Von Heiserkeit bis Stimmpflege: Worauf Sänger:innen achten sollten – im Gespräch erklärt Fabienne Schwarz-Loy, wie man die Stimme gesund erhält, welche Mythen rund ums Räuspern stimmen und warum Stimmpflege nicht nur für Profis, sondern auch für Hobbychöre unverzichtbar ist.
Liebe Fabienne, wann warst du das letzte Mal heiser und was hast du dagegen getan?
Das ist schon recht lange her – ich bin da zum Glück grundsätzlich nicht anfällig. Das war in der Vorweihnachtszeit 2023 und die Folge einer Erkältung – natürlich praktischerweise kurz vor einem Konzert, in dem ich eine Solopartie zu singen hatte.
Dadurch konnte ich leider nicht, wie es eigentlich empfehlenswert wäre, eine komplette Pause für die Stimme einlegen, habe es aber mit behutsamem Singen aus dem Körper heraus zusammen mit viel Wasser, Ingwer und Pastillen geschafft, das Konzert ganz gut zu bewältigen. Danach war aber dringend eine Singpause angesagt und die Stimme konnte sich wieder erholen.
Mit der Stimme wertschätzend umgehen sollte man ja nicht nur im akuten Fall, wenn sie nicht wie gewohnt zur Verfügung steht, sondern grundsätzlich. Stichwort Stimmpflege: Der Begriff geistert viel in den Ausführungen von Gesangspädagog:innen herum. Aber was versteht man darunter?
Stimmpflege bedeutet, die Stimme präventiv und nachhaltig zu schützen und zu stärken. Es geht darum, die individuellen Bedürfnisse der Stimme zu erkennen und ihr durch gezielte Maßnahmen wie ausreichend Flüssigkeitszufuhr, Stimmhygiene, bewusste Sprechweise und regelmäßiges, aber moderates Training die bestmöglichen Voraussetzungen zu bieten. Im Grunde ist es ein achtsamer Umgang mit unserem Instrument Stimme.
Gilt Stimmpflege auch für Hobbychorsänger:innen und welche Maßnahmen sind konkret umzusetzen?
Absolut! Stimmpflege ist auch für Hobbychorsänger:innen von großer Bedeutung, um Freude am Singen zu bewahren und Überlastungen zu vermeiden. Konkrete Maßnahmen sind hier besonders wichtig: Wir müssen auf eine gute Atmung achten und die Stimme vor dem Singen immer gut „aufwärmen“. Zudem ist es ratsam, auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten und bei Heiserkeit oder Schmerzen eine Pause einzulegen.
Im Chorkontext auch wichtig: Wir sollten immer in den Stimmlagen singen, die unserem natürlichen Stimmumfang entsprechen. Manchmal wird jemand in eine andere Stimme „gesteckt“, die gerade Unterstützung braucht – das kann im schlechtesten Fall auf Dauer aber tatsächlich Schäden verursachen, weil der Druck auf die Stimme unnötig hoch sein kann.
Und der Klassiker: niemals räuspern! Intuitiv versuchen wir oft, unsere Stimme mit Räuspern vermeintlich „freier“ zu bekommen, das ist aber eine Illusion – im Gegenteil: Es kann paradoxerweise die Schleimproduktion anregen, was zu einem Teufelskreis aus Räuspern und vermehrter Schleimbildung führen kann. Dann werden die Stimmlippen übermäßig belastet und es kann zu Mikroverletzungen führen, eine Schleimhautentzündung verursachen und sogar zu chronischem Räuspern führen.
Stattdessen ist es besser, den Schleim sanft zu schlucken (ggfs. mit Unterstützung von Wasser) oder wenn nötig kurz zu husten, um die Stimme zu schonen. Eigentlich wissen das viele Sänger:innen, allerdings ist das Räuspern oft eine unbewusste Gewohnheit, derer wir uns bewusst entledigen müssen.
Oft wechseln Soprani im Chor in späteren Lebensjahren in den Alt. Ein natürlicher Prozess, mangelndes Training als Ursache oder doch eine besorgniserregende Entwicklung?
Der Wechsel vom Sopran zum Alt im späteren Lebensalter ist oft ein natürlicher physiologischer Prozess, da die Stimmbänder im Alter an Elastizität verlieren können und sich die Stimmlage anpasst. Es ist also keineswegs immer besorgniserregend und deutet nicht zwangsläufig auf mangelndes Training hin. Wichtig ist, dass die Sängerin sich in ihrer neuen Lage wohlfühlt und die Stimme weiterhin gesund und frei klingt.
Eine Herausforderung kann dann manchmal eher sein, dass sich Sängerinnen, die lange Zeit als Sopranistinnen Melodiestimmen singen, bei Wechsel in den Alt erstmal an das Singen einer Mittelstimme gewöhnen müssen – das trainiert das Gehör dann nochmals auf andere Art und Weise. Auch hier gilt: Es lohnt sich, gut darauf zu achten, eine zum (neuen) Stimmumfang passende Stimme zu singen. Teilweise können aber auch hormonelle Veränderungen unabhängig vom Alter zu einer Veränderung der Stimmlage führen – ich selbst zum Beispiel habe zwei Kinder und habe deutlich bemerkt, dass ich nach jeder der Schwangerschaften ca. einen Ton in der Höhe „verloren“, dafür aber in der Tiefe „hinzugewonnen“ habe, meine Stimme also insgesamt innerhalb von ein paar Jahren etwas tiefer geworden ist.
Kann man Stimmschäden später noch „kitten“ oder sind sie irreversibel, wenn man sich jahrelang nicht aktiv um Stimmpflege bemüht hat?
Es ist nie zu spät, mit bewusster Stimmpflege zu beginnen. Viele „Schäden“ lassen sich zumindest lindern oder die Stimme kann wieder leistungsfähiger werden. Zwar können irreversible organische Veränderungen bestehen bleiben, aber durch gezieltes Training, eine verbesserte Gesangstechnik und bewusstes Umgehen mit der Stimme lassen sich oft erstaunliche Fortschritte erzielen. Wichtig ist, dass bei wirklichen Schäden, die über eine temporäre Heiserkeit z. B. nach Erkrankungen hinausgehen, unbedingt professionelle Unterstützung z. B. von Logopäd:innen, Atem-, Sprech- und Stimmlehrer:innen oder Phoniater:innen in Anspruch genommen wird.
Welchen Einfluss auf die Gesundheit haben Sprache und Dialekt, insbesondere natürlich unser Schwäbisch?
Sprache und Dialekt können tatsächlich einen Einfluss auf die Stimmgesundheit haben, da sie bestimmte Sprechmuster und Artikulationsgewohnheiten prägen. Der schwäbische Dialekt mit seiner oft zurückgenommenen Artikulation und tendenziell tieferen Sprechlage, kann in manchen Fällen zu einer gewissen Verspannung im Kiefer- und Halsbereich führen, wenn nicht auf eine offene und resonante Stimmgebung geachtet wird. Bewusstes Sprechen und eine gute Stimmführung helfen jedoch, diese potenziellen Belastungen auszugleichen – in der Regel verursachtDialekt alleine keine großen stimmlichen Probleme.
Mein Eindruck ist, dass generell eine gewisse empathielose Verrohung in der Kommunikation zunimmt. Man kommt auf 180 zur Tür rein und schreit in der Gegend herum statt sachlich das Problem zu benennen und nach der Sichtweise des anderen zu fragen. Ist das auch ein Thema?
Das sage ich auf der psychologischen Ebene: Unsere Gefühle kündigen das ziemlich deutlich an. Wir kennen das sowohl aus dem Privatleben, als auch aus dem geschäftlichen Umfeld und dem Ehrenamt: wenn in uns Ärger hochkocht, wenn wir traurig, niedergeschlagen, zornig, frustriert sind; wenn wir diese Gefühlspalette in uns zulassen. Das ist ein deutlicher Indikator, dass ein Teil meiner Bedürfnisse schlecht versorgt wird.
Stichwort Stütze: Wie kann/muss ich meine Stimme bedienen, um dauerhaft mit Ausdruck und Präsenz aufzutreten, ohne die Stimme überzustrapazieren. Ich denke da an Lehrende oder andere, die beruflich Lärm ausgesetzt sind und mit ihrer Stimme dagegen ankommen müssen…
Ich persönlich mag die Bezeichnung „Stütze“ nicht so besonders, weil es schnell etwas „Angespanntes“ oder „Festgehaltenes“ implizieren könnte – und genau das brauchen wir beim Singen ja nicht. Dennoch ist der Begriff in der Gesangswelt natürlich sehr verbreitet – was er eigentlich ausdrücken soll, ist: Wir unterstützen den Ton durch Energie, die aus dem Bauchraum und der Flankenatmung kommt und nicht aus dem Hals gepresst wird. Nur, wenn der Atem tief in den Körper gelangt, kann von dort aus auch die Stimme geführt und kontrolliert werden. Das ermöglicht es, die Stimme effizient und kraftvoll einzusetzen, ohne die Stimmbänder zu überlasten. Für Menschen, die im Berufsalltag viel und laut sprechen müssen, ist es unerlässlich, die Stimme auch in lauter Umgebung bewusst mit dieser Unterstützung zu führen, regelmäßige Stimmübungen zu machen und der Stimme zwischendurch Erholung zu gönnen.
Ganz hilfreich können zum Beispiel Übungen auf „-ng“ sein, regelmäßiges bewusstes Schlucken und Gähnen – all das bringt etwas Entlastung. Bei einer fundierten chorischen Stimmbildung kann man das immer wieder trainieren und auch auf andere Kontexte, wie dem Sprechen, übertragen. Andernfalls lohnt es sich, für einen Sprechberuf diese Techniken bewusst zu lernen und zu üben.
…und dann kann ich gesund den ganzen Abend durchschreien? [lacht]
Nun, „durchschreien“ würde ich persönlich niemandem empfehlen, selbst mit der besten Technik nicht! [lächelt] Eine gesunde Stimmführung zielt darauf ab, die Stimme so einzusetzen, dass sie auch unter Belastung resonanzreich und frei klingt, ohne an ihre Grenzen zu stoßen. Exzessives Schreien ist immer eine Belastung, die die Stimmbänder stark strapaziert und langfristig zu Schäden führen kann. Aber mit einer soliden Technik und achtsamem Umgang kann die Stimme viele Stunden lang kraftvoll und ausdrucksstark genutzt werden, ohne sie zu gefährden.
Fabienne Schwarz-Loy ist Dirigentin und Sängerin. In ihrer Arbeit vor allem mit Kammerchören (u. a. Konstanzer Kammerchor, chor:werk baden-württemberg) beschäftigt sie sich viel mit innovativen Konzertformaten und dem Schaffen von grenzübergreifenden Kulturerlebnissen. Darüber hinaus ist sie als Dozentin (auch für den Schwäbischen Chorverband), Beraterin und Systemischer Coach tätig – hier spielen vor allem psychologische Themen wie Kommunikation, Führung sowie Umgang mit Konfl ikten und Veränderungen eine zentrale Rolle.
Das Seminar „Stimmfit bis ins hohe Alter“ am 10.07.2026 in Plochingen.
Mehr dazu in der Bildungsbroschüre 2026 und auf www.s-chorverband.de
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