darstellungen finden wir schließlich auch noch Wiedergaben des Motivs auf Sängerabzeichen, von denen hier in diesem Beitrag ebenfalls einige wiedergegeben sind.
Das Gotteslamm auf Sängerabzeichen
Wie aber kam das Osterlamm auf Fahnen und Anstecker der Sängerschaft? Da spielt es zunächst keine Rolle, welche Lieder diese Chöre gesungen haben und heute noch singen. Relevant ist vielmehr, welchen Organisationen sie angehören: Es sind alles Gesangvereine der Fleischerinnung!
Bei den Metzgern wird das christliche Opferlamm schon seit dem Mittelalter als Zunftzeichen verwendet. Das Schlachten und Herstellen von Lebensmitteln aus Fleisch war lange ein sehr angesehenes Gewerbe und die Metzger wollten – ganz im Sinne ihrer christlichen Umwelt – auch ihrem eigenen Handwerk einen religiösen Bezugspunkt geben. Deshalb knüpften sie an die biblische Überlieferung des Schlachtens von Opfertieren an. Das Opferlamm mit der Auferstehungsfahne sollte auf den Zunftzeichen an diese Tradition erinnern und das Schlachtergewerbe selbst unter göttlichen Schutz stellen. Mit der Gründung von Chören der Fleischerinnung ist das Gotteslamm dann im 19. Jahrhundert auch auf die Fahnen und Abzeichen der Fleischerchöre gelangt.
Frohe und gesegnete Ostern!
Anmerkung zum Titel des Artikels: „Hier ist das wahre Osterlamm“ ist ein Zitat aus dem Kölner Kirchenlied „Das Heil der Welt, Herr Jesus Christ“ von 1638/1847.